Michelangelo Buonarotti

1475 -  1564                              Italien

 

 

In Übersetzungen von

Gottlob Regis

 

 

1

 

Nichts kann der beste Künstler denken sich,

Das nicht in einem einz’gen Marmorsteine

Umschrieben wär’, und dies ergreift alleine

Die Hand, die seinem Geist dient williglich.

 

Das Übel, das ich flieh’, das Gut, das ich

Ersehn’ – in dir, Anmut’ge, Hohe, Reine,

Ruht’s ebenso; zuwider ist nur meine

Kunst dem erwünschten Zweck und tötet mich.

 

So hat nicht Liebe schuld an meinen Schmerzen,

Nicht deine Schönheit, Hochmut, große Strenge,

Nicht mein Geschick noch Los darf ich verklagen,

 

Wenn du trägst Lieb’ und Tod in deinem Herzen

Zugleich, und meinem schwachen Geist gelänge

Nur Tod mir glühend draus hervorzuschlagen.

 

 

2

 

Kein sterblich Wesen meine Augen sahn,

Als in mir deiner heitern erste Leuchte

Zurückschien, worin Ruh’ zu finden deuchte

Dem Geist, der stets strebt, seinem Ziel zu nahn.

 

Woher er kam, die Schwingen himmelan

Entfaltet er, blickt nicht nur hin auf leichte

Schönheit, der Augen Lust, die trüglich seichte –

Jenseits zur Urgestalt steigt er hinan.

 

Ich sag’, es kann, was sterbend muß zerrinnen,

Den Weisen nicht befried’gen, kann nicht frommen,

Am Wandelbaren Liebe zu erproben.

 

Zaumlose Lust, nicht Liebe sind die Sinnen,

Der Seele Mörder. Liebe macht vollkommen

Wohl Geister hier, doch noch vollkommner droben.

 

 

3

 

Zum Himmel spornt mich schöner Augen Macht,

Denn sonst hab’ ich kein ander Glück im Leben;

Zu sel’gen Geistern darf ich lebend schweben –

O Gnade, Menschen selten zugedacht!

 

So wohl zum Schöpfer stimmt, was Er gemacht,

Daß Gottideen mich zu Ihm erheben;

Gedank’ und Wort, hier bild’ ich alles eben,

in Liebe für ein hold Geschöpf entfacht.

 

Drum, kann ich von zwei schönen Augen nimmer

Den Blick abziehn, erkenn’ ich in dem Blicke

Das Licht, das mir zu Gott die Pfade zeige;

 

Und wenn ich glühn mich fühl’ in ihrem Schimmer,

Dann strahlt aus meiner edlen Glut zurücke

Das ew’ge Lächeln froher Himmelreiche.

 

 

4

 

Wenn jene Sonne, die des Weltalls Glieder

Lenkt, heilt und stimmt, auch immer ist nur eine,

Zeigt sie nicht immer doch im selben Scheine

Sich uns und streut vielfält’ge Gaben nieder.

 

Mir scheint in einer Art sie, andern wieder

In andrer, mehr und minder hell und reine,

Ja nachdem Krankheit gegen Gottes feine

Betauungen verflüchtigt die Gemüter.

 

So, je empfänglicher des Herzen Haus,

Je heller glänzt und prägt sich tiefer immer,

Du Hehre, drin dein Angesicht und Wert.

 

Doch schöpft der Geist nur schwache Tugend draus,

Ist’s weil von deinem Licht der hohe Schimmer

Sprengt das Gefäß und meine Kraft verzehrt.

 

 

5

 

Hoch wird der Sinn, der rein ist und vollkommen,

Von einem Werk der ersten Kunst erfreut,

Das Menschenleibes Züg’ und Ähnlichkeit

In Wachs, Stein oder erde treu entnommen.

 

Wenn dann der rohen Zeit Unbilden kommen,

Die es verstümmelt oder ganz zerstreut,

Denkt in sich jener vor’gen Herrlichkeit

Der Geist, der nicht umsonst sie aufgenommen.

 

So soll nun deine hohe Schönheit auch,

Womit der ew’ge Meister, uns beschenkend,

Dem Staub der Himmelsgüter Vorschmack gibt,

 

Wenn sie die Zeit bleicht und des Alters Hauch,

Je tiefer mir in Sehnsucht wohnen, denkend

Des Schönen, das nicht Zeit noch Winter trübt.

 

 

6

 

Mein Herz ist’s nicht, wo meine Liebe glüht,

Denn zu dir heg’ ein herzlos Lieben ich,

Dorthin gewandt, wo Staubes Neigung sich

Noch Arg nie trüglich nahn darf dem Gemüt.

 

Mich schuf Lieb’, als von Gott die Seele schied,

Zum lautern Auge, schuf zum Glanze dich,

Daß ihn in deiner Hülle lediglich

Zu unsrer Qual mein heißes Sehnen sieht.

 

Wie Wärm’ und Feuer nie sich trennen ließe,

So nie vom Ew’gen Schönes; und mein Sinn

Erhebt, was, Ihm gleich, von Ihm kommt hernieder.

 

In deinen Augen seh’ ich Paradiese –

Wo ich dich erst geliebt, dort flammend hin

Heim kehr’ ich, unter deine Augenlider.

 

 

7

 

ich weiß nicht, ist’s die Vorstellung vom reinen

Licht des Schöpfers, was die Seele fühlt?

Läßt irgendeiner andern Schönheit Bild

Gedächtnis oder Geist ins Herz mir scheinen?

 

Oder ob noch ein Glutstrahl ihres einen

Urstands nachleuchtend mir die Seel’ umspült,

Wovon wer weiß welch Brennen in ihr wühlt,

Das vielleicht das ist, was mich treibt zum Weinen?

 

Was ich empfind’ und seh’, ist mir nicht da,

Noch find’ ich, wer mich führ’; es ist, als wiese

Dem Unberatnen es ein andres Wesen.

 

Dies kommt, o Herrin, mir, seit ich Euch sah;

Mich treibt ein Ja und Nein, ein Bitter-Süße –

Wahrhaftig, Eure Augen sind’s gewesen!

 

 

 

9

 

Nie Sünde kann – noch Schuld, die Tod uns bringe –

Für mächt’ge Schönheit hohe Liebe sein,

Wenn sie so weich dann läßt des Herzens Schrein,

Daß es ein schöner Gottespfeil durchdringe.

 

Weckt, hebt, befiedert Liebe doch die Schwinge

Zu hohem Flug; oft ist ihr Feuerschein

Die erste Stuf’, auf der zum Schöpfer sein

Der hier nicht ganz begnügte Geist sich schwinge.

 

Die Liebe, die von dir spricht, strebt empor,

Ist nicht hinfällig eitel – andres minnen,

Steht feinen, weisen Herzen an mitnichten.

 

Zum Himmel ziehet jen’s, zum Erdenmoor

Dies; jenes wohnt im Geist, dies in den Sinnen,

Kann nur auf niedres Ziel den Bogen richten.

 

 

10

 

Wohl könnt’ es sein, nicht immer trüglich bliebe

Die Hoffnung, die mein heißes Sehnen schwellt,

Denn wenn all unsre Neigung Gott mißfällt,

Was wär’s, das Ihn zum Weltenschaffen triebe?

 

Welch ein gerechter Grund, daß ich dich liebe,

Als Preis zu weihn der ew’gen Friedenswelt,

Des Göttlichen Quell, das an dir gefällt

Und läutert jedes edlen Herzens Triebe?

 

Trüglich ist nur die Hoffnung, deren Kerzen

Schönheit ertöten kann, die stündlich flieht –

Denn sie frönt des Gesichtes flücht’gen Zügen.

 

Sicher fürwahr ist die verschämter Herzen,

Die mit dem Rindenwechsel nicht verblüht

Und welkt noch hier den Himmel will erfliegen.

 

 

11

 

Vom Aug’ ins Herz in einem Augenblicke

Dringt jede Schönheit, jeder Anmut Zier

Durch so geräumig weit’ und offne Tür,

Daß Mut und Kraft umsonst sie hält zurücke.

 

Drum zag’ und zittr’ ich vor des Irrwahns Tücke,

Der jeden Geist vom Ziel lockt für und für,

Und weiß kein sterblich Aug’ auf Erden hier,

Das nicht festhing am kurzen Menschenglücke.

 

Gen Himmel trachten wenige; wer da lebt

In Liebesglut und trinkt ihr Gift (weil Liebe

Verhängnis gab dem Leben zum Gefährten) –

 

Wenn zum Urschönen nicht ihn Gnade hebt

Und er nicht darin wendet alle Triebe –

Ach, welch ein Elend muß ihm Liebe werden!

 

 

16

 

Sag, Amor, stellt sich meinen Augen für

Der Schönheit Wahres, der ich Staunen zolle?

Oder ist’s in mir? Denn wohin auch rolle

Mein Blick, seh’ ich ihr Antlitz schöner. Dir

 

Muß es bekannt sein, denn du kommst mit ihr,

All meine Ruh’ zu rauben, drob ich grolle;

Doch keinen Seufzer drum erlassen wolle

Noch mindern meine Glut der Himmel mir! –

 

Die Schönheit, die du siehst, kommt wohl von jener,

Wächst aber, weil sie steigt zu besserm Ziel,

Zur Seel’, in die sie Menschenblicke saugen.

 

Da wird sie göttlich, würdiger und schöner,

Wie, was unsterblich ist, ihm Gleiches will.

Diese – nicht jene – schwebt vor deinen Augen.

 

 

23

 

Ich seh’ mit deinen schönen Augen meinen

Blinden ein unzugänglich holdes Licht;

Mit deinen Schritten trag’ ich ein Gewicht,

Dem meine müden zu erliegen meinen.

 

Gen Himmel, federlos, flieg’ ich mit deinen

Schwingen; dein Geist hebt stets hinan mich. Spricht

Dein Urteil, bleich und rot wird mein Gesicht,

Glüht Frost, friert mich der Sonne heißes Scheinen.

 

In deinen Willen schränkt mein Wunsch sich ein,

Meine Gedanken blühen aus deinem Herzen;

In deinem Atem meine Wort’ entstehen.

 

Dem Mond an sich schein’ ich mir gleich zu sein,

Von dem nicht mehr, als was der Sonne Kerzen

Erleuchten, unsre Augen können sehen.

 

 

 

24

 

Nah’ ich der Schönheit, die ich erst geschaut,

Den Geist, der ausblickt durch die Augenlider,

Wächst drin das Bild und sinket jener nieder,

Weil er sich selbst und seiner Kraft nicht traut.

 

Lieb’, allen Scharfsinn brauchend, jedes Kraut,

Daß ich nur lebe noch, kommt zu mir wieder

Und will den Geist herstellen als Gebieter,

Den ihre Macht nur hebt und auferbaut.

 

Ich seh’ mein Unglück ein; wohl wird es schlimmer,

Denn während Lieb’ empor mich schirmend reißt,

Entseelt sie selbst mich mehr, je mehr ich immer

 

Mich füg’. Ein Doppeltod mein herz umkreist:

Vor jenem flieh’ ich, diesen fass’ ich nimmer,

Und über seiner Rettung stirbt der Geist.

 

 

25

 

Ich weiß kein Bildnis, das mir denkbar wäre,

In barem Schatten oder ird’scher Hülle,

Mit höchstem Geistesflug so, daß mein Wille

Sich darin gegen deine Schönheit wehre.

 

Von dir getrennt sink’ ich mit solcher Schwere,

Daß alle Kraft mir steht im Herzen stille,

Daher ich, wähnend, meines Kummers Fülle

Zu mindern, bis er Tod mir bringt, ihn mehre.

 

Drum wird kein rascher Fliehn ans Ziel mich führen,

Wenn ich vor der feindsel’gen Schönheit flieh’ –

Denn Trägeres dem Schnellern, wie entging’ es?

 

Die Augen trocknet Liebe mir mit ihren

Händen und stellt mir süß vor jede Müh’,

Denn soviel kosten kann ja nichts Geringes.

 

 

 

27

 

Wohl kann mein Auge deiner Huldgebärden

Glanz nah und ferne sehn im hellsten Lichte,

Doch während ich dir nach die Schritte richte,

Such’ ich umsonst oft deine schönen Fährten.

 

Dem Geist, der lautern Seele mag es werden,

Daß sie sich durch die Augen freier flüchte

Zu hohen Reiz – doch sein Gewichte

Und heißer Trieb wehrt dies dem Leib aus Erden.

 

Daß eines Engleins Flug er, ohne Schwingen,

Dann mühsam folgt und nur der Augengüter

Sich rühmt und freut. – Ach, wenn im Paradiese

 

Du soviel kannst wie unter uns vollbringen,

Dann mache nur ein’ Aug’ all meine Glieder!

Dann ist an mir nichts, das dich nicht genieße.

 

 

 

30

 

Ich fühl’, aus einem kalten Blick erfaßt

Mich Glut von fern, die in sich Eis ist, finde

Kraft in zwei holden Armen, die gelinde

Bewegt, selbst ruhend, jede andre Last.

 

Ein einz’ger Geist, von mir allein gefaßt,

Kennt Tod nicht – tötet nur. Es schnürt die Binde

Ein Freier, fühl’ ich, mir ums Herz, empfinde

Vom Retter eben mich geschädigt fast.

 

Wie mag solch Gegenteil, o Dame, kommen

Von einem schönen Antlitz auf mein Haupt,

Wenn niemand gibt, was er nicht selbst besitzet?

 

Vielleicht zu meiner Ruh’, die Ihr genommen,

Paßt’s wie die Sonne – wenn Ihr mich erlaubt -,

Die selber kalt ist und die Welt erhitzet?

 

 

 

31

 

Flieht Amor, ihr Verliebten, flieht die Glut –

Ihr Brand ist hart und tödlich ihre Wunde!

Wer sie nicht zeitig flieht, der geht zugrunde,

Dem hilft dann Ferne nicht, Vernunft noch Mut.

 

Flieht, und mein Beispiel lehr’ euch, auf der Hut

Zu sein – was euch droht, lernt aus meinem Munde.

Der scharfe Pfeil, von dem ich nie gesunde,

Warn’ euch, wie weh solch grausam Spielen tut.

 

Flieht ohne Weil’ beim ersten Blick! Gewogen

Wähnt’ ich das Glück mir, ewig mild gesinnt;

Nun fühl’ ich, wie ich brenn’ (ihr seht’s). Betrogen,

 

Ein Tor ist, wen der Sehnsucht Gaukelwind

Nach einer art’gen Schönheit Amors Bogen

Entgegentreibt, für sein Heil taub und blind.

 

 

 

33

 

Wozu noch mach’ ich dem gepreßten Herzen

Mit Trauerworten Luft und Tränenfließen,

Wenn einem, den zur Qual er hat verwiesen,

Der Himmel früh und spät sich pflegt zu schwärzen?

 

Was treibt die bange Seele, so zu herzen

Den Tod, der doch kommt, wenn sich schon in diesen

Augen die letzten Stunden mir versüßen –

Denn welch ein Glück wög’ einen meiner Schmerzen?

 

Und statt zu fliehn drum, lad’ ich auf mich ein

Gern ihren Blitz und bin schon ausersehen

Zu neuem Beispiel unglücksel’ger Pein.

 

So, wenn ich selig bin in meinen Wehen,

Ist es kein Wunder, wag’ ich nackt, allein,

Ein Herz, das Tugend wappnet, zu bestehen.

 

 

34

 

Wenn man das Herz kann in den Augen sehn,

Dann hab’ ich, Dame, klar dir nun gewiesen

Mein tiefes Glühn, und möge dies ersprießen,

Ohn’ andre Bitten Huld mir zu erflehn!

 

Doch vielleicht gläubiger, als ich kann verstehn,

Siehst du mein redlich Feuer an und diesen

Drang, der mich Tugend antrieb zu erkiesen,

Als Gnade, wie sie hilft fromm Betenden?

 

O sel’ger Tag, der solche Wünsche krönte!

Still müssen Zeit und Stunden stehn in einem

Puls, und dann hemm’ ihr altes Rad die Sonne,

 

Damit ich, der soviel litt, das ersehnte

Pfand meiner Liebe fest umfing mit meinen

Armen, in ewigen Genusses Wonne.

 

 

 

37

 

Damit in einer minder strengen, weichen

Frau bleib’ auf Erden deiner Reize Spur,

Glaub’ ich, nimmt sich zurück davon Natur

Die alle, so dir stündlich jetzt entweichen,

 

Und spart dein heitres Antlitz ohnegleichen

Zu Bildung einer milden Kreatur

Im Himmel, und sinnt Amor ewig nur,

Ein Herz zu kleiden drein, dem Mitleid eigen,

 

Und nimmt auch meine Tränen, sammelt sich

Die Seufzer, hingehaucht aus wundem Herzen,

Und gibt sie dem, der jene liebt aufs neue.

 

Vielleicht, daß Er dann, glücklicher als ich,

Sie rühren wird mit meinen eignen Schmerzen

Und Ihm die Huld, die mich nun flieht, gedeihe.

 

 

 

44

 

Wie mag es, Herrin, sein – und doch gesteht

Es längst Erfahrung ein -, daß überleben

Bildungen, die wir rohen Steinen geben,

Den Bildner, den der Tod in kurzem mäht?

 

Die Ursach’ schwindet, der Erfolg besteht,

Und in der Kunst erlischt Naturbestreben;

Ich weiß es, der dem Meißel so ergeben,

Und seh’, wie Zeit nun treulos mich verweht.

 

Vielleicht könnt’ ich lang Leben wohl uns beiden

Verleihn, ob Farb’, ob Stein dir nun beliebt,

Wenn es glich’ unsern Zügen, unsern Trieben,

 

Daß man noch tausend Jahre nach dem Scheiden,

Wie schön du warst und wie ich dich geliebt,

Säh’, - und wie keine Torheit war mein Lieben.

 

 

45

 

Wenn keusche Liebe, frömmstes Pflichterfüllen,

wenn, zweier Liebenden gleich, ohne Wahl

Geteiltes Los, verbundne Freud’ und Qual,

Wo eine Seel’ allein regiert zwei Willen;

 

Wenn ein Geist, ewig in zwei Körperhüllen,

Gen Himmel gleichen Flügs, beid’ auf einmal

Beschwingend, einer Glut verwandter Strahl,

Wovon durchzückt zwei Herzen tief sich stillen;

 

Wenn nie sich selber, nur das andre lieben,

Begier, daß Liebeslohn nur Liebe sei,

Wenn eins zuvor des andern Wünschen Eilen

 

Im Wechselherrschen und Gehorsamüben,

Die Zeichen sind unwandelbarer Treu’-

Wie kann Verdruß wohl solch ein Bündnis teilen?

 

 

 

52

 

Nicht weniger bestürmt den Sünder, eh’

Das Beil fällt, milde Gnad’ als großes Leiden,

Wenn, Eis in allen Adern, hart am Scheiden,

Er sich auf einmal los los und ledig säh’.

 

So auch, wenn dein Erbarmen, mehr als je,

In meines Elends tiefen Einsamkeiten

Höchst mitleidsvoll mich weckt zu neuen Freuden,

Scheint es mich mehr zu töten als das Weh.

 

Denn Tod ist jede Botschaft, deren Süße

Gram hemmend überschäumt, im Augenblick:

Weil es das Herz zu sehr engt und erweitert.

 

Dein Mitleid, das hier Liebesparadiese

Trägt, zügle, wenn ich leben soll, dies Glück,

Da schwache Kraft an höchsten Gaben scheitert.

 

 

 

54

 

Wenn Feuer, tief im kalten Stein entzündet,

Ihm Freund ist, dann, entbunden draus, im Kreise

Ihn brennt und bricht, lebt er gewisserweise

Ewig, indem er andre Steine bindet;

 

Steigt himmelan mit ihnen, überwindet

So hitz’ als Frost; mehr als zuvor im Preise

Gilt er, trotz Sturm und Winden, Schnee und Eise,

Scheint Jovis Blitzen selbst zu fest gegründet –

 

So, wenn die Glut, die heimlich in mir spielt,

Mich auflöst, die ich selbst gebar und nährte,

Hoff’ ich auf längres Leben im Verrauchen

 

Und Untergang dann, wenn, zu Staub zerwühlt,

Ich ewig mich am Feuer härten werde,

Das in der Brust entflammt zwei schöne Augen.

 

 

 

57

 

Gebt meinen Augen wieder, Fluß und Quelle,

Die Flut, die nie aus eurer Ader quoll,

Wovon sie höher stieg und weicher schwoll,

Als von Natur euch nie entströmt die Welle.

 

Du dichte Luft, zuführend Himmelshelle

Den trüben Augen, meiner Seufzer voll,

Der bangen Brust gib diesen Seufzerzoll

Zurück, damit dein Dunkel sich erhelle!

 

Gib, Erde, wieder, wenn in jungen Hainen

Der Rasen sprießt, die Spuren meinen Füßen,

Den Rückhall, Echo, meinen Klagetönen,

 

Die Blicke, deine heil’gen Augen meinen,

Daß ich noch eine andre Schön’ erkiesen

Mir kann, wenn du verschmähst mein heißes Sehnen.

 

 

 

59

 

Erlesner Geist, du Spiegel uns hienieden,

An dessen teuren, edlen Zügen man

Sieht, was Natur und Himmel können, wann

Sie ihre Werk’ in einem überbieten;

 

Holdsel’ger Geist, der Liebe, Huld und Frieden

Im Innnern, wie sein Antlitz dargetan,

Verbürgt und hoffen macht und glauben an

So seltnen Wert, als Schönen je beschieden!

 

Die Lieb’ erfaßt, die Schönheit bindet mich,

Des Gnadenblickes Huld und Milde geben

Im Herzen fester Hoffnung Raum zu wohnen.

 

Welch Urteil, welch Gesetz wehrt neidisch sich,

Weltenbestand, betrüglich falsches Leben,

Daß Tod nicht darf so schönes Werk verschonen?

 

 

 

68

 

Als meiner vielen Seufzer Quell den Schranken

Der Welt durch Tod vom Himmel ward geraubt,

Blieb Leben, das nie schuf solch schönes Haupt,

Beschämt und weinten, die je aus ihm tranken.

 

O Unstern meiner Sehnsucht, o ihr schwanken

Hoffnungen, o gelöster Geist – wo glaubt

Mein Herz dich nun? Dein schöner Leib verstaubt,

Bei Gott sind deine heiligen Gedanken.

 

Vergebens wähnte Tod, der Ungerechte,

Den Schall der Tugenden, die du gesäet,

Zu dämpfen, die kein Letze tilgen möchte,

 

Weil tausend Blätter, wenn er dich gemähet,

Von dir fortreden, der zum Bürgerrechte

Des Himmels nur durch Streben ward erhöhet.

 

 

 

69

 

In meinem Eise brannte sonst das Feuer –

Jetzt ist mir kaltes Eis der glüh’nde Brand,

Lieb’ aufgelöst, dies untrennbare Band,

Und nun mein Gram, was einst mir Wonn’ und teuer.

 

Die erste Liebe, die mein Trost und Steuer

Im Elend war, hält lähmend nun umspannt

Die müde Seel’ ein Frieren übermannt

Mich, wie wen halb schon deckt des Todes Schleier.

 

Ach, harter Tod, wie lieblich wär’ dein Streich,

Wenn du, nachdem ein Liebender die Augen

Schloß, auch den andern lösetest sogleich!

 

Dann würd’ ich so nicht hinzusiechen brauchen

In Tränen und, des Grams frei, der mich bleich

Macht, soviel Seufzer in die Luft nicht hauchen.

 

 

 

70

 

Hier war’s, wo mir mein Glück das Herz genommen

Dank ihrer Huld – und dann das Leben; hier

Versprach sie Trost in süßen Blicken mir;

Hier ward ich liebreich von ihr aufgenommen;

 

Gebunden dann – hier ließ sie mich entkommen;

Hier lacht’ und weint’ ich, und vergebens schier

Vor Gram, schied ich an diesem Fels von ihr,

Die mich mir nahm und doch nicht angenommen.

 

Oft komm’ ich her und setze hier mich nieder;

Und minder nicht um Leid als Freuden ehr’ ich

Den Ort, wo ich zuerst ward überwunden.

 

Vergangnes denkend, wein’ und lach’ ich wieder,

Und wie du, Liebe, mich erinnerst, zehr’ ich

Am bitter-süßen Ursprung meiner Wunden.

 

 

 

71

 

Was Wunder, wenn die Glut, die mich verzehrt’

Und schmolz, nun, da sie ausgebrannt, am Ziele,

So weh mir tut, daß ich vergehn mich fühle

Und sie in Asch’ allmählich mich verkehrt?

 

So leuchtend flammen sah ich einst den Herd

All meiner Qualen, daß zu Scherz und Spiele

Schon in des Anblicks seligem Gefühle

Mir Tod und Marter schien verklärt.

 

Doch nun der Himmel mir den Glanz entwendet

Der Flamm’, aus der ich Nahrung einst getrunken,

Bleib’ ich bedeckt als glüh’nde Kohle liegen;

 

Und wenn nicht andres Holz mir Liebe spendet,

Das Flammen schlägt, wird von mir auch kein Funken

Ausgehn, wenn ich zu Asche muß verfliegen.

 

 

 

72

 

Zum finstern Abgrund stieg er von der Erde,

Sah beide Höllen, dann zu Gott hinan

Trug lebend ihn hoher Gedanken Bahn,

Wohin uns treulich leuchtet seine Fährte.

 

Ein mächt’ger Stern, mit seinem Strahl erklärte

Uns Blinden er geheimster Weisheit Plan,

Bis endlich er vom schnöden Volk empfahn

Den Lohn, den es den Besten oft gewährte.

 

Schlecht wurden Dantes Werk’ und edles Streben

Erkannt von jenen undankbaren Toren,

Die nur dem Heil der Guten widerstreben.

 

Doch wär’ ich er, zu gleichem Los geboren –

Frei hätt’ ich für der Erde schönstes Leben

Mir seine Tugend, seinen Bann erkoren.

 

 

73

 

Man spricht’s nie aus, wieviel davon zu sagen,

Denn allzu hell den Blöden schien sein Licht –

Eh’ schilt man das ihn quälende Gezücht,

Als Lippen an sein kleinstes Lob sich wagen.

 

Er stieg ins Reich hinab der ew’gen Plagen,

Stieg dann zu Gott auf, uns zum Unterricht;

Der Himmel wehrte seine Tor’ ihm nicht,

Vor dem sein Vaterland sie zugeschlagen.

 

Undankbar Vaterland, du Näherin

Von deinem Glück, zum Schaden dir! Des zeugen

Die Edelsten, zu ärgster Qual erlesen;

 

Und reicht der eine Grund für tausend hin,

Daß sein Bann hat an Schmach nicht seinesgleichen,

Wie nie ein Größrer als er hier gewesen.

 

 

75

 

Schon tausend Male nicht nur überwunden,

Nein, tödlich hingestreckt von deinen Streichen

Ward ich vor manchem Jahr; und nun, im bleichen

Haar, soll dein töricht Gaukelspiel mir munden?

 

Wie oft gefesselt, wie oft losgebunden

Hast du mein Herz, und ach, wie blut’ge Zeichen

Grub mir dein Sporn, wenn du mich zu erbleichen

Zwangst und die Brust von Tränen feucht gefunden!

 

Du, Amor, bist’s, den ich verklagt, gescholten.

Wozu, Feind nun ich längst entwöhnt von solchen

Lockungen bin, dein leeres Bogenschießen?

 

Was können Säg’ und Käfer im verkohlten

Holz? Und wie schmählich ist es zu verfolgen,

Wen Kraft und Odem zu sehr schon verließen!

 

 

 

76

 

Gib mir die Zeit zurück, als frei und kühn

Der blinden Glut den Zaum ich ließ! Gib wieder

Das Engelsantlitz, jene Himmelsgüter,

Die nicht zum zweitenmal auf Erden blühn;

 

Gib die verlornen Schritt’, in Liebesmühn

Getan, so träg, wenn Alter lähmt die Glieder;

Senge die Brust, feuchte die Augenlieder,

Wenn ich noch einmal weinen soll und glühn!

 

Lebst einmal du vom bittersüßen Leid

Der Menschen nur, dann, Amor, wie geringe

Wird nun der welke Greis dich laben können!

 

Und, schier zum andern Strand gelangt, ist Zeit,

Daß andrer Liebe Pfeil den Geist durchdringe –

Ein Zunder höherer Flammen soll er brennen!

 

 

 

79

 

Zehrt, offen, schwache Flamm’ in ersten Jahren

Bald auf ein frisches Herz, wie wird dann gegen

Verschloßnen Feuers Gier im Greis vermögen

Ein viele Mal’ gebranntes sich zu wahren?

 

Führt Zeitlauf Leben, Stärke, Mut den Bahren

Nur immer näher, wie wird mit dem Trägen,

Der von Natur dem Tod schon fast erlegen,

Die Liebesglut, die ganz mich schmilzt, verfahren?

 

Zu Asche schon seh’ ich in ihrem Brande

Das kranke, bange Herz im Geist verstäuben,

Vom Wind emporgeweht, entführt, verjagen.

 

Wenn – grün – in kleinem Feu’r ich weint’ und brannte,

Wie könnt’ ich in so großem – dürr – ein Bleiben

Der Seel’ im Leib noch lang zu hoffen wagen?

 

 

 

82

 

Wenn Amor kampfbewehrt vor sich entdecket

Die Seele, die ihm weigert seine Beute,

Dann wirft der Tod sich mitten zwischen beide

Und scheucht je mehr ihn, je mehr er mich schrecket.

 

Sie, die durch Tod nur sich zum Heil erwecket,

Hofft, zagt aufs neu’ in Minnelust und –leide,

Derweil mit seinem würdigen Geleite

Sie Amor, unbezwungen, schirmt und decket.

 

„Man stirbt nur einmal!“ spricht er – wohl, es sei!

So stirb denn! Aber wer da stirbt in Liebe,

Der adelt mehr die Seel’ in seinem Tode,

 

Weil sie, der Leibesbanden los und frei,

Magnet von ihres Schöpfers Flammentriebe,

Im Feu’r geläutert, leichter kehrt zu Gotte.

 

 

 

85

 

Warum nur diese mächtig edlen Triebe

So spät, warum nicht öfter mich entrücken

Vom Boden und mein Herz dahin verzücken,

Wohin sich’s nie aus eigner Kraft erhübe?

 

Vielleicht daß tiefe Vorsicht deiner Liebe

Mir zugewogen hat all diese Lücken,

Weil alles Seltne stärker uns entzücken

Muß, je ersehnter es und ferner bliebe?

 

Nacht ist der Zwischenraum und Tag das Licht;

Jene vereist mein Herz, an dem entflammen

Mir, himmlisch leuchtend, Lieb’ und Treu’ den Mut.

 

Drum, könnt’ ich stündlich sehn von Angesicht,

Wie feurig strahlt der Urquell meiner Flammen –

Wer hätte je gebrannt in schönrer Glut?

 

 

 

86

 

Wenn Schwefelherzen, Fleisch von Stroh, Gebeine,

Die mehr ein dürr vertrocknet Holz zu nennen;

Wenn Seelen, die nicht Zaum noch Führer kennen,

Begier, mit mächt’gem Reizen zum Vereine

 

Jagend, Vernunft, blind, lahm, vom Zauberweine

Der Welt berauscht, wonach so viele rennen,

In einem Blitz, vom ersten Funken brennen,

Ist es kein großes Wunder, wie ich meine.

 

Mich aber konnte höchster Schönheit bloßes

Schaun nur entzünden; nur von ihr gewann ich

Den Glanz, worin lebt, was von mir geblieben.

 

Klein sah in deinem Blick ich all mein Großes,

Dich, Seltne, wählt’ ich, und dem Volk entrann ich,

Und in den Werken lebt auch fort mein Lieben.

 

 

 

87

 

Wenn unsre Wünsch’ oft führt zu höherm Segen,

Als keine Eil’ vermag, ein lang Verschieben,

Fühl’ ich mein Spätlingsglück mich tief betrüben,

Weil wir, betagt, nur kurze Freude hegen.

 

Dem Himmel handeln, der Natur entgegen,

Die glühend Fraun im eis’gen Wasser lieben

Wie ich, weshalb ich meine stillen, trüben

Tränen muß mit dem reifen Alter wägen.

 

Doch ach, hab’ ich des Tages Ziel erschritten

Schon mit der Sonn’ und schier den Untergang,

Wo Schatten kalt und dunkel mich umschränken,

 

Wird Liebe, die uns nur auf Weges Mitten

Entflammt, nun alt und brennend schon so lang,

Vielleicht den Schluß zurück zur mitte lenken.

 

 

88

 

Hätt’ ich am ersten Blick, mir zugewandt

Von dieser meiner glühnden Sonn’ auf Erden,

Dem Phönix gleich, gewähnt, erneut zu werden,

Wär’ ich zuvor, wie ich nun brenn’ entbrannt

 

Und, wie ein Pardel oder Hirsch gewandt

Sich retten will und flieht, die ihn gefährden,

Den treuen Mienen, Worten, Huldgebärden,

Statt nun zu lahmen, vielmehr zurerannt.

 

Doch wozu klagen, da ich muß erkennen,

In dieses Engels reinen Augen liege

All meine Ruh’ und Frieden und Gelingen?

 

Mein Schaden wär’ gewesen, jung zu brennen,

Voreilig blind – und wenn ich müd nun fliege,

Befiedr’ ihr himmlisch walten mir die Schwingen!

 

 

 

89

 

Im Feuer streckt der ems’ge Schmied zum neuen

Gebrauch und Zweck das Eisen schöner ziehend,

Und ohne Feuer würd’, umsonst sich mühend,

Dem Gold ein Meister Läutrung nie verleihen,

 

Noch auch der einz’ge Phönix sich erneuen,

Wenn nicht zuvor verbrannt. Drum hoff’ ich, glühend

Zu sterben, eint die Glut mich, heller blühend,

Denen, die Tod mehrt, Zeit nicht kann zerstreuen.

 

O süßer Tod, o selig, wer so brennt,

Wenn ich, zu Asche nach und nach verstoben,

Nicht mehr bei Toten leben muß fortan.

 

Ja, wenn sich von Natur dies Element

Zum Himmel hebt, steig’ ich, mit ihm erhoben,

Gradauf, in Feu’r verwandelt, himmelan.

 

 

 

90

 

Wenn Eurer schönen Augen Reiz’ die Glut,

Die sie versenden, glich’, dann wär’ von Eise

In keiner Brust kein Faser, den der heiße

Brand nicht verzehren müßte bis aufs Blut;

 

Doch Gott, dem weh all unser Leiden tut,

Lied von dem Blitz, den er Euch lieh, uns weise

Nur einen Teil gewahren, mildert leise

Des Feuers tödlich schonungslose Wut.

 

Die Glut gleicht nicht dem Reit, sag’ ich, da wir

Uns in die Dinge nur verlieben können,

Die, angeschaut, bestaunt, wir klar erkannt.

 

Drum, ach, wenn mich hinfälligen Alten Ihr

Nicht für Euch sterbend glaubet sehn zu brennen,

Begriff ich schlecht, hat schwach mein Herz gebrannt.

 

 

 

91

 

Die dahin, wo sie herkam, wiederkehret,

Die Urgestalt, kommt, sich in Staubes Falten

Als Engel so erbarmend umzustalten,

Daß sie heilt jeden Geist und Welten ehret.

 

Sie ist’s, die mich in Lieb’ allein verzehret,

Nicht äußrer nur, weil deines Lichtes Walten

Nicht Liebe weckt zu Dingen, die veralten –

Nein, in der Tugend Quell die Hoffnung nähret.

 

Und rührt dein hoher Reiz zuweilen mich,

Ist’s erste Stuf’ hinan zur Gnadenfülle

Des Himmels, die dann weiterauf beflügle.

 

Ja Gott selbst offenbaret nirgend sich

Mehr als in einer schönen Erdenhülle,

Wo reiner Blick in seiner Kraft sich spiegle.

 

 

92

 

Ich kann im Geist auf deinem Antlitz lesen,

Was unaussprechlich bleibt in diesem Leben:

Die Seele, die, vom Fleische noch umgeben,

Leibhaftig schön oft schon bei Gott gewesen.

 

Und wenn des Volkes töricht böses Wesen

Verschwärzt und höhnt, was einer fühlt, macht eben-

Dies in dem starken Trieb mich tiefer leben,

In edler Sehnsucht, Lieb’ und Treu’ genesen.

 

Dem Gnadenborn, aus dem wir all’ entstehen,

Gleicht jede Schönheit, die, schon hier zu schauen,

Dem hellen Sinn mehr gilt als alle Scherben.

 

Nicht andre Himmelsfrucht noch –proben sehen

Im Staub wir; und wer dich liebt mit Vertrauen,

Erhebt zu Gott sich und versüßt das Sterben.

 

 

 

98

 

Seit vielen Jahren nährt’ ich, falsche Liebe,

Mit dir die Seel’ und – wenn nicht ganz – zum Teile

Den Leib auch, weil du seltsam eine Weile

Den aufrecht hältst, der sonst sich nie erhübe.

 

Nun sporn’ ich, nun beflügl’ ich – ach – die Triebe

Zu einem festern Port und höhern Heile

Und bitte Gott, daß er Verzeihn erteile

All meiner Schuld, davon man Bände schriebe.

 

Mir bürgt ein andrer Amor ewig Leben,

Beseelt von anderm Reiz, den nichts zerstöre;

Ganz hab’ ich seinem Pfeil mein Herz entwehrt.

 

Er wolle mich durchbohren, stützen, heben,

Der ich von Himmelshoffnung endlich zehre,

Bevor ein Marmor meine Gruft beschwert.

 

 

 

99

 

Matt von der Jahre Last und Sünden Schwere,

Im eingewurzelt bösen Hang erstarrt,

Steh’ ich am Tod, der zwiefach meiner harrt,

Da ich das Herz zum Teil mit Gifte nähre,

 

Und hab’ nicht eigne Kraft, die tauglich wäre

Zu andern Leben, Liebe, Sitt’ und Art,

Als, Herr, dein Licht und Gottesgegenwart,

Auf meinem Irrlauf mir zu Zaum und Lehre.

 

Doch nicht genug ist’s, daß du mir bereitest

Die Seele, heimzukehren in das Reich,

Wo sie durch dich einst ward dem Nichts entnommen –

 

Bevor du sie des Sterblichen entkleidest,

Verkürze durch die Reue mir den Steig,

Daß sie gewiß mag selig zu dir kommen!

 

 

 

101

 

 Vielleicht, daß Mitleid ich mit andrer Fehle

Soll lernen und nicht fürder spotten ihrer,

Ist, im Vertraun auf trüglich falsche Führe,

Gefallen die einst so gerechte Seele.

 

Welch Schutzpanier, o Herr, ich mir erwähle,

Weiß ich nicht, wenn nicht du bist mein Regierer;

Der wilde Feind, den Tod mir wütend schwür’ er,

Wenn ich mich deiner Liebe nicht empföhle.

 

Dein Fleisch, dein Blut und jene letzte Pein,

Die dir den Tod gab, tilgte meine Sünde,

Darin ich und mein Vater ward geboren.

 

Du nur vermagst’s; dein himmlisches Verzeihn

Rett’ aus der Schuld mich, die ich schwer empfinde,

Dem Tod so nah, von Gott so weit verloren!

 

 

 

105

 

Von übermannend schwerer Last entbunden,

O Herr, mein Hort, und frei der Erdenpflicht,

Hab’ ich als müdes Schiff in deinem Licht

Nach grausem Sturm die süße Ruh’ gefunden.

 

Die Nägel, Dornen, beider Hände Wunden,

Dein mild demütig blutend Angesicht

Bußfert’ger Reu’ Begnadigung verspricht

Und dem Betrübten Hoffnung zu gesunden.

 

Laß meinen Fehl nicht nach dem Recht betrachten

Dein göttlich Auge noch dein Ohr ihn hören –

O nicht mit strengem Arm woll’ ihn bedräun!

 

Dein Blut wasch’ ab von mir mein böses Trachten,

Laß mit den Jahren mir den Tau sich mehren

Zu rascher Hilf’ und gänzlichem Verzeihn!

 

 

 

108

 

Bang mich betrübend und zugleich mir wert

Ist jedes Denken, das in mir erneuet

Die vor’ge Tage, da Vernunft mich zeihet

Verlorner Zeit, die nimmer wiederkehrt.

 

Wert ist mir’s nur, weil mich’s vorm Tode lehrt,

Wie alle Weltlust kurzen Trost verleihet –

Bang, weil, daß einer sich der Gnad’ erfreuet

Als Greis, für viele Schuld, man selten hört.

 

Denn ob wir schon auf dein Versprechen bauen,

Ist doch wohl allzu kühn, Herr, unser Deuten,

Als ob Lieb’ auch dem Zögerndsten verzeih’ –

 

Und doch mein’ ich in deinem Blut zu schauen:

Wie für uns überschwenglich war dein Leiden,

Daß unermeßlich auch dein Mitleid sei.

 

 

 

109

 

Ach, laß dich allerorten von mir finden!

Denn fühl’ ich mich entflammt von deinem Lichte,

Wird jede andre Glut im Geist zunichte,

Der sich an dir auf ewig möcht’ entzünden.

 

Dich ruf’ ich, Herr! Dir will ich mich verbünden

Zum Trutz unfruchtbar dunkler Qualgesichte;

Durch büßendes Bereun erweck’ und richte

Den Sinn mir auf, die Kräfte, die schon schwinden!

 

Der du den ew’gen Geist mit Zeit umgeben

Und in so wandelbar ohnmächt’ge Hülle

Ihn eingeschränkt dahingabst dem Geschicke:

 

Du wollst ihn nähren, stützen, neu beleben!

Von dir allein kommt ihm des Guten Fülle;

Die Kraft des Höchsten ist sein ganzes Glücke.

 

 

 

110

 

Mir leb’ ich tot – lebendig nur der Sünde;

Mein Leben ist nicht mein, ihr liegt es bloß:

Von ihrem trüben Dunst besinnungslos

Und blind verirrt, durchwandl’ ich Labyrinthe.

 

Die Freiheit, meine Braut, um die ich minnte,

Ward mir zur Sklavin; o unselig Los!

Zu welcher Schmach, Herr, säugte man mich groß,

Der ich, zurücke schauend, wie im Spiegel,

All meiner Jahre Lauf befleckt mit Wahn,

Nichts als mein töricht Wagen schelten möchte:

 

Weil ich, den Trieben lassend Zaum und Zügel,

Vom graden Weg zu deiner Lieb’ hinan

Wich. Reich nun du mir deine heil’ge Rechte!

 

 

 

111

 

Wohl würden meine Bitten lieblich sein,

Wenn du mir Tugend liehst, dich anzuflehen!

Vn Tugendfrüchten, die aus ihm entstehen,

Läßt mein unfruchtbar Erdreich nichts gedeihn.

 

Du bist der guten Werke Sam’ allein,

Die keimen da, wo du dir’s ausersehen;

Kein eigner Mut vermag dir nachzugehen,

Zeigst du ihm nicht die sanften Wege dein.

 

Ach, wär’ von dir, Herr, doch mein Geist durchdrungen

Mit so urkräftigen Gedanken worden,

Daß deiner Spur zu folgen mir gelänge;

 

Und löstest du das Band mir von der Zungen

Zu glühenden, deines Ruhmes vollen Worten,

Damit ich ewig dich lobpries’ und sänge!

 

 

 

112

 

Nichts Schlecht’res Ärmres kann die Erde zeugen,

Als was ich Armer ohne dich, Herr, bin;

Drum fleht mein schwach ohnmächtig müder Sinn

Im langen Wahn, um deiner Gnade Zeichen.

 

Woll’, höchster Gott, mir jene Kette reichen,

Die aller Himmelsgaben Feßlerin,

Den Glauben – zu ihm ring’ ich, sporn’ ich hin,

Die Sinne fliehend, die zur Gruft mich beugen.

 

Je seltner, um je schwerer wird die Gabe

Der Gaben wiegen mir, und zwiefach schwer,

Weil ohne sie kein Heil hier ist zu hoffen.

 

Sie nur weckt in der Brust die bittre Labe

Bußfert’ger Tränen mir, und nimmermehr

Tut sich der Himmel andrem Schlüssel offen.

 

 

 

113

 

Wenn gier’ge Wünsche mir auch oft verhießen

Zu den vergangnen noch manch frohes Jahr,

Muß Leben doch, je lockender es war,

Mich minder freun und immer mehr verdrießen.

 

Wozu auch länger leben und genießen?

Langwierig Erdenglück und du so gar

Uns fesselndes Vergnügen – offenbar

Mehr Gift als Nahrung liegt in eurem Süßen.

 

Drum wolle, wie dein Geist in mir erneuet

Lieb’ und Vertraun und jenes glüh’nde Streben,

Das der Welt obsiegt und die Seelen heilet,

 

Dann, wann dein Aug’ am meisten schuldbefreit

Mich sieht, mit heil’gem Arm zu dir mich heben,

Weil Buß’ in Menschenbrust nicht dauernd weilet.

 

 

 

114

 

Auf wildem Meer im morschen Kahn gediehen

Zum allgemeinen Port ist schon mein Leben,

Wohin, um volle Rechenschaft zu geben

Für jede gut und böse Tat, wir ziehen;

 

Und all die liebevollen Phantasien,

Die sich dem Götzendienst der Kunst ergeben,

Ach, wie voll Irrsal scheint mir nun ihr Streben –

Denn Wahn ist, wofür wir hienieden glühen!

 

Wie nun, Gedanken ihr, zu meinem Fehle

Und Schaden froh einst, wenn zwiefält’ger Tod

Mir nah, ein sichrer und ein drohender, schreitet?

 

Kein Malen stillt noch Meißeln mehr die Seele,

Die flieht zu jenem liebevollen Gott,

Der uns am Kreuz die Arm’ entgegenbreitet.

 

 

 

115

 

An Frau Vittoria Colonna

Markgräfin von Pescara

 

Wenn eines Züg’ und Bildung volles Streben

Der Kunst ergriff, dann macht von ihm die Reine

Ein schlicht Modell in niederm Stoff als eine

Erste Geburt und ruft ihr Bild ins Leben.

 

Doch in der zweiten hält der Meißel eben

Erst Wort dem Hammer im lebend’gen Steine,

Damit er, neugeboren, schön erscheine,

Verklärt, von Glorien, die nichts hemmt, umgeben.

 

So kam als mein Modell ich erst zur Welt,

Als mein Modell; es wird Vollendung finden,

Wenn es durch Euch, ihr Hohe, neu erstehet,

 

Wenn mein Zuviel tilgt, ausfüllt, was mir fehlt:

Eu’r Mitleid. – Welche Buße meinem blinden,

Hochmüt’gen Wahne wär’s, wenn Ihr’s verschmähet!

 

 

 

117

 

An dieselbe[1]

 

Weil minder unwert, hohe Frau, zuweilen

Ich sein möcht’ Eurer unbegrenzten Güte,

Brannt’ anfangs mein zu schwacher Geist und glühte,

Durch irgendein Verdienst ihr vorzueilen.

 

Allein – gewahrend dann, daß zu so steilem

Ziel nimmer eigner Wert die Bahn mir biete,

Gab so verwegnen Wunsch auf mein Gemüte,

Und Irren selbst muß nun vom Wahn mich heilen;

 

Und seh’ wohl, wie, wer meint, daß aufzuwiegen

Mit meinem schwach hinfälligen Werke sei

Der Gottestau von Euren Gnadengütern,

 

Irrt. – Geisteskraft, Kunst, Kühnheit unterliegen,

Denn nicht mit tausend Werken einzig neu

Kann Erdentugend Himmelsgab’ erwidern.

 

 

 

120

 

An M. Gandolfo Porrino

(Antwort)

 

Die neue, hohe Schönheit, dieich hielt

Im Himmel einzig, wieviel mehr auf Erden,

Der blinden, aller Tugend abgekehrten

Welt, die den Glanz, der ihr entströmt, nicht fühlt,

 

Entsprang für Euch allein – ein himmlisch Bild

In Stein, in Farben englische Gebärden

Fass’ ich nicht, dem zu glauben ziemt, es werden

Nur Eurer Wonne solche Reiz’ enthüllt.

 

Und wenn, wie von der Sonne wird bezwungen

Der Sterne Schein, sie unsern Geist besiegt,

Trug nicht mein niedrer Flug zu solchen Sphären.

 

Drum, daß Eu’r tiefes Sehnen in der jungen,

Von Gott gebornen Schönheit sich genügt,

Konnt’ er allein und nie ein Mensch gewähren.

 

 

 

121

 

An Luigi del Ricco

(Antwort)

 

Kaum sah die schönen Augen ich hienieden,

Zwei Sonnen einst in diesen Dunkelheiten,

Die, zugeschlossen hier im letzten Scheiden,

Gott öffnete, zu schauen seinen Frieden.

 

Mit Gram fühl’ ich’s, und wenn so reiche Blüten

Ich spät erblickt, bin ich nicht schuld – das Neiden

Des Tods vielmehr, der zwar von solchen Freuden

Nicht Euch, nur unsre blinde Welt geschieden.

 

Drum, Luigi, um die Züge zu erlauschen,

Verewigend dies himmlische Gesicht,

Das nun zerfiel, im Steine festzuhalten,

 

Muß ich, wenn Liebende die Formen tauschen

Und, ungesehn die Kunst sie fasset nicht,

Wenn ich sie bilden soll, dich selbst gestalten.

 

 

 

124

 

Dem hochwürdigen Herrn

Lodovico Beccadelli

Erzbischof von Raugia

(Antwort)

 

Den Weg zum Himmel, schützt mich Gottes Hand,

Hoff’ ich durch Müh’ und Buße noch zu finden;

Wiewohl, vor Abwurf dieser Erdenrinden

Mit Euch zu sein, mir alle Hoffnung schwand.

 

Doch trennt uns hohe See und rauhes Land,

Soll doch kein Hemmnis Geist und Eifer binden

Und des Gedankens Flügel überwinden

So Schnee und Eis und starker Ketten Band.

 

Denn denkend muß ich immer Euch begleiten

Und wein’ indes um den Urbiner mein,

Der, wenn er lebte, wohl dort mit mir wäre.

 

So wünscht’ ich mir. Nun aber zieht sein Scheiden

Und ladet mich nach andern Pfaden ein,

Und er harrt mein in jener höhern Sphäre.

 

 

 

125

 

Einem Maler[2]

 

Wenn Ihr mit Griffel und mit Farben habt

Bis zur Natur die Kunst emporgetrieben,

Ja jener Glanz zum Teil vermocht zu trüben,

Weil Ihr ihr Schönes schöner widergabt –

 

Raubt ihr nun, da ihr Würd’germ Euch ergabt

Und Blätter mit gelehrter Hand beschrieben,

Ihr allen Preis, wenn einer ja geblieben

Ihr wart, indem Ihr andern Leben gabt.

 

Denn rang in schöner Werke Kunstermächtnis

Mit ihr ein Volk auch, weicht es endlich ihr,

Weil ein gemeßnes Ziel ihm ist gegeben.

 

Nun, andrer schon erloschenes Gedächtnis

Entzündend neu, macht jene mit Euch Ihr,

Der Gegnerin zum Trutz, auf ewig leben.

 

 

 

127

 

Wie scheint der goldne Kranz, gewebt von Blüten,

Auf jenem blonden Haare sich zu weiden!

Die längste Blume, wie sie jauchzt vor Freuden,

Daß ihr des Hauptes erster Kuß beschieden!

 

Den ganzen Tag umschmiegt dies Kleid zufrieden

Die Brust; weicht dann, bis sich von allen Seiten

Um Hals und Wangen schwellend auszubreiten

Die schönen goldnen Locken nicht ermüden.

 

Weit froher aber scheint zu sein das Band,

das mit so lieblichen und süßen Ringen

Die schöne Brust, die es umwindet, preßt;

 

Der schlichte Gürtel, der die Hüft’ umspannt,

Spricht: „Hier will ich für immer fest mich schlingen.“

Wie schlängen da sich erst nun Arme fest?

 

 

 

 

 

 

 

 

 



[1] Vittoria Colonna

[2] Georg Vasari