William Shakespeare

1564 – 1616           England

 

In Übersetzungen von:

Karl Lachmann

 

 

 

7.

 

Sieh, wann im Ost erhebt glanzholdes Licht

sein brennend Haupt, welch irdisch Auge weiht

Dem neuen Strahl nicht Huldigung und Pflicht,

Verehrt mit Schaun hochheilge Herrlichkeit?

 

Und wann’s den Himmelsberg steilauf erklomm,

Recht wie in mittlern Jahren junge Kraft,

Noch dann mit Anbetung begleitet fromm

Sterblicher Blick die goldne Wanderschaft.

 

Doch wie’s, von höchster Höh’ mit müdem Rad

Vom Tag abtaumelnd, schwachem Alter gleicht, -

Das Aug’, in Ehrfurcht sonst, vom niedern Pfad

Verwendet sich’s, indem’s zu andrem streicht.

 

So, wann du dich im Mittag überflohn,

Stirbst unbeschaut du, zeugst du keinen Sohn.

 

 

11.

 

So schnell du welken wirst, so schnell ersprießest

Im Kinde du, aus dem, was du entsendest.

Das frische Blut, das itzt du jung ergießest,

Ist dein, wann du der Jugend dich entwendest.

 

Darin ist Schöne, Weisheit und Vermehrung;

Fehlt das, nur Alter, Torheit, kalt Verderben.

Denkt jeder so, das wird der Zeit Zerstörung;

In sechzig Jahren muß die Welt versterben.

 

Mag, wen Natur nicht Hort zu sammeln machte,

Hart, mißgestalt und roh, unfruchtbar enden:

Weil dich vor Reichstbegabten sie bedachte,

Mußt du die milde Gab’ in Milde spenden.

 

Dich schnitt sie als ihr Siegel, mit der Lehre,

Daß mehr du abdruckst und ihr Bildnis währe.

 

 

18.

 

Vergleichen sollt ich dich dem Sommertag;

Da du weit lieblicher, weit milder bist?

Den Lieblingsflor des Mais zaust Windesschlag,

Und Sommers Pacht steht auf zu kurze Frist.

 

Bald ist zu heiß des Himmelsauges Schein,

Und dunkelnd seine Goldfarb’ oft verliert es.

Oft muß der Schönheit schönes sich verzeihn;

Zufall und Wechsel der Natur entziert es.

 

Dir aber welkt nie ewges Sommers Pracht;

Die Schöne, die du hast, verbleibt dir eigen.

Nie rühmt sich Tod, du gehst in seiner Nacht;

In ewger Schrift zum Alter wirst du steigen.

 

So lang’ ein Athem weht, ein Auge sieht

So lange lebt, giebt Leben dir, mein Lied.

 

 

29.

 

Wann, von der Welt Aug’ und vom Glück verschmäht,

Einsam ich jammr’ um mein verworfen Teil,

Zum tauben Himmel schrei unnütz Gebet,

Und mich betracht und fluche meinem Heil,

 

Wünsch andern gleich mich, so im Hoffen keck,

So wohlgestalt, umringt von Freunden so,

Begehre dieses Kunst und jenes Zweck;

Des ich zumeist genieß, am mindsten froh:

 

In den Gedanken, mich verachtend ganz,

Sieh, denk ich dein: mein Leben, wie empor

Die Lerche steigt beim ersten Tagesglanz

Vom düstern Grund, jauchzt laut am Himmelstor.

 

Der Lieb’ Erinnrung macht mich reich und groß,

Dann zu verschmähn den Tausch mit Königslos.

 

 

43.

 

Geschlossen kann mein Aug’ am besten sehn,

Das Tages nur auf Unbemerktes blickt.

Denn schlaf ich, kann’s im Traume dich erspähn;

Umnachtet hell, ist’s Hell’ in Nacht geschickt.

 

Wenn Schatten so dein Schatten hellen mag,

Welch edle Bildung gibt dein Schattenbild

Durch deinen klarern Schein dem klaren Tag,

Da blindes Aug’ ein Glanz vom Schatten füllt!

 

Wie, mein ich, mir’s das Aug’ erst selig macht,

Wenn’s am lebend’gen Tag nun dich erblickt,

Da halber Schattenreiz bei toter Nacht

Unsehndes Aug’ in schwerem Schlaf beglückt!

 

Der Tag scheint Nacht, erscheinest du mir nicht,

Nacht heller Tag, bist du mein Traumgesicht.

 

 

53.

 

Aus welchem Stoff, von welcherlei Natur

Bist du, daß so viel Tausend Schatten dein?

Sonst jeder hat je einer einen nur,

Du einer kannst wohl jedem Schatten leihn.

 

Beschreib Adonis; und in kleinem Maß

Ist ärmlich dir das Abbild nachgemacht.

Gib Zauberreiz den Wangen Helenas;

du bist gemalt in einer Griechin Tracht.

 

Vom Lenze red und von des Jahres Fülle;

Er zeigt von deinem reiz ein Schatten sich,

Die andr’ erscheint wie dein mildreicher Wille:

In jedem edeln Bild erkennt man dich.

 

Teil hast du an jedweder äußern Zier:

An Treu’ gleichst keinem du, und keines dir.

 

 

56.

 

O Lieb’, erneu die Kräfte! Heiß’ es nicht,

Mehr stumpf sei dir Schneid’ als Essenslust,

Die, ob sie heut sich an der Speise bricht,

Sich morgen scharf wird alter Kraft bewußt.

 

So, Liebe, sei auch du: wenn heut du pflegst

Dein hungrig Auge, bis sich’s schließt vor Sattheit,

Schau morgen wieder, daß du nicht erschlägst

Der Liebe Geist in seiner steten Mattheit.

 

Die leide Zwischenzeit sei Ozean,

Der trennt den Strand, wo neuverbundne Zwei

Zum Ufer täglich gehn, daß, sehn sie dann

Rückkehr der Lieb’, ihr Schaun beglückter sei.

 

Ach, Winter heiße sie, der, sorgenschwer

Macht Sommrs Nahn dreifach erwünscht und hehr.

 

 

66.

 

Müd’ alles des, ersehn ich Todesrast:

Zu ehn Verdienst zum Bettelstab geweiht,

Und dürftig nichts in heitern Prunk gefaßt,

Und reinste Treu unselig falsch dem Eid,

 

Und goldne Ehr’ höchst schändlich mißverschenkt,

Und keusche Tugend roh erniedriget,

Und edle Trefflichkeit schmachvoll gekränkt,

Und Kraft von lahmer Macht bewältiget,

 

Und Kenntnis durch Gewalttat stumm gemacht,

Und Dummheit zwingend hochgelahrt den Sinn,

Und Einfachwahres als Einfalt verlacht,

Und Güt’ im Band, Schlechtheit ihr Bannherrin.

 

Müd’ alles des, los möcht ich dessen sein;

Nur, stürb’ ich, mein Geliebter blieb allein.

 

 

70.

 

Daß man dich tadelt, ist nicht schimpflich dir:

Der Schande Ziel war immer ja, was schön;

Und eben Argwohn ist der Schöne Zier,

Ein Rabe, fliegend in den klarsten Höhn.

 

Sei gut, und deinen Wert beweist die Schmach

Nur größer; denn die Welt begehrt ja dein.

Der Wurmfraß geht den zärtsten Knospen nach:

Du beust ein Blühn dar, unbefleckt und rein.

 

Du gingst vorbei der Kindheit Hinterhalt,

Sei’s ohne Sturm, sei’s siegend, griff sie an:

Der Ruhm hat nicht doch solches Ruhms Gewalt,

Der Neid, so stets sich breitet, engen kann.

 

Umhüllte nicht noch Argwohn deinen Glanz, -

Der Herzen Königtum, dein wär es ganz.

 

 

112.

 

Mir füllt den Eindruck Eure Mild’ und Huld,

Den Schimpf der Welt auf meine Stirn geprägt.

Frag ich, wer mir Verdienst zusprech’ und Schuld,

Wenn Böses Ihr begrünt, und Gutes hegt?

 

Ihr seid mir alle Welt; ich bin bestrebt,

Daß Euer Mund mir Lob und Tadel künde,

Da keinem ich und mir kein andrer lebt,

Der beugt mein stählern Herz zu Recht und Sünde.

 

In tiefen Abgrund werf ich all mein Sorgen

Um andrer Reden, daß mein Natternohr

Vor Krittlern wie vor Schmeichlern bleibt geborgen.

Hört, was mich frei hebt über sie empor:

 

Ihr seid so fest mit meinem Sinn vereint,

daß sonst mir alle Welt wie tot erscheint.

 

 

119.

 

Wie schlürft’ ich Tränke von Sirenentränen,

Mit Höllengraus gefülltes Kolbens Laugen;

Mußt’ immer Hoffen Furcht, Furcht Hoffen wähnen;

Verlor stets, sah ich schon Gewinn vor Augen!

 

Welch schnöder Irrtum hat mein Herz umlauert,

Weil’s dachte, Höhers würd’ ihm nichts, noch Liebers!

Wie seiner Sphäre ward mein Aug’ entschauert,

In der Verrückung tollzerstreunden Fiebers!

 

O Übel Heil! Nun hab ich recht geschaut,

Wie Gutes durch das Böse wird noch besser,

Und Liebe, die zerstört war, neu erbaut,

Wird schöner, als zuvor, kraftvoller, größer.

 

Verstoßen kehr ich heim zu meiner Lust,

Gewinn am Bösen dreimal den Verlust.

 

 

132.

 

Dein’ Augen lieb ich; sie, mitleiderfüllt,

Wohl wissend, daß dein Herz mich hart verschmähe,

Stehn da in schwarzem Kleid, und trauern mild,

Und sehn mit zartem Mitgefühl mein Wehe.

 

Und wahrlich, selbst des Himmels Morgenschein

Steht besser nicht dem Ost zu grauen Wangen;

Der Stern voll Glanz, der führt den Abend ein,

Gibt dem bescheidnen West nicht halb das Prangen,

 

Wie dem Gesicht zwei traurige Augen stehn.

O zieme des doch fürder auch dein Herz,

Um mich zu trauern, macht dich Trauern schön,

Und kleide dich mitleidig allerwärts.

 

Dann schwör ich gern: die Schöne selbst ist schwarz;

was andre Farb’ empfing, grundhäßlich ward’s.

 

 

137.

 

Was, Blindling Amor, tatst du meinen Augen,

Die immer schaun, und sehn nicht, was sie sehn,

Die Schöne kennen, sie zu finden taugen,

Und nennen häßlich das, was eben schön?

 

Wenn Augen, von befangnem Blick umdämmert,

Grund faßten in der Bucht für jedermann,

Aus Augentrug hast Klammern du gehämmert,

Und bandest mir des Herzens Sinn daran?

 

Was nimmt mein Herz für abgehegt Gebiet,

Was, wie’s erkennt, die Welt gemeinsam füllt?

Was muß mein Aug’ ableugnen, was es sieht,

Trägt schöne Tugend auf ein häßlich bild?

 

Am Wahren hat mein Aug’ und Herz geirrt;

Nun sind sie in dies Lügenleid verwirrt.

 

 

140.

 

Ach sei so klug als grausam; dränge nicht

durch allzu hart Verschmähn mein stumm Ertragen.

Sonst leiht der Schmerz mir Red’, und Rede spricht

Die Art aus der erbarmungslosen Plagen.

 

Weit besser wär’s, belehrte dich mein Rat,

Du liebtest nicht, doch, Liebchen, sagtest du’s;

Wie eigne Kranke, wann ihr Sterben naht,

Vom Arzt nur hören der Genesung Gruß.

 

Denn müßt’ ich ganz verzweifeln, würd’ ich toll,

Sagt’ in der Tollheit manches dir zur Schmach.

Bös ist die Welt jetzt, von Verdrehung voll;

Toll glaubt ihr Ohr, was toll Verleumden sprach.

 

Daß ich nicht rasend werd und du verkannt,

Wend her dein Aug’, ist auch dein Herz entwandt.

 

 

148.

 

Weh! was für Augen gab mir Lieb’ ins Haupt,

Frei aller Kundschaft mit dem wahren Sehn!

Wie? oder ward mir mein Verstand geraubt,

Der falsch beurteilt, was sie recht erspähn?

 

Ist schön, wofür im Wahn die Augen brennen,

Warum doch sagt die Welt: Es kann nicht sein-?

Ist’s aber nicht, gibt Liebe zu erkennen,

Mehr wahr sei als der Lieb’ Aug’ aller Nein.

 

Wie kann’s auch? Würd’ ein Liebesauge klar,

An dem das Wachen so und Weinen zehrt?

Drum, irrt mein Sehn, so ist’s nicht wunderbar;

Die Sonn’ auch sieht nicht, bis die Luft sich klärt.

 

Schlau läßt du, Lieb’, in Tränen mich erblinden,

Weil deine Fehl’ hellsehnde Augen finden.

 

 

150.

 

O welche Macht gab dir die Machtgewalt,

Daß deine Schwäche so mein Herz regiert,

Und oft mein wahrhaft Aug’ ich Lügner schalt,

Und schwur, nicht sei der Tag mit Licht geziert?

 

Wo kommt das Wohlanstehn des Bösen her,

daß selbst im Auswurf deines Tuns sich zeigt

Der Trefflichkeiten Vollmacht und Gewähr,

Das Beste mir sich deinem Schlechtesten neigt?

 

Wer lehrte dich die Lieb’ in mir erneun,

Wenn neu ich hör und sehe Grund zum Haß?

O, lieb ich gleich, wovor sich andre scheun, -

Mich scheun, wie’s andre tun, die Härte laß.

 

Je mehr dein Unwert Lieb’ erweckt’ in mir,

Je werter ich, geliebt zu sein von dir.