Anna Hempstead
Branch
1875 – 1937 USA
In Übertragungen von
ZaunköniG
Sonette an
New York
1. New York bei Sonnenaufgang
Wenn's durch die Wolken dämmert in der Früh
und Sonne in die grauen Straßen streut,
sich jede, wie im Schlummer lächelnd, freut;
die ganze dunkle Stadt ringsum erblüht.
Auf blasse Türme fällt ein Glanz herab,
die wieder auferstehen, stark und lind,
und die im Schlaf erröten wie ein Kind;
Durch Nebel scheint ein unberührtes Grab.
Ich sah durch hohe Fenster diese Räume:
So unwirklich ersteht es, wie die Träume.
Ist dies Manhattan, unschuldig und scheu,
das in den Wolken so ätherisch glüht?
Empfindsam wie ein Rosenstock erblüht,
sah ich die Stadt mit hellen Augen neu.
2. Ein politischer
Führer
Hat er kein Heimatland? Ist er hier fremd?
Ist er hier nicht zuhause? Oh, Verbannter!
Wo will er hin, den Seinen Unbekannter?
Wie er uns vor der ganzen Welt beschämt!
Den Geier zieht's dorthin, wo andre bluten,
wird fett am Leid, vorm Sonnenlicht verborgen.
Verächtlich fragt das Land, was aus den Sorgen
geworden ist, der Ehr, Vertrauen dem Guten.
Kein Künstler sollte seinen Schriftzug treiben
in des Staates hohe Ruhmeshalle,
noch darf ihm Flucht in das Vergessen bleiben.
Oh, diesen Namen merken soll'n
sich alle!
In roten Lettern schreib' ihn eine Hand
für unsre Enkel in das Buch der Schand'.