Dante Alighieri

1265 – 1336

 

In Übertragungen von

Richard Zoozmann

 

 

 

Aus: „Das neue Leben“

 

 

 

 

 

 

Die reinen Herzens sind und Liebe hegen –

Kommt dies Sonett den Edeln zu Gesichte,

Auf das ich Antwort hoffe und Berichte –

In Amor, ihrem Herrscher, Gruß und Segen!

 

Der vierten Stunde sah die Welt entgegen,

Die Sterne glühten schon im hellsten Lichte,

Da nahte Amor mir im Traumgesichte –

Noch jetzt kann bang Erinnrung mich erregen.

 

Er lächelte – ich sah mein Herz ihn tragen,

Das glühend war, und seinen Arm umschließen

Die Herrin, schlummernd, kaum verhüllt vom Linnen.

 

Er rief sie wach – und ob sie mochte zagen:

Gehorsam mußte sie mein Herz genießen –

Worauf er weinend mir entschwand von hinnen.

 

Erstes Sonett.

 

1921

 

Die edeln Herzens sind und Liebe hegen,

Kommt ihnen dies Gedichtchen zu Gesichte,

Daß jeder seine Meinung mir berichte –

In Amor, ihrem Herrscher, Gruß und Segen!

 

Dem zweiten Drittel ging bereits entgegen

Die Zeit, wo jeder Stern im hellsten Lichte,

Als Amor mir erschien im Traumgesichte,

daß mich erinnernd Schrecken noch erregen.

 

er schien erfreut, mein Herz sah ich ihn tragen

In seiner Hand und seinen Arm umschließen

Die Herrin, schlummernd, eingehüllt in Linnen.

 

Er rief sie wach und ließ sie, die voll Zagen,

In Demutfurcht mein brennend Herz genießen,

Worauf er weinend mir entschwand von hinnen.

 

 

 

1927

 

All edeln Herzen und verliebten Seelen,

Vor deren Augen kommt, was ich hier dichte,

Daß jeder seine Meinung mir berichte,

In Amor, ihrem Herrn, Gruß und Empfehlen!

 

Schon mochte nicht mehr viel vom Drittel fehlen

Der Zeit, wo jeder Stern uns strahlt im Lichte,

Da kam mir Amor plötzlich zu Gesichte;

Dran denkend, kann ich noch den Schreck nicht hehlen.

 

Gar frröhlich schien mir Amor; in der Hand

Hielt er mein Herz und, schlafend, in dem Arme

Die Herrin mein, gehüllt in ein Gewand.

 

Dann weckt er sie, das Herz, das glutentbrannt,

Aß sie in Demut und in bangem Harme,

Worauf ich sah, wie weinend er entschwand.

 

 

 

 

Seelen und Herzen all, die Liebe hegen,

Vor deren Augen kommt, was ich hier dichte,

Daß jeder seine Meinung mir berichte,

In Amor, ihrem Herrscher, Gruß und Segen!

 

Schon schwand das letzte Drittel auf den Wegen

Der Zeit, wo jeder Stern uns strahlt im Lichte,

Da kam mir Amor plötzlich zu Gesichte,

Noch jetzt kann mich Erinnrung bang erregen.

 

Amor schien froh, ich sah in seiner Hand

Mein Herz ihn und im Arm die Herrin tragen,

Die schlafend war, gehüllt in ein Gewand.

 

Dann weckt er sie, das Herz, das hell im Brand,

Gab er zu essen der in Demut Zagen,

Worauf ich sah, wie weinend er entschwand.

 

 

Antwort von:         Guido Cavalcanti

                                      Dante von Majano

                                      Messer Cino da Pistoja

 

 

 

 

 

 

Drittes Sonett

 

Weint, Liebende, da Amor selber weint,

Und laßt den Grund mich seiner Trauer agen:

Amor hört viele Frauen jammernd klagen,

Aus deren Augen herber Kummer scheint,

 

Weil der hartherzige Tod als grauser Feind

Zerstört mit eines edeln Herzens Schlagen,

Was auf der Welt den höchsten Ruhm soll tragen

Bei edeln Fraun, wenn sichs der Ehre eint.

 

Hört, welche Ehre Amor ihr bezeugte:

Leibhaftig sah ich ihn, wie er sich beugte

klagend zur holden schlummernden Gestalt,

 

Und immer wieder auf zum Himmel schaute,

Wo selig als verklärter Geist nun wallt,

Die hier als Mädchen unser Herz erbaute.

 

 

 

 

 

 

Weint, Liebende, weil Amor weint, und Lehre

Vernehmet auch, warum ihm Tränen tauen:

Amor hört lauten Klageruf von Frauen,

Ihr Auge zeigt, welch bittrer Gram dran zehre,

 

Weil Unhold Tod ein edles Herz die Schwere

Empfinden läßt von seines Werkes Grauen,

Zerstörend, was die Welt als Preis kann schauen

An edelm Weibe außer ihrer Ehre.

 

Hört, welche Ehre Amor ihr beschieden:

Ich sah ihn nämlich selbst leibhaftig klagen

Über dem toten Bild so anmutschön,

 

Und oft sah er empor zu Himmelshöhn,

Wohin die edle Seele schon getragen;

Denn eine Frau wars, froh zu sehn hienieden.

 

 

 

Fünftes Sonett

 

Nachhängend den Gedanken jüngst beim Ritte,

Des Weges halber in Verdrossenheit,

Traf ich den Liebesgott: nach Pilgersitte

War er gehüllt in ein bescheidnes Kleid.

 

Er schien bedrückt, als ob er Kummer litte,

Als wär geraubt ihm Macht und Herrlichkeit,

Und ging gesenkten Haupts in schwerem Schritte,

Als wollt er niemand sehn in seinem Leid.

 

Da sah er mich, er rief mich an und nannte

Beim Namen mich: „Von fernher komm ich eben,

Wo sich dein Herz auf mein Gebot befunden;

 

Zu neuer Lust will ich dirs wiedergeben!“ –

Und wie sein Anblick mich noch mächtig bannte,

War er, ich weiß nicht wie, vor mir entschwunden

 

 

 

 

Als ich auf einer Straße jüngst beim Ritte

Die Fahrt erwog, die mir recht ungelegen,

Kam Amor halben Weges mir entgegen

In einem leichten Kleid nach Pilgersitte.

 

Sein Äußres scheinbar mir von Anmut zeugte,

Als wäre seine Herrschaft ihm genommen;

Seufzend kam er, gedankenvoll-beklommen,

Und daß er niemand säh, das Haupt er beugte.

 

Als er mich sah, er mich beim Namen nannte

Und sprach: „Ich komm von jenem fernen Ort,

Woselbst dein Herz auf meinen Wunsch gewesen,

 

Und bringts zurück, zu neuer Lust erlesen.“

Drauf riß so mächtig mich sein Anblick fort,

Daß er verschwand und ich nicht wie erkannte.

 

 

 

Sechstes Sonett

 

Von Liebe einzig reden die Gedanken,

Doch gleichen sich einander auch nicht zwei.

Der preist mir ihre Herrschaft ohne Wanken,

Der nennt mir thöricht, was ihr Wert verleih.

 

Der läßt mit süßer Hoffnung mch umranken,

Zu Tränen rührt der andre mich dabei,

Doch jeder ruft das Mitleid in die Schranken,

Denn keiner ist von Furcht im Herzen frei.

 

Drum weiß ich nicht, woher nun Stoff entnehmen,

Denn singen möcht ich, weiß doch nichts zu sagen,

Verstrickt in Liebeszweifel so, in leidige.

 

Und will ich dann mich allen anbequemen,

So muß ich diese Not der Feindin klagen,

Der Herrin Mitleid, daß sie mich verteidige!

 

 

 

 

Alle Gedanken sprechen mir von Liebe

Und sind in sich verschieden doch gedacht,

Daß einer mich läßt wünschen ihre Macht,

Ein andrer schmäht als Torheit ihr Getriebe,

 

Der mir durch Hoffnung möchte Wonne geben,

Der andre wiederholt mich bringt zum Weinen,

Und nur im Flehn um Mitleid sie sich einen,

Indem sie vor der Furcht im Herzen beben.

 

Drum weiß ich nicht, wer mir zum Stoffe nütze,

Und möchte dichten, und weiß nichts zu sagen:

So find ich mich verstrickt in Liebesirren.

 

Und will ich mich aus allen nun entwirren,

Muß ich zu bitten meine Feindin wagen,

Daß Herrin Mitleid mich verteidigend schütze.

 

 

 

 

Siebentes Sonett

 

Mein Aussehn bietet euch und andern Frauen

Anlaß zum Scherz, doch, Frau, Ihr wißt ja nicht,

warum so bleich und seltsam mein Gesicht,

Wenn meine Augen Eure Schönheit schauen.

 

Ja, wüßtet Ihrs, auf Nachsicht dürft ich bauen,

Nicht gingt mit mir so hart Ihr ins Gericht:

Weilt Amor bei mir, gleich hervor dann bricht

In Eurer Näh ein mutiges Vertrauen.

 

Und wie durch einen Blitzstrahl schmettert er

Darnieder all die bangen Lebensgeister,

Und er nur bleibt, bewundernd Euch zu schauen!

 

Dann stürmt er auf die bangen Lebensgeister,

Die jagt er fort, die andern tötet er,

Daß er allein zurückbleibt, Euch zu schauen.

 

 

 

 

Mit andern Frauen mein Aussehn Ihr belachtet,

Und Ihr bedenkt nicht, Frau, wie es geschehe,

Daß anders von Gestalt ich vor Euch stehe,

Sobald ich Eure Schönheit nur betrachtet.

 

Wenn Ihr es wüßtet, nicht könnt auferlegen

Mitleid mir noch gewohnte Prüfung dann;

Denn trifft so nah bei Euch mich Amor an,

Fühlt er sich sicher und wird ganz verwegen,

 

Daß er mir schlägt die Sinne, die verzagten,

Und die mir tötet, andre mir vertreibt,

Bis, Euch zu schaun, zurückbleibt er allein.

 

Drum muß ich fremd Euch und verwandelt sein,

Doch so nicht, daß mir nicht vernehmbar bleibt

Das Jammern der gemarterten Verjagten.

 

 

 

Achtes Sonett

 

Was mir im Sinne liegt, ist schnell vergangen,

Wenn ich euch sehe, die mir Lust allein;

Bin ich euch nah, so hör ich Amor bangen:

Entfliehe, willst du nicht des Todes sein!

 

Des Herzens Farbe zeigen meine Wangen,

Es sucht nach Halt in seiner Ohnmacht Pein,

Und beb ich, wie von Trunkenheit befangen,

Hör ich: Stirb, stirb! beinah die Steine schrein.

 

Der sündigt, wer mich also sieht in Schmerzen,

Und der verstörten Seele Trost verweigert,

Anstatt ein Mitleidswort mir zu bescheren.

 

Ihr mordet das Mitleid unter Scherzen,

das im erstorbnen Blicke schmerzgesteigert

Die Augen künden, die den Tod begehren.

 

 

 

 

Was in den Sinn mir kommt, es stirbt dahin,

Seh ich Euch, schönste aller Augenweiden,

Und Amor hör ich, wenn ich bei Euch bin,

Der ruft: „Entflieh, willst du den Tod vermeiden.“

 

Das Antlitz zeigt des Herzens Farbe an,

Das ohnmachtsvoll sich Halt nur will verleihen,

Und wenn ich schwanke wie betrunken dann,

Die Steine scheinen mir: „Stirb, stirb!“ zu schreien.

 

Der sündigt, wer auf mich sein Auge richtet

Und meiner Seele Angst nicht will erquicken,

Zeig er auch Anteil nur an meiner Not

 

Durch Mitgefühl, das Euer Spott vernichtet,

Das sichtbar ist in den erstorbnen Blicken

Der Augen, die ersehnen ihren Tod.

 

 

 

Neuntes Sonett

 

Der Liebe muß ich sinnend oftmals denken,

Die ums Gemüt mir dumpfes Dunkel breitet,

Muß fragend selbst in Mitleid mich versenken:

Hat Amor andern auch solch Weh bereitet?

 

Mein Leben zagt, wenn er mich wild bestreitet,

So jäh pflegt sich sein Haß auf mich zu lenken!

ein Geist nur aus dem Sturm gerettet gleitet

Und bleibt und spricht von Euch, mir Trost zu schenken.

 

Verhärmt und kraftlos, weil mein Herz so leidet,

Bezwing ich mich, gesunknen Mut zu heben

Und hoff, in Eurer Nähe zu genesen.

 

Doch kaum, daß sich an Euch mein Auge weidet,

Bebt jähe Schwäche durch mein ganzes Wesen

Und aus den Pulsen will die Seele schweben!

 

 

 

 

Schon oftmals ist mirs in den Sinn gekommen,

Welch dunkles Los mir Amor doch ersehen;

Und Mitleid faßt mich so, daß ich beklommen

Oft sage: Ach, ists andern auch geschwehen?

 

Denn Amor hat mich jähen Sturms genommen,

Sodaß mir schier das Leben will vergehen;

Ein Geist nur rettet sich zu seinem Frommen

Und bleibt, von Euch zu sprechen, bei mir stehen.

 

Dann zwing ich mich, daß Kraft mir geb Vertrauen,

Und also totenbleich, fast ohne Leben

Komm ich, zu sehn Euch, Heilung drin zu finden.

 

Und heb ich auf den Blick, Euch anzuschauen,

Im Herzen mir beginnt ein starkes Beben,

Das aus den Pulsen macht die Seele schwinden.

 

 

 

 

Zehntes Sonett

 

Die Liebe und ein Herz, dem Adel eigen,

Sind eins: so hörten wirs den Weisen künden.

Wie sich Verständge stets verständig zeigen,

Sieht man auch jene zwei sich eng verbünden.

 

Und pflanzt Natur zum mächtigsten Empfinden

Den Trieb ins Herz; da hüllt ihn Schlaf und Schweigen.

Bald früh, bald spät wird er sich dem entwinden,

Von Frauenreiz erweckt, ans Licht zu steigen.

 

Der Schönheit Zier, die züchtge Frauen schmückt,

Dringt tiefins Herz durchs trunkne Auge nieder

Und zündet sehnsucht nach der Liebe an.

 

Verdoppelt pocht das Herz und fühlt entzückt,

Wie Liebe dehnt erwachend ihr Gefieder –

So wirkt wohl auch beim Weib ein edler Mann!

 

 

 

 

Liebe und edles Herz sind eins allein,

Wie uns die Verse schon des Weise lehren;

Und so mag dieses ohne jenes sein,

Als wollt Vernünftiges der Vernunft entbehren.

 

Es macht Natur, zog Liebe in sie ein,

Amor zum Herrn, das Herz, drin einzukehren,

Zum Heim; dort soll er sich dem Schlummer weihn,

Den sie bald kurz, bald lang ihm will bescheren.

 

Schönheit erscheint im klugen Weibe drauf

Und reizt die Augen, bis das Herz tiefinnen

Sehnsucht gebiert nach dem, was hold zu schauen,

 

Und diese hält so lange dort sich auf,

Bis sie den Geist der Liebe weckt darinnen:

Und Gleiches wirkt der wackre Mann bei Frauen.

 

 

 

Elftes Sonett

 

Die Liebe wohnt in meiner Herrin Blicken,

Die, was sie anschaun, wunderbar verklären;

wem einen Gruß sie gnadenvoll gewähren,

Dem bebt durchs Herz unsagbar ein Entzücken.

 

Der muß die Stirn betroffen abwärts kehren,

Ob seiner Mängel seufzend, die ihn drücken;

selbst Haß und Hochmut muß vor ihr sich bücken –

Drum helft, ihr Frauen, mir, sie hoch zu ehren!

 

Wer schlürfen darf des Mundes süßen Laut,

Dem schwillt das Herz in ehrfurchtsvollen Wonnen;

Drum selig, wer das erstemal sie schaut.

 

Doch wenn sie kaum zu lächeln hat begonnen:

Kein Wort kanns schildern, kein Vergleich erreichen –

Ein Wunder ist es, neu und ohnegleichen!

 

 

 

 

Die Herrin pflegt Amor im Blick zu tragen;

Was sie betrachtet, adelt sie darum:

Wo sie vorbeigeht, dreht sich alles um,

Und wen sie grüßt, den macht das Herz sie schlagen,

 

Daß er, ganz blaß, das Angesicht muß beugen

Und, jedes Fwehls bewußt, aufseufzet dann:

Hochmut und Zorn vor ihr nicht dauern kann;

Helft, Frauen, mir, ihr Ehre zu bezeugen.

 

Demut und jede Süße wird sogleich

Im Herzen dessen wach, der sie hört reden;

Drum, wer zuerst sie sah, dem dients zum Preise.

 

Wie sie erscheint, wenn sie nur lächelt leise:

Wort und Erinnerung verläßt da jeden,

Solch Wunder ist es, neu und anmutreich.

 

 

 

Zwölftes Sonett – Frage

 

Sagt an, ihr schmerzgebeugten edlen Frauen,

Die ihr die tränenfeuchten Augen senkt:

Wo kommt ihr her? Welch Schmerz ists, der euch kränkt,

Daß ihr so bleich, so kummervoll zu schauen?

 

Saht ihr das schönste Auge sich betauen

mit Zähren, die das tiefste Herzleid schenkt?

Sagt mirs, weil schon mein Herz es ahnend denkt,

Seit ich euch seh mit hoheitsernsten Brauen.

 

Und wenn ihr herkommt von so großem Wehe,

So weilt, damit ihr alles mir vertraut,

Und bergt mir nicht, wie es er Herrin gehe?

 

Ich seh von Tränen euer Aug betaut

Und seh euch so verwandelt heimwärts gehen,

Daß mir das Herz erzittert, euch zu sehen.

 

 

 

 

Die ihr das Antlitz tragt demutgebleicht,

Und Schmerz verratend niedersenkt die Brauen,

Von wannen kommt ihr, daß an euch zu schauen

Solch eine Farbe, die dem Mitleid gleicht?

 

Saht unsre holde Herrin ihr vielleicht

Mit Liebestränen ihr Gesicht betauen?

Sagt mirs, weil mirs das Herz schon sagt, ihr Frauen,

Da euern Gang Unedles nicht erreicht.

 

Und kommt ihr her von Herzleid, dem so schweren,

So bitt ich euch, wollt nicht vorübergehen

Und was es sei, zu sagen nicht verwehren.

 

Ich seh in euern Augen Tränen stehen

Und seh euch so verwandelt wiederkehren,

Daß mir das Herz erbebt, solch Leid zu sehen.

 

 

 

Dreizehntes Sonett – Antwort

 

Bist dus, der von der Freundin uns gesungen,

Von ihr erzählt in manchem Lobgedicht?

Hätt uns die Stimme nicht vertraut geklungen,

Wir hätten nicht erkannt dein Angesicht.

 

Wie bist du bleich, verstört! – Von Schmerz bezwungen

Erscheinst du uns. – sie aber sahst du nicht,

Aus deren Brust der Klage Laut gedrungen

So schmerzvoll, daß uns schier das Herz zerbricht.

 

Laß uns nur weiterziehn, und uns laß klagen,

Weil wir die Bleiche sahn in ihren Schmerzen;

Es sündigt, wer uns will ein Trostwort sagen.

 

Bejammernswürdig ist die Gramzerstörte,

Nie tilgt ihr Anblick sich aus unserm Herzen,

Und sterben möchte, wer sie weinen hörte!

 

 

 

 

Bist du es, der im Liede oft gehandelt

Von unsrer Herrun und zu uns nur sprach?

Du gleichst ihm allerdings der Stimme nach,

jedoch dein Aussehn scheint uns ganz verwandelt.

 

Und warum weinst du so aus bangem Herzen,

Daß du auch andern Mitleid abgewannst?

Sahst du sie etwa weinen gar und kannst

Nun bergen nicht der Seele tiefes Schmerzen?

 

Laß weinen uns und uns laß traurig gehen;

Der sündigt, wer für uns je Trost will hoffen,

wir haben klagend weinen sie gesehen.

 

Ihr Antlitz zeugt von Herzeleid so offen,

Daß, wer den Anblick wähnt zu überstehen,

Vor ihr sänk weinend hin, vom Tod getroffen.

 

 

 

Vierzehntes Sonett

 

Das mir im Herzen schlief, Sehnsuchtsverlangen

Nach Liebe fühlt ich leis in mir erwachen,

Da sah ich amor nahn von fern mit Lachen,

Kaum kannt ich ihn, so war er lustumfangen.

 

Er sprach: „Du sollst mir heute Ehre machen!“

Und alle Worte wie ein Lächeln klangen.

Und sieh, wer kam schon hinter ihm gegangen? –

Solch Anblick mußte mir das Herz entfachen!

 

Zwei Wunder nahten aus der Schönheit Reich:

Ich sah Giovanna wie als Herold kommen

Von Beatricen, meiner Himmlisch-Hehren.

 

Da sprach Freund Amor: „Sieh hier Primaveren,

Das Lenzkind! Doch der andern wird es frommen,

Nenn ich sie „Liebe“ – weil sie mir so gleich!“

 

 

 

 

Ich fühlte einen Liebesgeist sich regen

Im Herzen mir, den dort der Schlummer bannte,

Und sah dann, wie mir Amor kam entgegen

Von fern, so froh, daß ich ihn kaum erkannte.

 

Er sprach: „Nun denk mir Ehre einzulegen;“

Und jedes Wort zu mir sich lächelnd wandte.

Kaum daß mein Herr bei mir, und ich den Wegen,

Von wo er sich genaht, den Blick nachsandte,

 

Sah ich Frau Vanna und Frau Bice just

Zum Platze, wo ich stand, die Schritte kehren,

Ein Schönheitswunder nach dem andern schier.

 

Und wenn es dem Gedächtnis recht bewußt,

Sprach zu mir Amor: „Sieh hier Primaveren,

Und die heißt Liebe, so sehr gleicht sie mir.“

 

 

 

 

Saht jemals ihr das liebliche Gebilde,

wenn es voll Demut sittsam Grüße spendet?

Es senkt der dreiste Blick sich glanzgeblendet,

Die laue Lippe schweigt, der Trotz wird milde!

 

Als reinste Lilie prangt sie im Gefilde,

Taub allem Lob, das man an sie verschwendet;

Ein Friedensengel scheint sie, ausgesendet,

Um fromm zu schlichten alles Rauhe, wilde.

 

Aus ihren Blicken, wie aus tiefen Bronnen

Strömt eine Fülle nie gekannter Wonnen:

Wer sie noch nicht empfunden, glaubt es nicht

 

Und wähnt, ein holdes Wunder zu erleben!

Ein Hauch scheint lieblich ihr vom Mund zu beben,

Der „Seufze! seufze!“ still zur Seele spricht.

 

Fünfzehntes Sonett

 

So wunderlieblich und so sittsam zeigt

Die Herrin sich, wenn hold sie Grüße spendet,

Daß gleich der laute Mund erschrocken schweigt,

Der dreiste Blick sich scheu zu Boden wenden.

 

Taub allem Lob, das man an sie verschwendet,

Geht sie, in Demut fromm die Stirn geneigt:

Als ob, vom Himmel selber hergesendet,

Ein Engelswunder auf die Erde steigt.

 

So lieb zu schmeicheln weiß sie allen Blicken,

Daß selge Wonnen das Gemüt erquicken –

Wen die noch nicht durchrieselt, ahnt sie nicht.

 

Von ihren Lippen scheint mit leisem Beben

Ein unsichtbarer Liebeshauch zu schweben,

Der „Seufze! seufze!“ fromm zur Seele spricht.

 

 

 

 

So lieblich scheint und sittsam im Gebahren

Die Herrin mein, wenn sie sich grüßend neigt,

Daß jede Zunge zittern muß und schweigt,

Und sich kein Blick erkühnt, sie zu gewahren.

 

Hingeht sie, mag sie Lob auch viel erfahren,

Die sich im Demutkleid bescheiden zeigt,

Und scheint ein Wesen, daß zur Erde steigt

Vom Himmel, Wunder, hier zu offenbaren.

 

Sie zeigt dem, der sie sieht, solch lieb Gesicht,

Daß ihm durchs Aug ins Herz strömt süße Labe,

Die nicht begreifen kann, wers nicht erlebt.

 

Auch scheint es, daß von ihren Lippen schwebt

Ein sanfter Hauch, erfüllt von Amors Gabe,

Der immerfort zur Seele „Seufze! spricht.

 

 

 

Sechzehntes Sonett

 

Den Inbegriff der Seligkeit darf schauen,

Wer meine Herrin sieht im Frauenkreise!

Die mit ihr wandeln dürfen – dieser Frauen

Ist keine, die sich drob nicht glücklich preise.

 

Weil ihre Anmut wirkt so zarter Weise,

Darf ich kein Neid in ihre Näh getrauen;

Von ihrer Tugend läßt sie lieb und leise

Auch auf die andern treuen Abglanz tauen.

 

Bescheiden läßt ihr Anblick alles werden,

Und nicht sie selbst nur glänzt – nein, sie verschönt,

Was sie umgibt, mit Anmut gleich der Sonne.

 

So lieb ist sie von Antlitz und Geberden,

Daß, wer sie sah, von soviel Reiz gekrönt,

Nur seufzend ihrer denkt in Liebeswonne!

 

 

 

 

Es schaut vollkommen alle Seligkeit,

Wer meine Herrin darf bei Frauen sehen:

Es müssen, die ihr dienen zum Geleit,

Gott danken, läßt er solche Gunst geschehen.

 

Und ihre Schönheit ist so kraftgeweiht,

Daß ihr drob Neiderinnen nie entstehen,

Nein, sie bewirkt, daß jene auch im Kleid

Der Liebe, Huld und Treue mit ihr gehen.

 

Ihr Blick zwingt jeden zu bescheidner Haltung,

Und nicht nur sie nimmt dadurch Liebreiz an,

Nein, jede Frau läßt Ehre sie empfangen.

 

So hold ist sie in ihres Tuns Entfaltung,

Daß keiner ihrer sich erinnern kann,

Der nicht erseufzt in süßem Liebesbangen.

 

 

 

Dritte Kanzone.

(Zum Sonett gewordenes Fragment.)

 

Wen lang im Bann die Liebe festgehalten,

Gewöhnt sich ihrer Herrschaft bald und Macht.

Zuerst nur scheinbar auf mein Leid bedacht,

Beglückt mein Herz ihr Wirken jetzt und Walten.

 

Denn fühl ich ihre Kraft sich voll entfalten

So fliehn die Lebensgeister sanft und sacht,

Die Seele süß erbangt in Not und Nacht,

Indes die wangen bleichen und erkalten!

 

Wie wurdest du so stark in mir, o Liebe!

der Seele laute Seufzer redend gehen

Zur Herrin hin und flehen,

 

Daß sie, mein Glück zu steigern, hold mir bliebe.

Ach, niemand glaubt, wie reich sie Anmut schmückt,

Von der ein bloßer Blick mich schon beglückt!

 

 

 

 

 

So lange schon hat Amor mich gebunden

Und mir Gewöhnung seiner Macht verliehn,

Daß, wie er vorher strenge mir erschien,

So mild wird er im Herzen jetzt empfunen.

 

Doch wenn er so mir alle Kraft entwunden,

Daß, wie es scheint, die Lebensgeister fliehen,

Fühl ichs durch die gebrochne Seele ziehen

So wonnesüß, daß ich erblaßte schier.

 

Dann wächst in mir Amor zu solcher Kraft,

Daß meine Seufzer, Worte findend, gehen;

Und sie entfliehn und flehen

 

Zur Herrin mein, daß sie mehr Heil mir schafft.

Dies, wo sie mich auch säh, geschieht mir immer,

Und ist so demutsvoll, man glaubt es nimmer.

 

 

 

 

Ihr, deren Herzen weiches Mitleid fühlen,

Neigt euer Ohr teilnehmend meinen Klagen.

Mich töteten, die mir die Brust durchwühlen,

Die schmerzen, dürfte sie mein Mund nicht sagen.

 

Die Augen wollens ferner nicht ertragen,

Mit Tränen um die Teure fortzuspülen

Die Leiden, die es Lebens Mark mir nagen,

Und die so heiß, daß sie kein Meer kann kühlen.

 

Ach, nie wird meine Stimme müde werden,

Nach ihr zu rufen, die dahingegangen,

Wo ihr der Tugend Krone ward zuteil.

 

Wie eitel dünkt mich aller Glanz auf Erden,

Nichts Irdisches erweckt mir noch Verlangen,

Und meine Seele bangt ums ewge Heil.

Siebzehntes Sonett

 

O kommt, hört meiner Seufzer schmerzlich Zagen,

Ihr edeln Herzen, die ihr Mitleid fühlt!

Der Kummer, der untröstlich mich durchwühlt –

Ich stürbe dran, dürft ich ihn euch nicht klagen.

 

Die Augen wollen mir schon längst versagen

Die Tränenflut, die täglich sie umspült,

Da alles Weinen doch mein Herz nicht kühlt –

Leicht würd mirs nur, könnt ich zu ihr es tragen.

 

Hört meine Worte inbrunstvoll verlangen

Nach meiner Herrin, die dahingegangen

Zum Licht, wo ihre Tugend würdig prangt.

 

Nun mögen sie dies Leben schmähn und hassen

Im Namen meiner Seele, die verlassen

Von ihrem Heil sich sieht und darum bangt!

 

 

 

 

Kommt, daß den Seufzern ich Gehör erwürbe,

O edle Herzen, auf des Mitleids Flehen,

Die ungetröstet mir von dannen gehen;

Und wären sie nicht mehr, vor Schmerz ich stürbe.

 

Denn meiner Augen Schuld will groß mir scheinen,

Weil sie nicht öfter, als mir lieb mag sein,

So heftig weinten um die Herrin mein,

Daß Lindrung meinem Herzen brächt ihr Weinen.

 

Ihr hört es, wie sie rufen öftermal

Der teuern Herrin, die uns mußt entschweben

Zum Reich, wo würdig ihre Tugend weile;

 

Und wie manchmal verachten sie dies Leben

Im Namen einer Seele, die zur Qual

In Stich gelassen ward von ihrem Heile.

 

 

 

Achtzehntes Sonett

 

Erster Anfang                                                              

 

Zwiesprach mit meiner Seele hielt die milde,

Die nun in Gottes Glanz verklärte Maid,         

Die er berufen hat zur Herrlichkeit                     

Marias in die seligen Gefilde.                                                    

 

Zweiter Anfang

 

Zwiesprach mit meiner Seele hielt die milde,

Die von der Liebe noch beklagte Maid,

Als ihr, durch sie gelockt, erschienen seid,

Um zu betrachten, was ich schuf im Bilde.

 

Da blühte auf in meiner Brust Gefilde

Die Liebe, wie ein Strauch zur Frühlingszeit.

Sie rief: Ihr seufzer flieht! – Ungern bereit

Flohn klagend sie die Brust, die trübsalswilde.

 

Und weinend schieden sie, zusammenklingend

In einen Wehlaut, der die Brust zerreißt,

Mir bittre Tränen in die Augen zwingend.

 

Doch die da flohn mit kläglichem Gestöhn,

Die riefen: Heut, o du verklärter Geist,

Weilst du seit einem Jahr in Himmelshöhn!

 

 

 

Erster Anfang

 

Es war gekommen mir in meinen Sinn

Die edle Frau, der nun für ihren Wert

Verliehn ward, wie der höchste Herr begehrt,

Marias Demuthimmel zum Gewinn.

 

Zweiter Anfang

 

Es war gekommen mir in meinen Sinn

Die edle Frau, die Amor weinend ehrt,

Im selben Augenblick, als wohl ihr Wert

Euch trieb, zu sehn, woran ich tätig bin.

 

Amor, der ihrer ward im Geiste inn,

Ward mir im Herzen wach, das bang beschwert,

Und rief den Seufzern zu: „Von dannen kehrt!“

Weshalb ein jeder jammernd ging dahin.

 

Wehklagend meiner Brust sie sich entrangen

Mit einem Ton, daß du zu vielen Malen

Von feuchtem Schmerz, o trübes Auge, bebtest.

 

Doch die da flohen unter größten Qualen,

Sprachen: „O edler Geist, heut ist vergangen

Ein Jahr, daß du empor zum Himmel schwebtest.“

 

 

 

 

 

Neunzehntes Sonett

 

Welch großes Mitleid hab ich trauern sehen

Auf Eurem Antlitz – und wie lieb und gut

Hat sinnend Euer Aug auf mir geruht,

Den seines Kummers Wucht gebeugt ließ stehen.

 

Ich spürte wohl, es könnt Euch nicht entgehen

Wie dunkel hinströmt meines Lebens Flut;

Mir bangte auch: Ihr säht, wie Kraft und Mut

Zur Angst und Schwäche mählich mir verwehen.

 

So floh ich Eure Gegenwart, damit

Nicht neue Tränen aus dem Aug mir triebe

Der schmerzlich-wehe Blick, der mich getroffen.

 

„Tot ist, o schmerzgewohntes Herz, dein Hoffen!

Der Trost nur stärkt mich: daß dieselbe Liebe

In Euch auch wohnt, die mir das Herz zerschnitt“.

 

 

 

 

Es sah mein Aug, wieviel mitfühlend Leid

In Euerm Angesichte war erschienen,

Als Ihr nach Haltung mich geprüft und Mienen,

Die ich aus Schmerz gezeigt hab lange Zeit.

 

Dann merkte ich, Ihr habet wohl bedacht

Die Art und Weise meines dunkeln Lebens,

Sodaß mein Herz sich fürchtete voll Bebens,

Daß sich im Blick mein Elend kenntlich macht.

 

Und ich entzog mich Euch, weil ich verspürt,

Daß es mir Tränen aus dem Herzen triebe,

Daß Euer Anblick riß erschüttert hin.

 

Dann sprach ich zu mir im betrübten Sinn:

„Traun, jene Dame fühlt wohl jene Liebe,

Die mich zu solchen Tränen stets verführt.“

 

 

 

Zwanzigstes Sonett

 

Des Mitleids Blässe und der Liebe Farbe,

Nie einten sie auf einer Frau Gesicht

Holdselger sich zu einer Schmerzensgarbe,

Wie Mittleid sie um fremden Kummer flicht.

 

Denn wenn zu meinem Leid, das nie zur Narbe

Verheilen wird, lieb Euer Auge spricht,

Fühl ich, daß nicht mein Schmerz an Trost mehr darbe,

und fürchte gar, daß es das Herz mir bricht.

 

Ich kanns den armen Augen nicht verweigern,

Daß sie Euch oft und inniglich betrachten,

Obwohl sie Sehnsucht feuchtet und bedrückt.

 

Doch Euer Anblick kann ihr weh nur steigern,

Daß sie in trockner Qual versiegend schmachten,

Weil ihnen ach! vor Euch kein Weinen glückt.

 

 

 

Der Liebe Farbe und des Mitleids Züge

Ergriffen nie so wundersamer Art

Ein Frauenantlitz, weil es oft gewahrt,

Welch Schmerzensnaß ein liebes Auge trüge,

 

Gleichwie das Eure, wenn Ihr vor Euch dicht

Mein Antlitz seht, von Kummer übernommen,

Daß mich, was Ihr mir laßt zu Sinne kommen,

Stark fürchten macht, daß es das Herz mir bricht.

 

Ich kann nicht den verstörten Augen wehren,

Stets wieder Euern Anblick aufzufangen,

Weil sie vom Wunsch zu weinen hingerissen.

 

Und Ihr habt so gesteigert ihr Verlangen,

Daß sie in Lust danach sich ganz verzehren,

Wo sie vor Euch doch nicht zu weinen wissen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Einundzwanzigstes Sonett

 

O meine Augen, die ihr habt verloren

So bittre Tränenflut bei Tag und Nacht

Und auch viel andre weinen habt gemacht,

Weil echter Schmerz euch zum Altar erkoren –

 

Schwand Leid und Qual, die mir das Herz durchbohren,

Vergaßt ihrs oder habt ihrs nicht bedacht?

An sie nur brauch ich euch zu mahnen sacht,

Die ewig zu beweinen ich geschworen.

 

daß ihr so eitel, finstert mir die Brauen

Mit ernster Sorge: allzuoft betrachtet

Die Frau ihr, die so hold ist von Geberden.

 

Euch warnt mein Herz: der teuersten der Frauen,

Ihr Augen, dürft ihr nimmer untreu werden,

Bevor der Tod euch selber nicht umnachtet!

 

 

 

 

Die bittern Tränen, die ihr niedertauet,

Ihr meine Augen, seit so langen Zeiten,

Wußten auch andern Tränen zu bereiten

Aus reinem Mitgefühl, wie ihr es schauet.

 

Jetzt wollt ihr es vergessen, wie mir scheint,

Sofern ich meinerseits so treulos dächte

Und euch um jeden guten Grund nicht brächte,

Gemahnend euch an die, drum ihr geweint.

 

Not macht mir euer eiteles Vermessen

Und schreckt mich so, daß heftige Furcht mir droht

Vorm Blicke einer Frau, die euch betrachtet.

 

Ihr dürftet nie, es sei denn durch den Tod,

Nie unsre Herrin, die uns starb, vergessen:

So spricht mein Herz, das nachher seufzend schmachtet.

 

 

 

Zweiundzwanzigstes Sonett

 

Ein liebliches Gedenken, alle Sinne

Beglückend, weilt bei Euch so manche Stunde:

Es redet mir von zärtlichsüßer Minne –

Nicht ungern lauscht das Herz so froher Kunde.

 

Die Seele spricht: „O Herz, aus welchem Grunde

wird denn dein Schmerz so bald des Trostes inne?

Steht mit so großen Mächten er im Bune?

Dient sonst uns kein Gedanke zum Gewinne?“

 

Das Herz erwidert: O besorgte Seele,

Ein neuer ists, ein starker Geist der Liebe,

Der sehnsucht in mir wachruft, so zu wollen!

 

Es wurzeln diese frischen Lebenstriebe

im schönen Auge der Erbarmungsvollen,

Die tief es rührt, daß nie der Schmerz mir fehle.

 

 

 

Ein hold Gedenken, das von Euch mir spricht,

Kommt oftmals zu mir, daß es bei mir bliebe,

Und spricht mit solcher Süßigkeit von Liebe,

Daß es den Widerstand des Herzens bricht.

 

Die Seele sagt zum Herzen: Wer ist der,

Der hier erscheint, daß unsern Geist er tröste?

Und ist denn wirklich seine Macht die größte,

Daß er uns denken läßt nichts andres mehr?“

 

Und Antwort gibts: „O Seele, du besorgte,

Das ist ein neuer, kleiner Geist der Liebe,

Der bei mir vorbringt nur all sein Begehren.

 

Sein Leben und all seiner Macht Getriebe

Vom Aug er jener Mitleidsvollen borgte,

Der unsre Martern so viel Kraft bescheren.“

 

 

 

 

 

 

 

 

Dreiundzwanzigstes Sonett

 

Ach, durch die Seufzer, die so heiß entquollen

Den Schmerzge4danken, die am Herzblut saugen,

Sind sie besiegt nun, diese armen Augen,

Die nicht mehr, die sie anschaun, sehen wollen.

 

Zwei Brünnlein waschen sie mit salzgen Laugen

Die Wangen mir, dem Schmerz Tribut zu zollen,

Daß meiner Liebe nur der Schmuck mag taugen

Des Martyrdiadems, des dornenvollen.

 

Die Herrn der Seufzer, die Gedanken, blieben

Nur treu der Brust, die so voll schwerer Leiden,

Daß mitleidsreich die Liebe selbst erblaßt.

 

Denn in sich tragen sie, von Schmerz erfaßt,

Der Herrin süßen Namen eingeschrieben

Und manches Wort von ihrem frühen Scheiden.

 

 

 

Ach weh mir! Durch der vielen Seufzer Macht,

Die aus Gedanken meines Herzens kommen,

Sind mir besiegt die Augen, kraftbenommen,

Um den zu sehn, der ihrer hätte acht;

 

Und wollen nun, vom Doppelwunsch entfacht,

Nur weinen und sich zeigen schmerzbeklommen,

Und sind von Tränen oft so überschwommen,

Daß Amor mit dem Dornkranz sie bedacht.

 

Solche Gedanken, solcher Seufzer schieben

Mir angstbeklemmend einen Stein aufs Herz,

Daß Amor drin erstirbt: So packt ihn Not;

 

Denn in sich tragen jene voller Schmerz

Der Herrin süßen Namen eingeschrieben

Und viele Worte über ihren Tod.

 

 

 

 

 

 

 

 

Vierundzwanzigstes Sonett

 

Ihr Pilger, die ihr in gemessnen Schritten

Die Stadt durchwandelt und wohl ferner Lieben

Gedenkt – ihr seid hier fremd an Art und Sitten

Und kennt die sorgen nicht, die uns betrüben.

 

Wär euch bekannt, was wir um sie gelitten,

Ihr wäret nicht so teilnahmslos geblieben

Und würdet trocknen Auges auch inmitten

Der Trauerstadt nicht eure Andacht üben.

 

Wenn ihr en Fuß wollt hemmen, soll mein Mund

Beweglich Klage führen euern Ohren,

Und weinend scheidet ihr aus unsern Gassen.

 

Hört: Beatricen haben wir verloren!

Das Gute alles, was von ihr uns kund,

Wird keines Menschen Auge trocknen lassen!

 

 

 

 

O Pilger, die ihr in Gedanken geht

Vielleicht um Dinge, die euch ganz entlegen,

Kommt ihr von Leuten her auf fernen Wegen,

Wie es im Antlitz euch geschrieben steht?

 

Den tränenlos nicht kämt ihr sonst geschritten

Hinmitten durch die stadt, die schmerzlich weint,

Wie jene tun, die gar nichts, wie es scheint,

Vom schweren Leid gehört, das sie erlitten.

 

Wenn ihr verweilt, weil euch Gehör behagt,

Gewiß, es sagts das Herz der Seufzer mir,

Daß weinend ihr dann würdet weiterwandern.

 

Geraubt ihr ihre Beatrice ihr:

Und gibt es Worte, die von ihr man sagt,

Sie zwängen auch zu weinen jeden andern.

 

 

 

Fünfundzwanzigstes Sonett

 

Hoch übern weitsten Reigentanz der Sphären

Aus tiefstem Herzen mir der Seufzer schwillt.

Liebe reißt ihn empor, wo ihn durchquillt

Ein reinres Anschaun durch die Kraft der Zähren.

 

Und ist er dort, so sieht er sich verklären

Im Himmel ein verehrtes Frauenbild,

Des Pilgers Erdensehnsucht ist gestillt:

Erstaunt sieht Wunder er, die ewig währen.

 

Wie er sich in ihr Anschaun ganz versenkt,

Wagt er dem Herzen, daß ihn stumm befragte,

Ein rätselhaft Geheimnis zu vertrauen,

 

Das von der Ursach meiner Trauer sagte. –

Weil stets mein Herz an Beatricen denkt,

Versteh ich Wort und Sinn, ihr guten Frauen!

 

 

 

 

Über die Sphäre, die am weitsten kreist,

Schwingt sich der Seufzer, den mein Herz entsendet:

Neue Erkenntnis, die ihm Amor spendet

In Tränen, ist es, die ihn aufwärts reißt.

 

Kommt er dort an, wohin ihn Sehnsucht weist,

Sieht eine Frau er, deren Ruhm nie endet

Und die so strahlt, daß, weil sie Glanz umblendet,

Hinschaut zu ihr der wanderfrohe Geist.

 

Er sieht sie so, daß, ob Bericht er schenket,

Ichs nicht begreif, so dunkel gehn die Worte

Zum trüben Herzen, das ihn reden lehrt.

 

Ich weiß, er spricht von ihr, dem Tugendhorte,

Denn weil er Beatricens oft gedenket,

Versteh ichs wohl, ihr meine Frauen wert.

 

 

 

Antwort von:     Cecco Angiolieri

 

 

 

 

 

 

„Die ihr die Liebe kennt, ihr edeln Frauen“,

Euch sei gewidmet dieses Neue Leben,

In Eure zarten Hände laßt michs geben,

Das Herz und Geist sich köstlich dran erbauen.

 

Die Göttliche Komödie schafft euch Grauen,

Ich weiß es wohl – die Hölle macht euch beben,

Der Berg der Läutrung kann euch nicht erheben,

Das Paradies sehnt ihr euch nicht zu schauen.

 

Hier aber grüßt euch eine Dichterliebe,

Wie reiner, keuscher keine Hand sie schriebe;

Als jungen seht ihr hier den alten Dante.

 

Er stimmt ein Loblied an auf Frauentugend,

Die Schönheit preist er und die Herzensjugend –

All das, wofür von je der Mann entbrante!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verstreute Sonette

 

1.

 

Guido und Lapo! wenn doch ihr und ich

Geschwind entrückt durch Zauberkünste wären

In eine Barke, die uns nach Begehren

Durchs Mehr hintrüge, wie der Wind auch strich!

 

Nicht Sturm noch Schicksals Ungunst dürfte sich

Erdreisten, uns die Lustfahrt zu erschweren,

Das nichts uns könnte je den Wunsch verwehren,

Vereint zu bleiben recht einmütiglich.

 

Dann müßte unsder gute Zauber auch

Nach Vanna, Bice und die Jungfrau bringen,

Ihr wißt: von der als dreißigster wir singen.

 

Wir plauderten, wies bei Verliebten Brauch,

Von liebe nur; dann sollte von den drein

Wie wir so froh und glücklich jede sein!

 

 

 

 

Guido, ich wünschte: dich, Lapo und mich

Ergriff ein Zaubrer und versetz geschwinde

Uns in ein Schifflein, das bei jedem Winde

Das Meer durchführ, wie ihr es wollt und ich,

 

Daß weder Sturm noch andre Ungunst sich

Erkühnte, daß es uns die Flügel binde,

Auch daß ein jeder Lebenslust empfinde

Und keinen jemals Trennungswunsch beschlich.

 

Daß Monna Vanna, Monna Lagia dann

Und die, der Nummer Dreißig ist beschieden,

Der gute Zauberer uns herverschriebe;

 

Und daß wir sprächen immer nur von Liebe,

Und ihrer jede wäre so zufrieden,

Wie wir uns, glaub ich, selbst erfreuten dran.

2+3 Auf Beatricens Trauer beim Tode ihres Vaters

 

I.

 

Ihr Frauen, deren Blick von Mitleid feucht,

Wer ist es, die der Gram hat überwunden?

Wär sie es, die die Herrlichste mich deucht

Und Sinn und Herz erfüllt zu allen Stunden?

 

Die Fülle der Gestalt scheint hingeschwunden,

Und von so schmerzlicher Verändrung zeugt

Ihr Aussehn, daß ich wieder kaum gesunden

Sie, der sich alles huldgend einst gebeugt!

 

Daß du die Freundin mit den Kummerfalten

Nicht gleich erkannt, kann uns nicht staunen machen;

Uns selber will sie eine andre scheinen.

 

Doch wirst du sie für unverändert halten,

Wird erst des Auges Glanz dir wieder lachen –

Nun, Qualbedrückter, geh und still dein Weinen!

 

 

II.

 

Von wannen kommt ihr so gedankenschwer?

Ich bitt euch, sagt es mir aus Freundlichkeit!

Mir bangt: es schreibe euer Herzeleid

Sich gar von meiner teuern Herrin her.

 

O liebe Frauen, hemmt nur kurze Zeit

Den Schritt, und sprecht – ich bitte euch gar sehr –

Zuliebe meinem Schmerz! Nichts freut mich mehr,

Als wenn von ihr zu sprechen ihr bereit.

 

Und ob mir der Bericht mit Schmerz auch danke,

So arg hat mich die Liebe schon verstört,

Daß, was sie tut, mich hin ans Ende bringt.

 

Ihr seht, wie ich dem Grab entgegenwanke,

daß mir kein einzger Sinn mehr angehört,

Wenn mir kein Wort von euch zum Troste winkt!

 

 

 

 

 

Ihr Frauen, deren Wesen Mitleid zeigt,

Welch eine Frau liegt dort besiegt von Schmerzen?

Wär sie es, deren Bild ich trag im Herzen?

Ach, wenn sies ist, nicht länger mirs verschweigt!

 

Traun, ihre Haltung macht sie so unkenntlich,

Und ihr Gesicht scheint mir so harmgebleicht,

Daß, wie mir dünkt, sie nicht mehr jener gleicht,

Die andre Fraun beseligte unendlich.

 

„Wenn fremd dir unsrer Herrin Züge waren,

Die so besiegt ward, ists kein Wunder eben,

Da wir das gleiche an uns selbst erfahren.

 

Doch wird sie, willst du acht des Adels geben

In ihren Augen, sich dir offenbaren:

Nicht weine mehr, fast schon ist hin dein Leben.“

 

 

 

 

Von wannen kommt ihr so gedankenschwer?

Sagt mirs, ich bitte, wollt so freundlich sein!

Weil ich besorgen muß, die Herrin mein

Hab schuld, daß ihr so traurig kommt daher.

 

Ach! edle Frauen, laßt nicht Zorn gewahren,

Bleibt stehn auf diesem Weg noch etwas mehr

Und sagts dem Ärmsten, der sich sehnt so sehr,

Von seiner Dame etwas zu erfahren,

 

Obgleich mir jede Nachricht bitter schmeckt,

Seitdem so ganz sich Amor von mir kehrte,

Daß all sein Tun mein Ende nur bezweckt.

 

Bemerket wohl, wie ich mich schon verzehrte,

Denn jeder Lebensgeist will fliehn erschreckt,

Wenn, Fraun, nicht euer Mund mir Trost bescherte.

 

4.

 

Am Allerheilgentag, der jüngst vergangen,

Sah ich von Frauen einen holden Zug;

Der vordersten, stattlich und schön genug,

Sah ich am rechten Arm den Amor hangen.

 

Dem Aug entquoll ein Licht, das Flammen schlug,

Gleich einem Geist, von Himmelsglanz umfangen.

Ich sah, als ich besiegt mein scheues Bangen,

Ein Bild, das eines Engels Antlitz trug.

 

Nur dem, der ihrer würdig, schien sie Grüße

Mit ihrer Augen Schimmer darzubringen –

Fromm ward ein jedes Herz durch solche Gnade!

 

Vom Himmel, glaub ich, stieg herab die Süße,

Um Huld und Heil zu streun auf ihre Pfade

O selig, die an ihrer Seite gingen!

 

 

 

 

Von Frauen sah ich eine holde Schar

Am Allerheiligentag, der jüngst verflossen,

Und eine ihrer, die die erste war,

Führte Amor zur Rechten als Genossen.

 

Aus ihren Augen strahlte mir ein Licht,

Das wie ein glutentbrannter Geist mich deuchte:

Und als ich mich erkühnt, ihr ins Gesicht

Zu sehn, sah ich, daß drin ein Engel leuchte.

 

Es grüßte den dann, wer ihr würdig schien,

Mit ihren Augen diese Hohe, Milde,

Daß jedem Herzen Frohmut ward verliehn.

 

Ich glaub, sie stammt aus himmlischem Gefilde,

Und daß der Welt sie, uns zum Heil, erschien:

Drum selig, die da naht dem Engelsbilde!

5.

 

Ihr süßen Reime, die ihr singend geht,

Kündend das Lob der Krone aller Frauen,

Bald werdet ihr bei euch hier einen schauen,

Von dem ihr sprecht: Hier ist ein Bruder, seht!

 

seid denn beschworen! brünstig angefleht

Bei dem, dem manche Frau wohl schenkt Vertrauen;

Auch dürft ihr nie auf seine Worte bauen,

weil drin kein kleinster Hauch von Wahrheit weht.

 

Doch überredet er euch listgewandt,

der holden Herrin an die Brust zu schwirren,

So zaudert nicht, flieht hin und singt und sagt:

 

Vielliebe Herrin, wir sind hergesandt,

Für den zu bitten, der in Weh und Wirren

Nach seiner Augen Trost voll Sehnsucht fragt!

 

 

 

O süße Reime, die ihr sprecht von ihr,

Der holden Frau, die andrer Ehrenzier ist,

Es naht euch einer, fallst er noch nicht hier ist,

Von dem ihr sagt: „Seht unsern Bruder hier.“

 

Hört ihn nicht an beschworen seid von mir

Bei jenem Herrn, der Liebe schenkt den Frauen!

In seinem ganzen selbst ist nichts zu schauen,

Nichts, was der Wahrheit Freund wär oder Zier.

 

Und wenn vielleicht sein Wort euch überredet,

Dahin zu gehn, wo eure Herrin weilt,

So fliegt zu ihr, laßt euch kein Säumen taugen!

 

Und sagt: Madonna, wir sind hergeeilt,

Den zu empfehlen, den der Schmerz befehdet

Und fragt: „Wo ist die Sehnsucht meiner Augen?“

6.  

 

Aus meiner Herrin Augen strahlt ein Glühen

So wonnevoll, daß – wo es immer tagt –

Man Dinge sieht, die man nicht malt noch sagt,

So ungewohnten Zauber wirkt ihr Sprühen.

 

Doch keine Freuden meinem Herzen blühen

Aus diesem Glanz – nein! Furcht macht es verzagt

Daß nimmer es zu ihm die Rückkehr wagt,

Und Schmerz bestraft der Sehnsucht eitles Mühen.

 

Und heb’ ich furchtlos auch die Augenlider,

Und lasse dreist zurück die Blicke gleiten

Dahin, wo sie schon schmählich unterlegen –

 

Aufs neue schließen sich die Augen wieder,

Der Wunsch erstirbt, der erst sie wollte leiten;

Schenk du mir, Amor, drum des Trostes Segen.

 

 

 

 

Aus meiner Herrin Augenpaar entspringt

Ein Licht so hold, daß, wo es nur mag strahlen,

Man Dinge sieht, die keiner könnte malen,

Weil Hoheit sie und Seltsamkeit durchdringt.

 

Von seinen Strahlen übers Herz mir regnet

Solch eine Furcht, daß sie mich macht erbeben;

Ich schwör: dorthin mich nie mehr zu begeben,

Doch jeglicher Entschluß bleibt ungesegnet.

 

Ich kehre dahin, wo ich überwunden,

Mut werbend den erschreckten Augen wieder,

Die eben fühlten diese große Macht.

 

Doch bin ich dort, ach! sinken sie mir nieder,

Der Wunsch selbst, der sie hintrieb, ist entschwunden:

Drum, Amor, habe meines Zustands acht!

 

 

7.

 

Ihr Worte mein, die ich der Welt geschenket,

Entstanden, als zuerst für sie michs trieb,

Die mich enttäuscht, daß ich dies Lied ihr schrieb:

„Die ihr im Geist den dritten Himmel lenket.“ –

 

Laßt mich, ihr kennt sie ja, euch zu ihr schicken,

Klagt, bis das Leid sie hört, das uns verletzt,

Sagt ihr: „Wir sind die Euern; doch für jetzt

Sollt Ihr in größrer Zahl uns nicht erblicken.“

 

Bleibt nicht bei ihr, weil Amor dort nicht weilet;

Nein, geht umher in Trauerkleidung wieder,

Daß ihr das Los der ältern Schwestern teilet.

 

Und wenn ihr eine edle Frau ereilet,

Werft ihr zu Füßen demutvoll euch nieder

Und sprecht: „Von uns sei Ruhm Euch zuerteilet!“

 

 

 

 

8.

 

Wer blickte jemals, ohne zu verzagen,

Wohl in die Augen diesem hübschen Kinde,

Das mir so zusetzt, daß ich fast geschwinde

Den Tod erwarte, der so schwer zu tragen?

 

Ihr seht, wie stark das Schicksal mich geschlagen,

Das grade auf mein Leben lüstern war;

Zur Warnung, daß sich niemand in Gefahr

Begeb, will er sie anzuschauen wagen.

 

Vorausbeschlossen war mir, so zu enden;

Nur einer wird dem Untergang geweiht,

Daß aus Gefahr es andern Rettung leiht.

 

Und darum, ach! war ich so schnell bereit,

Des Lebens Gegenteil mir zuzuwenden,

Wie Sterne ihren Glanz der Perle spenden.

 

 

 

 

9.

 

Siehst meine Augen lüstern du nach Zähren

Ob neuen Jammers, der mein Herz durchzieht:

Bitt ich bei jener, die nie von dir schied,

Herr, solcher Lust die Heilung zu gewähren!

 

Von deiner Rechten, mein ich, laß ihn strben,

Der alles Recht würgt und dann ins Gebiet

Des großen Wütrichs, der ihm Gift reicht, flieht,

Das er ergoß, die Welt drin zu verderben.

 

Solch eine Eisesfurcht hat er gesandt

In deiner Treuen Herz, daß alle schweigen;

Du aber, Licht des Himmels, Liebesbrand,

 

Die Tugend, die sich nackt und bloß muß neigen,

Erhebe sie, gehüllt in dein Gewand:

Der Welt ist ohne sie kein Friede eigen!

 

 

 

10.

 

Von jenem Stern, der seine Bahn durchkreist,

Wie ihn des Empyreums Taue ziehen,

Dem Macht zwischen Saturn und Mars verliehen,

Wie es der Astrologe uns beweist,

 

Ward ihr, die mich durchhaucht mit ihrer Lust,

Die Kunst der Zepterführung eingeflößt;

Und die sich nie vom vierten Himmel löst,

Macht meiner Sehnsucht Wirkung ihr bewußt.

 

Auch vom Merkur, dem strahlenden Planeten,

Wird Vollkraft ihrer Sprache aufgedrückt,

Und nah will ihr der erste Himmel treten.

 

Sie, die zum dritten Himmel hingerückt,

Hält rein ihr Herz mit Worten, hold-beredten:

So ist mit allen sieben sie geschmückt.

 

 

11.

 

Auf jenem Pfade, den die Schönheit zieht,

Wenn sie beginnt, die Liebe zu entzünden,

Da werdet eine stolze Frau ihr finden,

Die mich mir selber zu entziehen riet.

 

Wenn sie sich nah der Burg des Schweigens sieht,

Ob ihr Gemüt auch Beifall mag empfinden,

So wird ein Ruf ihr diese Warnung künden:

„Fort, schöne Frau, nicht näher kommt – entflieht!“

 

Denn da sie selbst der Herrschaft Zepter will,

Die hohe Herrin, die hier oben thront,

Muß Amor ihrem Wunsch Erfüllung spenden.

 

Hört diese so sich mahnen, - ernst und still

Von jenem Ort, wo Amor wirkt und wohnt,

Sieht man die Jungfrau schamrot heim sich wenden.

 

 

 

 

Auf jenem Wege, den die Schönheit wählt,

Will Liebe wecken sie im Geist tiefinnen,

Wandelt Lisetta hin mit stolzen Sinnen

Gleich der, die mich mir zu entziehn sich quält.

 

Als sie den Fuß von jener Burg erreicht,

Die, billigt es das Herz, sich will ergeben,

Hört einen Ruf sie plötzlich sich erheben:

Fort, schöne Jungfrau, nahet nicht, entweicht!“

 

Denn als die Herrin, die am hohen Ort

Regiert, gefordert hat der Herrschaft Zeichen,

Gab Amor das Verlangte ihr sofort.

 

Als jene sieht aus solchem Warnungswort,

Daß sie von da, wo Amor wohnt, soll weichen,

Ganz schamgerötet kehrt sie um von dort.

 

 

12. An Messer Cino da Pistoja

 

Ich hatte, glaubt ich, ganz mich abgewandt,

Meister Cino, von diesem Euerm Dichten;

Denn nunmehr muß ich andern Pfades richten

Mein Schifflein, das entfernt schon ist vom Strand.

 

Doch weil Ihr selbst mir oftmals habt bekannt,

Ihr ließest Euch von jedem Häkchen fangen,

So will ich doch noch einmal flüchtig langen

Nach dieser Feder mit der müden Hand.

 

Wer sich verliebt, wie Ihr pflegt immer noch,

Bei jedem Reiz sich bindet und entwindet,

Der zeigt, daß Amor ihn verletzt nur leicht.

 

Wenn Euer Herz so vielfach Neigung findet,

Bei Gott, dies bitt ich Euch, so besserts doch,

Daß Euer Tun den schönen Worten gleicht.

 

 

Antwort von Messer Cino da Pistoja

 

 

13. An Messer Cino da Pistoja

 

Weil ich hier keinen hab, Gespräch zu treiben

Von jenem Herrn, dem beide wir ergeben,

Muß ich, befriedigend mein heißes Streben,

Dir, was ich Gutes denk und sinne, schreiben.

 

Kein andrer Grund dich mir entschuldigen kann,

Weshalb so lang und ärgerlich ich schwiege,

Als daß mich hier solch Elendsort umschmiege,

Darin das Gute niemals Platz gewann.

 

Kein Weib, Amorn im Antlitz, siehst du schreiten

Und keinen Mann allhier, sie anzuschmachten,

Und tät ers, würde Spott es ihm bereiten.

 

Ach, Meister Cino, anders sind die Zeiten,

Die uns und unsern Liedern Schaden brachten,

Seit wenig Ehre sie dem Guten machten!

 

 

Antwort von Messer Cino da Pistoja

 

 

 

14.

 

Auf meines Geistes Höhe sind zwei Frauen,

Von Liebe dort zu reden, eingekehrt;

Eine hat Höflichkeit und Tugendwert,

Klugheit bei sich und sittsames Vertrauen.

 

Die andre deckt der Schönheit Anmutshülle,

Und Schmuck des Adels ist es, was sie ehrt;

Und ich, weil mirs mein hoher Herr beschert,

Ich steh zu Füßen ihrer Herrscherfülle.

 

Schönheit und Tugend sich dem Geist vertrauen

Und fragen: kann ein Herz wohl sicher ruhn

Mit voller Liebe mitten zweier Frauen?

 

Es spricht der edeln Rede Quelle nun:

Schönheit kann man, läßt sie uns Freude schauen,

Und Tugend lieben zu erhabnem Tun.

 

 

 

15.

 

In Eure Hand, edle Gebieterin,

Befehl ich meinen Geist, der sterbend flieht,

Und so betrübt, daß ihm selbst Amor sieht

Voll Mitleid nach, wie er ihn schickt dahin.

 

Ihr bandet ihn an seine Macht alleine,

Sodaß er alle Kraft nun sieht zerbrechen

Bis auf die eine, um ihn anzusprechen:

„Herr, wie du willst, dein Wille ist der meine!“

 

Ich weiß, daß jedes Unrecht Euch mißfalle;

Daher der Tod, weil unverdient gegeben,

Viel bittrer mir das Herz beschwert mit Leid.

 

Drum, edle Frau, solang ich noch am Leben,

Daß ich, getrost dahin in Frieden walle,

Für meine Augen nicht so geizig seid!

 

 

 

16.

 

Seht ihr denn keinen, Frau, der sich verzehre

Und weinend geh, weil er so trostesbar?

Ich bitt Euch, nahmet Ihr ihn noch nicht wahr,

Daß Ihr ihn doch erkennt, bei Eurer Ehre!

 

Er geht verfärbt dahin und so verzagt,

Daß es für einen Toten könnte taugen,

Und trägt solch einen Schmerz in seinen Augen,

Der ihm, sie aufzuschlagen, Kraft versagt.

 

Und wenn ihn jemand mitleidsvoll betrachtet,

So bricht sein Herz ihm ob der Tränenbürde,

Daß seiner Seele Schmerz die Augen rötet.

 

Und wenn er nicht sofort entfliehen würde –

So laut ruft er nach Euch, der seufzend schmachtet,

Daß jeder spräch: „Nun weiß man, wer ihn tötet!“

 

 

 

17. An Bernardo di Bologna

 

Weh mir, ich seh, daß eine Herrin kommt,

Mit großer Macht mein Leben zu erringen,

So zornig, daß zu Tod und Flucht zu zwingen

Sie alles sucht, was ihm zum Leben frommt.

 

Drum bleibt das Herz, das so die Qual erregt,

Ganz ohne Hilfe und in Einsamkeit,

Und unentrinnbar scheints dem Tod geweiht

Um einen Wunsch, den Amor darin hegt.

 

Mit also großem Kampf besiegt der Tod

Mein Leben, rings das Herz mir zu umschmiegen,

Das Amor schon erschöpft durch sein Bekriegen

 

Für jene Frau, die fortzugehen droht,

Als ob ihr Scham erwüchs aus ihren Siegen,

Weshalb er es bekämpft bis zum Erliegen.

 

 

18. An Cino da Pistoja

 

Mir ward schon in der frühsten Kindheit Tagen,

Im neunten Jahr, der Liebe Lust geschenkt.

Ihr Jubeln kenn ich und ihr zweifelnd Zagen,

Weiß: wie das Herz sie zügelt, spornt und lenkt.

 

Vernunft und Kraft kämpft wider ihre Plagen

So aussichtslos wie einer, der da denkt:

Blitzschwangre Wolken, die am Himmel jagen,

Leicht zu zerstreun, wenn er die Glocken schwenkt.

 

Der Tummelplatz, wo sie zum Kampf uns zwingt,

Läßt frei nicht unsern freien Willen schalten,

Wie auch der beste Rat nie Sieg uns bringt.

 

Indes, kaum will der alte Reiz erkalten,

Aufs neu ihr Sporn uns in die Flanke dringt,

Um lockend andern Reiz uns zu entfalten!

 

 

 

Ich bin mit Amor innig schon vereint,

Seitdem die neunte Sonne mich umflügelt,

Und weiß, wie er den Stachel braucht und zügelt,

Und wie man drunter lacht und ächzend weint.

 

Wer gegen ihn Vernunft und Kraft verschwendet,

Gleicht dem, der Sturmesläuten läßt ertönen

Und glaubt, daß er damit des Donners Dröhnen

Und Wetters Blitzgefahren bricht und endet.

 

Denn auf dem Platze ihres Ringgefechtes

War Willensfreiheit niemals frei von Schranken,

Sodaß ein Rat im Kampf vermag nichts Rechtes.

 

Doch kann er kitzeln neuen Sporns die Flanken;

Und, wem er weckt die Triebe des Geschlechtes,

Folgt neuer Lust, um alte abzudanken.

 

19.

 

Gemeinde, weh! wie seh ich Not dir drohen

Von Schächern dies- und jenseits deinen Bergen!

Und meist sind eigne Kinder deine Schergen,

Die stützen sollten deinen Thron, den hohen.

 

Am ärgsten handeln, die dich müßten ehren,

Vor denen kein Gebot dich schützen kann:

Mit Haken, Beil und Säge ziehn sie an,

Allein bedacht, den Raub noch zu vermehen.

 

Nicht einer bleibt getreu dem armen Lande;

Der macht den Stab sich, der die Schuh zu eigen,

Der plündert dich raublustig am Gewande.

 

Weil du dich mußt vor jeder Untat neigen,

Gedenkt auch nicht ein einziger deiner Schande,

Und ob du sinken mußt bei seinem Steigen!

 

 

 

 

23.  An Messer Brunetto Brunelleschi

 

Meister Brunetto, dieses Jüngferlein

Kommt her, bei Euch zu Osterzeit zu hausen;

Versteht mich recht, nicht Ostern zu verschmausen,

Sie schmaust nicht, aber will gelesen sein.

 

Ihr Inhalt reizt wohl nicht zur Eile hin,

Paßt auch für keinen Lärmort noch für Possen,

Doch öftern Schmeichelns sei man nicht verdrossen,

Bevor sie sich verständlich macht dem Sinn.

 

Wenn Ihr sie nicht versteht auf diese Art,

Gibts viele Brüder Albert unter Euch,

Um zu verstehn, was ihnen ich hier sende.

 

Plagt Euch mit ihnen und das Lachen spart:

Falls ihnen sich nicht jeder Zweifel scheuch,

So geht zu Messer Giano hin am Ende!

 

 

 

 

 

 

 

 

Gezänk Dantes mit Forese Donati

 

Dante Alighieri

Forese Donati

 

Wer husten hörte die bedauernswerte

Gattin des Bicci, der Forese heißt,

Muß glauben, daß sie aus dem Land erst kehrte,

Wo alles Wasser rasch zu Glas vereist.

 

Kann der August ihr Schnupfen schon bereiten,

Dann denk, was soll die andern Monde werden!

Umsonst schläft sie bestrumpft in solchen Zeiten;

Cortonas Wolle heilt nicht die Beschwerden.

 

Denn Husten, Frost und was ihr drückt das Herz,

Sind schlechter Säfte halber nicht ihr eigen;

Nein, andres mangelt ihrer Schlummerstätte.

 

Die Mutter weint (sie hat noch andern Schmerz)

Und klagt: Ach, daß um ein paar trockne Feigen

Sie jetzt zum Mann den Grafen Guido hätte!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verwichne Nacht kam mir ein großer Husten,

Weil ich nichts Warmes hatte umzubinden;

Doch kaum wars Tag, galt es Verdienst zu finden

Für mich, und wenig durft ich mich verpusten.

 

Nun höre man, welch Glück ich sollte haben:

Ich glaubte, voll von Perlen eine Büchse

Zu finden und rotgoldne schöne Füchse,

Und fand den alten Aldiger im Graben,

 

Verschnürt mit Knoten, wie kein Weiserer sie

Je verknüpfte, wenn nicht Salomo der Weise;

Drauf ich kreuzschlagend mich gen Osten wandte.

 

Und jener rief: Mach doch aus Huld für Dante

Mich frei! – Doch sah ich keinen Ausweg, wie?

Drum kehrt ich um, beendend meine Reise.

 

Dir werden Salomonis Knoten schnüren,

Bicci Novello, einst die Rebhuhnbrüste;

Doch schlimmer noch gebratnen Schöps ich wüßte,

Denn Rache wird am Fleisch sie Haut vollführen.

 

Ja brummen wirst du in San Simons Ketten,

Drückst du dich nichz rechtzeitig durch die Lappen;

Und schlemmst du weiter so bei fetten Happen,

Siehst du zu spät, daß nichts dich kann erretten.

 

Doch kennst du einen Trick, wie man mir sagte,

Der dir, wenns wahr, heraushilft aus der Tunke,

Weil großen Vorteil du damit erschlichen.

 

Und immer, wenn es heißt: nun, Freundchen, zahle,

Übst ungestört du diesen Witz, Halunke;

Doch Stagnos Söhnen hat mans angestrichen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Geh, zieh San Gallos Kleider an und spar

Ob andrer Leute Armut Weisheitsphrasen,

Weil du zu stark das Mitleid angeblasen

In diesem Winter bei der Freunde Schar.

 

Und hältst du für so arm uns wirklich auch,

Wie kommts, daß du von uns Trinkgelder pumptest? –

So viel aus Altafrontes Schlosse lumptest

Du doch zusammen, daß längst voll dein Bauch!

 

Doch gut wärs, daß dir bald die Arbeit munde,

Weil Gott dich läßt für Franz und Tana schwitzen;

Belluzzo nur wird nichts von dir erbitten.

 

In Pintis Krankenstall nur schnell gesunde:

Schon seh ich, scheint mirs, euch beim Mahle sitzen

Und Aldigern im Bettlerkleid als Dritten.

 

Bicci Novel, du Sohn ich weiß nicht wessen,

Wollt ich Frau Tessa nicht darob befragen,

Er hat sich also vollgepfropft den Magen,

Daß er jetzt fremdes Gut klaut gar vermessen.

 

Schon halten ängstlich vor ihm fest die Leute

Die Börse, wenn er nahebei zu schauen,

Und flüstern: Der im Antlitz so zerhauen,

Geht öffentlich als Taschendieb auf Beute!

 

Und schlaflos seinethalb im Bett liegt einer

Aus Furcht, es ging als Dieb dem an den Kragen,

Der so, wie Christus Josefs Sohn, auch seiner.

 

Von Bicci und den Brüdern muß ich sagen:

Ihr Blut, an Ursprung ist wohl keins gemeiner,

Läßt viel sie bei den Schwägerinnen wagen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wohl hat als Sohn dich Aldiger gedrechselt,

Und aus der Rache hab ichs spitz bekommen,

Die du für ihn so schnell und scharf genommen

Am Adler, den er unlängst erst gewechselt.

 

Wenn einen du gevierteilt und erschlagen,

Kein rascher Friede würde dich erbosen:

Doch hast du gleich danach so voll die Hosen,

Daß sie zwei Esel schwerlich könnten tragen.

 

Dreist sag ichs, gut ist die Moral dabei:

Du hältst, wer dich mit Prügeln durfte schmieren,

So wert, als ob er Freund und Bruder sei.

 

Dir die zu nennen, sollt mich nicht genieren,

die drauf gewettet schon; doch sag ich frei,

Sie alle zählen, hieße Zeit verlieren!