William Shakespeare

1564 – 1616           England

 

In Übersetzungen von:

Louise von Plönnies

 

 

 

18.

 

Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?

Bist lieblicher wie er, und stets gelinde;

Durch Maienblüten stürmen oft die Winde,

Des Sommers Pachtzeit muß zu schnell entweichen:

 

Des Himmels Strahlen oft zu heiß sich zeigen,

Sein goldner Schimmer wölkt sich oft geschwinde,

Vom Schönen schwindet oft die schönste Tinte,

Muß in dem Wechsellauf der Zeit erbleichen.

 

Doch nimmer wird dein ew'ger Lenz vergehen,

Noch wird die Schönheit jemals dir entschweben,

Nie um dein Bild wird Todesnacht sich weben,

 

Weil du unsterblich wirst im Liede stehen;

So lange Menschen athmen, Augen sehen,

Wird dies mein Lied, und du im Liede leben.

 

 

 

73.

 

Du kannst in mir die Zeit des Jahres sehen,

Wenn gelbe Blätter, spärlich in den Zweigen,

Vom Frost erschüttert, bebend niederwehen,

Wenn aus zerstörtem Dom die Sänger weichen.

 

In mir magst du des Tages Zwielicht sehen,

Wenn in dem Westen goldne Strahlen bleichen,

Die nach und nach in dunkler Nacht vergehen,

Die Alles hüllt, ein zweiter Tod, in Schweigen.

 

Du siehst in mir die Glut, die sich verzehret,

Auf ihrer Jugend Asche kaum noch sprühet,

Auf ihrem Todenbette still verglühet,

 

Von dem verzehrt, was einstens sie ernähret.

Und dies die Stärke deiner Lieb' vermehret,

Und heißer liebst du, was dir bald entfliehet.