1260 – 1312
(In Bezug auf Sonett 25 des
Neuen Lebens)
Hör, Dante: Cecco will als
Freund und Knecht
Sich dir, als seinem gütigen
Herrn, empfehlen.
Jedoch beim Liebesgott, der
oft zu stehlen
Dein Herz schon wußte, bitt
ich nun dioch recht,
Mir zu verzeihn, wenn mir es
glückt nur schlecht.
Doch läßt dein gutes Herz
Erfüllung hoffen;
Drum wisse, daß den Leser –
ich sags offen –
Irrezuführn sich dein Sonett
erfrecht!
Denn scheinbar willst du uns
zuerst vertrauen,
Daß du den Tiefsinn und das
Radebrechen
Von Beatricen selber nicht
verstanden;
Dann aber schwörst du deinen
holden Frauen,
Daß du den Unsinn doch
verstehst! – Abhanden
Kam dir der Witz, dich so zu
widersprechen!
Freund Dante, scheint mein
Kopf dir eine Schüssel
voll Torheit, so kannst du mit
mir dich messen;
Ich schlucke wie auch du
geschenktes Fressen,
Ich steck wie du in fremden
Napf den Rüssel.
Ich schere Tuch, du schwingst
die Weberkarden,
Ich prahle gern, lobst du
dicht nicht famoser?
Ich hab ein loses Maul, ist
deins nicht loser?
Ich spiel den Römer, du
spielst den Lombarden.
Zum Teufel denn! Wenn wir mit
Unflatwürfen
Noch länger umgehn, sind wir
zwei Idioten,
Weil wir die gleiche
Unglückstunke schlürfen.
Drum sprich: willst du dich
ferner mit mir boxen?
Gut denn! ich schreib den Text
zu deinen Noten
Mit meiner Peitschenschnur
aufs Fell dir Ochsen!
Freund Dante will nicht, daß
sich meines Lobes
Becchina freu, mein Schatz! –
Er macht sich wichtig
Und ist ein Messinggulden nur,
ganz nichtig;
Scheint Zucker, doch ist salz
– und zwar recht grobes.
Scheint Weizenbrot und ist nur
Mais zu nennen;
Ein Hundehüttlein: protzt er
gleich dem Turme,
Ein Falk: flieht gleich der
Krähe vor dem Sturme,
Ein Hahn? Der Kenner zählt ihn
zu den Hennen!
Geh, mein Sonett, dreist nach
Florenz hinein
Und sag den Frauen und den
Jungfräulein:
Was Dante anstellt, ist nur
leerer Schein.
Ich aber mach ihn deutlicher
bekannt
In König Karls, des guten
Grafen, Land:
Gerben will ich sein Fell mit
wuchtiger Hand.
Becchina, Schatz: einst pflegt
ich dich zu hassen
So sehr, wie ich dich jetzt
von Herzen liebe! –
„Cecco, wenn Mißtraun in dein
Wort nicht bliebe,
Ich würde ganz mein Herz dir
überlassen.“ –
Becchina, Schatz: o wollte
dirs doch passen,
Ernstlich zu prüfen mich auf
meine Treue! –
[„Cecco, du sollst drei Tage
ohne Reue
Nicht würfeln, huren, saufen
oder prassen.“ -]
Becchina, Schatz: jetzt seh
ich klar zur Frist:
Ich werde niemals pflügen
deinen Anger;
Weil du verlangst was ganz
unmöglich ist! –
„Cecco, dein Demutsinn gibt
mir zu denken:
Nie wird sich Heil und Glück ins
Herz mir senken,
Bevor ich nicht neun Monde von
dir schwanger.“
Nach meinem Sinne lob ich mir
drei Sachen,
Die lieb ich als die besten
Zeitvertreiber:
Drei W sinds einzig:
Wirtshaus, Würfel, Weiber,
Dieohne Weh das Herz mir
hüpfen machen.
Doch bringen die mich selten
nur zum Lachen,
Weil leer mein Sack von unten
ist bis oben.
Und wird mir klar, daß alle
Lust zerstoben
Aus Geldesmangel, macht mich
Wut zum Drachen!
Drum ruf ich: Träf ein
Dolchstoß rasch den Satan
Von Vater. Zieht er doch so
knapp den Draht an,
Daß ich selbst Frankreich
ungelockt verließe.
Denn schwerer fällts ihm,
einen Pfennig schenken,
Zu Ostern selbst, wo jeder
mild im Denken,
Als daß ein Bussard auf den
Kranich stieße.
Dies ganze Jahr, in dem ich
mich von allen
Lastern gesäubert, die mich
schmückten – blieb
Das Saufen mir allein. – O
Herrgott lieb,
Mir zu verzeihen drob, mag dir
gefallen!
Denn morgens, wenn ich krieche
aus den Federn,
Ist mirs, als wär mit Salz mir
eingerieben
Der ganze Leib! – Wer wird da
nicht getrieben,
Die Zunge anzufeuchten, dürr
und ledern?
Doch schmeckt mir einzig süßer
Muskateller,
Denn mehr ist unser Landwein
mir abscheulich,
Als schickte mich mein holdes
Lieb zum Teufel.
Gelobt sei, wer den Wein
erfand! Denn heller
Macht er den Kopf mir und den
Tag erfreulich.
Auch ist nicht schlechter drum
mein Versgeträufel!
Ich darf den Sohn mich der
Verzweiflung nennen
Wars tiefster Seelenschmerz
doch, der mich zeugte;
Muß drum als Mutter jene
anerkennen,
Und Schwermut hieß die Amme,
die mich säugte.
Und meine Windel war ein
Sterbelaken,
Das graue Sorge heißt
gemeiniglich;
Vom Scheitel bis zur Sohle
gängeln mich
Nur dumme Streiche oder
lustige Schnaken.
Als ich erwachsen, hat man
sich versichert
Meiner Gesundung: und man gab
mir Narren
Ein Weibsbild, das von früh
bis abends kichert,
Als schnarrten tausend Saiten
von Gitarren:
Solch Weib paßt wahrlich gut
zum Waschgesinde,
Denn ihr Geschwätz ist nichts
als Spreu im Winde.
Steigt aus dem Bett mein
Weibchen froher Miene,
Und fehlt die Schminke noch am
rechten Platze,
Gibts auf dem ganzen Erdball
keine Fratze,
Die neben ihr nicht eine Venus
schiene.
Eh sie ihr Antlitz nicht mit
Farbstift, Puder,
Parfüm und Schönheitswasser
kann versorgen,
Scheint – die ganz bar der
Reize jeden Morgen –
Mir einer Hexe gleich dies
süße Luder!
Doch wenn sie sich gefärbt hat
und entpickelt,
Gelockt, gesalbt, so kann sie
keiner schauen,
Den sie nicht gleich für sich
erglühen machte.
Hat sie mich selber doch so
eingewickelt,
Daß oft mich ihr Geschnäbel
kann erbauen:
Ja, ich bin „wohlversorgt“ –
wer das wohl dachte?
Der grimme Haß, den ich mit
gutem Grunde
Im Herzen gegen meinen Vater
trage,
Verlängert ihm zum Ahasver die
Tage:
Bei Gott! ich hab davon
gewisse Kunde.
O Welt, vernimm, wie schlecht mirs
ging zur Stunde!
Ich bat ihn jüngst um eine
Flasche Krätzer:
Totschlagen wollt mich fast
der faule Schwätzer;
Und hundert Fässer eignen
diesem Hunde!
„Wenn ich, mir etwas Süßwein
abzulassen,
Gebeten hätte,“ sprach ich –
auf die Probe
Ihn stellend – ei! wie spuckte
gleich der Grobe.
Da sag noch einer, ich soll
ihn nicht hassen?
Ja, wer nur kennte alle seine
Mucken,
Der spräch: „Lebendig sollst
du ihn verschlucken!“
Wenn mir das Schicksal einen
Tag nur gönnte
Länger als er zu leben, der
mich kranken
Und darben läßt, wie wollt ich
Christum danken!
Doch eher wohl ich fliegen
lernen könnte.
Ja, eher stürzte Genuas
Hafenmole,
Bestürmt von eines Bocks
gehörntem Kopfe:
Er sinnt nur, daß er selber
voll sich pfropfe
Und durch kein Leibesloch sich
Krankheit hole.
Mein „lieber“ Vater ists, von
dem ich spreche,
Der größere Lust hat, ewig
mich zu plagen,
Als mich mein Auge, säh es
Gott dort oben.
Nun sagt, ob ich nicht Anlaß
hab zum Toben?
Denn jüngst hört ich den Arzt
Taddeo sagen:
„Der stirbt mit hundert erst
an Altersschwäche!“
Wenn ich im Munde hätte
tausend Zungen,
Und jede wär geschliffner
Stahl, daß gut
Sie predigten in Mönch
Pagliaios Glut,
Zu spinnen wär kein Faden mir
gelungen,
Der eine Dirne fester hielt,
als fest
Mein Vater hält, der Wucherer,
die Zechinen!
Auch läßt er sich zum Schutz
den Schafspelz dienen,
Daß nicht den Fra Gaudente
holt die Pest.
Der Tod selbst hat zu fürchten
ihn, wohl Grund;
denn wenn er schlüpft in seinen
Bauch – ich wüßte:
Der Tod krepiert, und Vater
wird gesund!
Denn Leder ist sein Fell,
Stahl sein Gerüste,
Und wer im Turm gen Himmel
steigen wollte,
Auf Vater seinen Grundstein
mauern sollte!
Wär ich ein Brand, ich wollt
die Welt entzünden,
Wär ich ein Sturm, ich wollt
in Dreck sie ducken;
Wär ich ein Meer, ich wollte
sie verschlucken,
Und wär ich Gott, ich ließ sie
ganz verschwinden.
Wär ich der Papst, da solltet
ihr erst spucken;
Denn alle Christenlümmel ließ
ich schinden.
Wär ich ein Kaiser, welch ein
Lustempfinden
Euch alle öpft ich ohne
umzugucken.
Wär ich der Tod, gleich holt
ich meinen Alten,
Wär ich das Leben, wollt ich
ihn verlassen –
Und so auch würd ichs mit der
Mutter halten!
Und wär ich Cecco – nun der
bin ich grade:
Drum ist kein hübsches Mädel
mir zu schade;
Was alt und häßlich, mag für
andre passen!
Die Teufel mags nicht zur
Verzweiflung treiben:
Einer entkam der Hölle, der
schon drin,
Und Cecco ists, der so benannt
ich bin
Und schon auf ewig glaubte
drin zu bleiben.
Doch also drehte sich das
Blatt: mein frommer
Erzeuger Angiolieri mußt
verrecken,
Der mich gequält im Winter und
im Sommer:
Ich aber darf nun Lust und
Freude schmecken!
Drum flieg, mein neu Sonett,
zu Cecco schnelle,
Zu dem, den jetzt verlocht die
Gruftkapelle;
Sag ihm, daß Fortarrigo noch
ganz munter
Und länger als Elias werde
leben
Und Enoch. Diese Nachricht
schluck er runter
Als Trost, um seine Schwermut
zu beheben.
So stark erkranket lag ich
jüngst im Bette,
Daß ich kein lautes Wort mehr
konnte lallen.
Und meine Mutter kam, daß sie
mich „rette“,
Mit einem Gift, dem stärksten
wohl von allen,
Daß es ein ganzes Meer
vergiftet hätte
Und nicht nur mich. Sie
sprach: „Hab Mut und trinke.“
Ich will nicht! gab ich zu
verstehn durch Winke;
Mich irrte nicht die
heuchlerische Glätte.
Sie sprach: „Willst du zu
trinken dich bequemen,
So wird es diese Krankheit von
dir nehmen“ –
Da wirklich! rein aus Furcht
ward ich gesund
Und sprach: „Mir fehlt nichts
mehr!“ mit lautem Mund
Und trank nicht! – Was sie je
ins Glas mir schänke,
Ich tränk es nie, selbst wenn
zuerst sie tränke!
Ich lag des Abends jüngst in
meinem Bette,
Und ehe ganz der Schlaf mich
noch benommen,
Da ah ich meine Mutte, die
vielnette,
Gleich einer Furie zornig zu
mir kommen.
Und schon aufs Bett sprang sie
wie eine Tolle
Und spreizte um den Hals mir
ihre Hände,
Als ob, beim Himmel! sie mich
morden wolle:
Hätt ich mich nicht gewehrt,
so wars zu Ende.
Wahrlich, so schlimm war selbst
Medea nimmer,
Als ihrs gefiel, den eignen
Sohn zu töten,
Daß meine Mutter mir nicht
vorkam schlimmer.
Sie wollte, weil von Mino ich
mein Erbe
Zurückverlangt, dem Schurken,
daß ich sterbe ...
Wenn ich nur lebe – geh das
Geld denn flöten!
Wenn man versterben könnt an
Herzenskummer,
So wären viele tot schon, die
noch leben.
Wenn Luzifer mich nicht am
Schopf grad eben
Gepackt hält, bin ich auch
solch eine Nummer!
Doch um so schlimmer will das
Ding mir scheinen,
Denn minder arg sind in der
Höllenfalle
Die Martern, Strafen,
Seelenqualen alle,
Als mich die allerkleinste
zwickt vo meinen.
Drum möcht ich nie gekommen
sein zur Erde,
Höchstens als Ding, das ganz
gefühllos ist;
Denn mit mir selber leb ich in
Entzweiung!
Es sei denn, daß die alte
Prophezeiung
Vom Weltenuntergang und
Antichrist –
Zeit wär es – endlich einmal
Wahrheit werde!