Michelangelo Buonarotti

1475 -  1564

 

 

In Übersetzungen von:

Alfred von Reumont

 

 

 

An Vittoria Colonna

 

Zum reinen Ursprung mich zurückzubringen,

Will mich das Höchste, wonach Alles strebt

Und das dir stets im heil’gen Busen lebt,

Selbst aus mir treiben und mit sich durchdringen.

 

Zu ihm geh’n meiner kühnen Liebe Schwingen,

Nicht nach der Schönheit, die nur außen schwebt;

Denn eine tugendhafte Lieb’ erhebt

Sich hoffend nur zu unsterblichen Dingen.

 

Doch, wollt’ ein Geist von so erhab’nem Preise

Vom Ursprung sich gemäßen Leib bereiten,

So ziemte solchem Herrn ein solch Gemach.

 

Mir scheint, daß Gott nie herrlicher sich weise;

Denn in Dir sieht Natur man mit sich streiten;

An Schönheit steht der Leib dem Geist kaum nach.“

 

 

 

 

 

 

Hat erst die Kunst, die gottgebor’ne, reine

Ein Menschenbild erfaßt, so formt gemach

In niederm Thon sie den Gedanken nach,

Daß ihre Erstgeburt dem Aug’ erscheine

 

Doch in der zweiten erst, im harten Steine,

Erfüllt der Hammer das was er versprach;

Verklärt und neugeboren kennt hernach

Begrenzung seines Ruhms das Kunstwerk keine.

 

So kam ich als Entwurf von mir zur Erde,

Bestimmt, daß ich durch Euch, o Frau voll Hoheit,

Als ein vollkomm’nes Werk geboren werde.

 

Es braucht die Feile, es ergänzt die Lücken

Eu’r Mitleid. Doch, verscherzt’ ich das in Roheit,

So wendete mir alles Heil den Rücken