Marie Stuart

1542 – 1587

 

 

In Übersetzungen von

Gisbert von Vincke

 

 

An Elisabeth, Königin von England

 

Nur ein Gedanke, der mich freut und quält,

Hält ewigwechselnd mir den Sinn gefangen,

So daß der Furcht und Hoffnung Stimmen klangen,

Als ich die Stunden ruhelos gezählt.

 

Und wenn mein Herz dies Blatt zum Boten wählt

Und kündet, Euch zu sehen, mein Verlangen,

Dann, teure Schwester, faßt mich neues Bangen,

Weil ihm die Macht, es zu beweisen, fehlt.

 

Ich sah den Kahn, im Hafen fast geborgen,

Vom Sturm im Kampf der Wogen festgehalten,

Des Himmels heitres Antlitz nachtumgraut.

 

So bin auch ich bewegt von bangen Sorgen,

Vor Euch nicht, Schwester! Doch des Schicksals Walten

Zerreißt das Segel oft, dem wir vertraut.

 

 

 

Letzte Verse

 

Was nützt die mir noch zugemeßne Zeit?

Mein Herz erstarb für irdisches Begehren,

Nur Leiden soll mein Schatten nicht entbehren,

Mir blieb allein die Todesfreudigkeit.

 

Ihr, meine Feinde, laßt von eurem Neid:

Mein Herz ist abgewandt der Hoheit Ehren,

Des Schmerzes Übermaß wird mich verzehren,

Bald geht mit mir zu Grabe Haß und Streit.

 

Ihr Freunde, die ihr mein gedenkt in Liebe,

Erwägt und glaubt, daß ohne Kraft und Glück

Kein gutes Werk mir zu vollenden bliebe.

 

So wünscht mir beßre Tage nicht zurück,

Und weil ich schwer gestrafet ward hienieden,

Erfleht mir meinen Teil am ewigen Frieden.