Cecco Angiolieri

1260 – 1312

 

 

In Übersetzungen von

Richard Zoozmann

 

 

 

An Dante Alighieri

(In Bezug auf Sonett 25 des Neuen Lebens)

 

Hör, Dante: Cecco will als Freund und Knecht

Sich dir, als seinem gütigen Herrn, empfehlen.

Jedoch beim Liebesgott, der oft zu stehlen

Dein Herz schon wußte, bitt ich nun dioch recht,

 

Mir zu verzeihn, wenn mir es glückt nur schlecht.

Doch läßt dein gutes Herz Erfüllung hoffen;

Drum wisse, daß den Leser – ich sags offen –

Irrezuführn sich dein Sonett erfrecht!

 

Denn scheinbar willst du uns zuerst vertrauen,

Daß du den Tiefsinn und das Radebrechen

Von Beatricen selber nicht verstanden;

 

Dann aber schwörst du deinen holden Frauen,

Daß du den Unsinn doch verstehst! – Abhanden

Kam dir der Witz, dich so zu widersprechen!

 

 

An Dante Alighieri

 

Freund Dante, scheint mein Kopf dir eine Schüssel

voll Torheit, so kannst du mit mir dich messen;

Ich schlucke wie auch du geschenktes Fressen,

Ich steck wie du in fremden Napf den Rüssel.

 

Ich schere Tuch, du schwingst die Weberkarden,

Ich prahle gern, lobst du dicht nicht famoser?

Ich hab ein loses Maul, ist deins nicht loser?

Ich spiel den Römer, du spielst den Lombarden.

 

Zum Teufel denn! Wenn wir mit Unflatwürfen

Noch länger umgehn, sind wir zwei Idioten,

Weil wir die gleiche Unglückstunke schlürfen.

 

Drum sprich: willst du dich ferner mit mir boxen?

Gut denn! ich schreib den Text zu deinen Noten

Mit meiner Peitschenschnur aufs Fell dir Ochsen!

 

 

 

Freund Dante will nicht, daß sich meines Lobes

Becchina freu, mein Schatz! – Er macht sich wichtig

Und ist ein Messinggulden nur, ganz nichtig;

Scheint Zucker, doch ist salz – und zwar recht grobes.

 

Scheint Weizenbrot und ist nur Mais zu nennen;

Ein Hundehüttlein: protzt er gleich dem Turme,

Ein Falk: flieht gleich der Krähe vor dem Sturme,

Ein Hahn? Der Kenner zählt ihn zu den Hennen!

 

Geh, mein Sonett, dreist nach Florenz hinein

Und sag den Frauen und den Jungfräulein:

Was Dante anstellt, ist nur leerer Schein.

 

Ich aber mach ihn deutlicher bekannt

In König Karls, des guten Grafen, Land:

Gerben will ich sein Fell mit wuchtiger Hand.

 

 

 

Becchina, Schatz: einst pflegt ich dich zu hassen

So sehr, wie ich dich jetzt von Herzen liebe! –

„Cecco, wenn Mißtraun in dein Wort nicht bliebe,

Ich würde ganz mein Herz dir überlassen.“ –

 

Becchina, Schatz: o wollte dirs doch passen,

Ernstlich zu prüfen mich auf meine Treue! –

[„Cecco, du sollst drei Tage ohne Reue

Nicht würfeln, huren, saufen oder prassen.“ -]

 

Becchina, Schatz: jetzt seh ich klar zur Frist:

Ich werde niemals pflügen deinen Anger;

Weil du verlangst was ganz unmöglich ist! –

 

„Cecco, dein Demutsinn gibt mir zu denken:

Nie wird sich Heil und Glück ins Herz mir senken,

Bevor ich nicht neun Monde von dir schwanger.“

 

 

 

Nach meinem Sinne lob ich mir drei Sachen,

Die lieb ich als die besten Zeitvertreiber:

Drei W sinds einzig: Wirtshaus, Würfel, Weiber,

Dieohne Weh das Herz mir hüpfen machen.

 

Doch bringen die mich selten nur zum Lachen,

Weil leer mein Sack von unten ist bis oben.

Und wird mir klar, daß alle Lust zerstoben

Aus Geldesmangel, macht mich Wut zum Drachen!

 

Drum ruf ich: Träf ein Dolchstoß rasch den Satan

Von Vater. Zieht er doch so knapp den Draht an,

Daß ich selbst Frankreich ungelockt verließe.

 

Denn schwerer fällts ihm, einen Pfennig schenken,

Zu Ostern selbst, wo jeder mild im Denken,

Als daß ein Bussard auf den Kranich stieße.

 

 

 

Dies ganze Jahr, in dem ich mich von allen

Lastern gesäubert, die mich schmückten – blieb

Das Saufen mir allein. – O Herrgott lieb,

Mir zu verzeihen drob, mag dir gefallen!

 

Denn morgens, wenn ich krieche aus den Federn,

Ist mirs, als wär mit Salz mir eingerieben

Der ganze Leib! – Wer wird da nicht getrieben,

Die Zunge anzufeuchten, dürr und ledern?

 

Doch schmeckt mir einzig süßer Muskateller,

Denn mehr ist unser Landwein mir abscheulich,

Als schickte mich mein holdes Lieb zum Teufel.

 

Gelobt sei, wer den Wein erfand! Denn heller

Macht er den Kopf mir und den Tag erfreulich.

Auch ist nicht schlechter drum mein Versgeträufel!

 

 

 

Ich darf den Sohn mich der Verzweiflung nennen

Wars tiefster Seelenschmerz doch, der mich zeugte;

Muß drum als Mutter jene anerkennen,

Und Schwermut hieß die Amme, die mich säugte.

 

Und meine Windel war ein Sterbelaken,

Das graue Sorge heißt gemeiniglich;

Vom Scheitel bis zur Sohle gängeln mich

Nur dumme Streiche oder lustige Schnaken.

 

Als ich erwachsen, hat man sich versichert

Meiner Gesundung: und man gab mir Narren

Ein Weibsbild, das von früh bis abends kichert,

 

Als schnarrten tausend Saiten von Gitarren:

Solch Weib paßt wahrlich gut zum Waschgesinde,

Denn ihr Geschwätz ist nichts als Spreu im Winde.

 

 

 

Steigt aus dem Bett mein Weibchen froher Miene,

Und fehlt die Schminke noch am rechten Platze,

Gibts auf dem ganzen Erdball keine Fratze,

Die neben ihr nicht eine Venus schiene.

 

Eh sie ihr Antlitz nicht mit Farbstift, Puder,

Parfüm und Schönheitswasser kann versorgen,

Scheint – die ganz bar der Reize jeden Morgen –

Mir einer Hexe gleich dies süße Luder!

 

Doch wenn sie sich gefärbt hat und entpickelt,

Gelockt, gesalbt, so kann sie keiner schauen,

Den sie nicht gleich für sich erglühen machte.

 

Hat sie mich selber doch so eingewickelt,

Daß oft mich ihr Geschnäbel kann erbauen:

Ja, ich bin „wohlversorgt“ – wer das wohl dachte?

 

 

 

Der grimme Haß, den ich mit gutem Grunde

Im Herzen gegen meinen Vater trage,

Verlängert ihm zum Ahasver die Tage:

Bei Gott! ich hab davon gewisse Kunde.

 

O Welt, vernimm, wie schlecht mirs ging zur Stunde!

Ich bat ihn jüngst um eine Flasche Krätzer:

Totschlagen wollt mich fast der faule Schwätzer;

Und hundert Fässer eignen diesem Hunde!

 

„Wenn ich, mir etwas Süßwein abzulassen,

Gebeten hätte,“ sprach ich – auf die Probe

Ihn stellend – ei! wie spuckte gleich der Grobe.

 

Da sag noch einer, ich soll ihn nicht hassen?

Ja, wer nur kennte alle seine Mucken,

Der spräch: „Lebendig sollst du ihn verschlucken!“

 

 

 

Wenn mir das Schicksal einen Tag nur gönnte

Länger als er zu leben, der mich kranken

Und darben läßt, wie wollt ich Christum danken!

Doch eher wohl ich fliegen lernen könnte.

 

Ja, eher stürzte Genuas Hafenmole,

Bestürmt von eines Bocks gehörntem Kopfe:

Er sinnt nur, daß er selber voll sich pfropfe

Und durch kein Leibesloch sich Krankheit hole.

 

Mein „lieber“ Vater ists, von dem ich spreche,

Der größere Lust hat, ewig mich zu plagen,

Als mich mein Auge, säh es Gott dort oben.

 

Nun sagt, ob ich nicht Anlaß hab zum Toben?

Denn jüngst hört ich den Arzt Taddeo sagen:

„Der stirbt mit hundert erst an Altersschwäche!“

 

 

Wenn ich im Munde hätte tausend Zungen,

Und jede wär geschliffner Stahl, daß gut

Sie predigten in Mönch Pagliaios Glut,

Zu spinnen wär kein Faden mir gelungen,

 

Der eine Dirne fester hielt, als fest

Mein Vater hält, der Wucherer, die Zechinen!

Auch läßt er sich zum Schutz den Schafspelz dienen,

Daß nicht den Fra Gaudente holt die Pest.

 

Der Tod selbst hat zu fürchten ihn, wohl Grund;

denn wenn er schlüpft in seinen Bauch – ich wüßte:

Der Tod krepiert, und Vater wird gesund!

 

Denn Leder ist sein Fell, Stahl sein Gerüste,

Und wer im Turm gen Himmel steigen wollte,

Auf Vater seinen Grundstein mauern sollte!

 

 

 

Wär ich ein Brand, ich wollt die Welt entzünden,

Wär ich ein Sturm, ich wollt in Dreck sie ducken;

Wär ich ein Meer, ich wollte sie verschlucken,

Und wär ich Gott, ich ließ sie ganz verschwinden.

 

Wär ich der Papst, da solltet ihr erst spucken;

Denn alle Christenlümmel ließ ich schinden.

Wär ich ein Kaiser, welch ein Lustempfinden

Euch alle öpft ich ohne umzugucken.

 

Wär ich der Tod, gleich holt ich meinen Alten,

Wär ich das Leben, wollt ich ihn verlassen –

Und so auch würd ichs mit der Mutter halten!

 

Und wär ich Cecco – nun der bin ich grade:

Drum ist kein hübsches Mädel mir zu schade;

Was alt und häßlich, mag für andre passen!

 

 

 

Die Teufel mags nicht zur Verzweiflung treiben:

Einer entkam der Hölle, der schon drin,

Und Cecco ists, der so benannt ich bin

Und schon auf ewig glaubte drin zu bleiben.

 

Doch also drehte sich das Blatt: mein frommer

Erzeuger Angiolieri mußt verrecken,

Der mich gequält im Winter und im Sommer:

Ich aber darf nun Lust und Freude schmecken!

 

Drum flieg, mein neu Sonett, zu Cecco schnelle,

Zu dem, den jetzt verlocht die Gruftkapelle;

Sag ihm, daß Fortarrigo noch ganz munter

 

Und länger als Elias werde leben

Und Enoch. Diese Nachricht schluck er runter

Als Trost, um seine Schwermut zu beheben.

 

 

 

So stark erkranket lag ich jüngst im Bette,

Daß ich kein lautes Wort mehr konnte lallen.

Und meine Mutter kam, daß sie mich „rette“,

Mit einem Gift, dem stärksten wohl von allen,

 

Daß es ein ganzes Meer vergiftet hätte

Und nicht nur mich. Sie sprach: „Hab Mut und trinke.“

Ich will nicht! gab ich zu verstehn durch Winke;

Mich irrte nicht die heuchlerische Glätte.

 

Sie sprach: „Willst du zu trinken dich bequemen,

So wird es diese Krankheit von dir nehmen“ –

Da wirklich! rein aus Furcht ward ich gesund

 

Und sprach: „Mir fehlt nichts mehr!“ mit lautem Mund

Und trank nicht! – Was sie je ins Glas mir schänke,

Ich tränk es nie, selbst wenn zuerst sie tränke!

 

 

 

Ich lag des Abends jüngst in meinem Bette,

Und ehe ganz der Schlaf mich noch benommen,

Da ah ich meine Mutte, die vielnette,

Gleich einer Furie zornig zu mir kommen.

 

Und schon aufs Bett sprang sie wie eine Tolle

Und spreizte um den Hals mir ihre Hände,

Als ob, beim Himmel! sie mich morden wolle:

Hätt ich mich nicht gewehrt, so wars zu Ende.

 

Wahrlich, so schlimm war selbst Medea nimmer,

Als ihrs gefiel, den eignen Sohn zu töten,

Daß meine Mutter mir nicht vorkam schlimmer.

 

Sie wollte, weil von Mino ich mein Erbe

Zurückverlangt, dem Schurken, daß ich sterbe ...

Wenn ich nur lebe – geh das Geld denn flöten!

 

 

Wenn man versterben könnt an Herzenskummer,

So wären viele tot schon, die noch leben.

Wenn Luzifer mich nicht am Schopf grad eben

Gepackt hält, bin ich auch solch eine Nummer!

 

Doch um so schlimmer will das Ding mir scheinen,

Denn minder arg sind in der Höllenfalle

Die Martern, Strafen, Seelenqualen alle,

Als mich die allerkleinste zwickt vo meinen.

 

Drum möcht ich nie gekommen sein zur Erde,

Höchstens als Ding, das ganz gefühllos ist;

Denn mit mir selber leb ich in Entzweiung!

 

Es sei denn, daß die alte Prophezeiung

Vom Weltenuntergang und Antichrist –

Zeit wär es – endlich einmal Wahrheit werde!