William Shakespeare

1564 – 1616           England

 

In Übersetzungen von:

Karl Simrock

 

 

18.

 

Soll ich dich einem Frühlingstag vergleichen,

Der du weit lieblicher und milder bist,

Da rauhe Winde durch die Blüthen streichen

Und bald des Lenzes Grün die Frische mißt.

 

Jetzt flammt zu heiß des Himmelsauges Gluth,

Und bald verdunkelt sich sein goldner Schein:

Wie alles Irdische Ebbe hat und Flut

Kann auch die Schönheit nicht beständig sein.

 

Doch soll dein Lenz sich immer neu beblümen,

Dein ewger Frühling weiche keinem Zwange,

Nie sich der Tod dich zu beschatten rühmen:

Durch alle Zeiten lebst du im Gesange.

 

So lang ein Puls noch schlägt, ein Auge sieht,

So lang’ lebt Dies, lebst du in meinem Lied.

 

 

24.

 

Mein Auge wird zum Maler, und geschickt

Malt es dein Bild in meines Herzens Tiefe.

Der Rahmen ist mein Leib, durch den man blickt;

Des Malers beste Kunst ist Perspektive.

 

Nur durch den Künstler schaut dein Herz hinein

Und sieht dein wohlgetroffen Angesicht:

Es hängt in meines Herzens Kämmerlein

Und dies empfängt von deinen Augen Licht.

 

So schafft ein Aug dem andern Auge Wonne:

Meins malt dein Bild, und deins in meiner Brust

Dient mir als Fenster, wo hindurch die Sonne

Zu blicken liebt und dich beschaut mit Lust.

 

Ach, daß den Augen eine Kunst gebricht:

Sie malen was sie schaun, die Liebe nicht.

 

 

66.

 

Den Tod ersehn ich, wenn ichs schauen muß,

Wie das Verdienst zum Bettler scheint geboren,

Wie hohles Nichts sich spreizt im Überfluß,

Die Treue seufzt verraten und verloren.

 

Der goldnen Ehre Schmuck auf schmähem Haupt,

Und jungfräuliche Tugend frech geschändet,

Die Hoheit ihres Herrscherthrons beraubt,

Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet.

 

Die Wissenschaft am Zügel der Gewalt,

Unsinn, der Weisheit goldnen Rat verachtend,

Einfache Wahrheit, die man Torheit schalt,

Das Gute in des Bösen Kerker schmachtend.

 

Dies nicht zu schaun mehr, stürb ich gerne, bliebe

Nur nicht verwaist auf Erden meine Liebe.

 

 

103.

 

Wie schwach ist, was mein Lied zutage bringt!

Es soll die Kraft an deinem Stoff erweisen,

Der würd’ger scheint, wenn man ihn nicht besingt,

Als wenn ich ihn versuchen will zu preisen.

 

O schilt mich nicht, daß ich nicht schreiben kann!

Zum Spiegel tritt, da wird ein Bild sich zeigen,

Das meinem blöden Singen weit voran

Den Stab ihm bricht und mir befiehlt zu schweigen.

 

Wär’ es nicht sündlich, in des Besserns Wahn

Zu schädigen, was lieblich war und schön?

denn mein Gesang weiß sich nicht andre Bahn

Als deine Güt’ und Schönheit zu erhöhn.

 

Und mehr, weit mehr als je mein Lied erschließt,

Zeigt dir der Spiegel, wenn du in ihn siehst.

 

 

122.

 

Die Blätter, die du schenktest, sind beschrieben

In meinem Hirn dir dankbar aufbewahrt,

Wo sie beschützt vor Wechselfällen blieben,

Der Zeit zum Trotz der Ewigkeit gespart.

 

So lange mindestens als Herz und Haupt

Natur mir unverkümmert läßt bestehn,

Nicht löschendes Vergessen beidem raubt

Sein Teil an dir, kann nie dein Bild vergehn.

 

Solch ein Behältnis mochte dich nicht fassen,

Ein Kerbholz schien für deine Liebe Tand:

So konnt’ ich wohl die schlechten Blätter lassen,

Da mehr von dir in meinem Herzen stand.

 

Bedürft’ ich sie, dein ferner zu gedenken,

Das hieße mich als sehr vergeßlich kränken.