Dante Alighieri

1265 – 1336

 

 

In Übersetzungen von

Karl F. Ludwig Kannegießer

 

 

Aus der „Vita Nova“

 

 

 

XV.

 

Mit solcher Huld und Anmuth ist geschmücket

Madonna, daß, wenn Sie sich grüßend neigt,

Deß Zunge plötzlich stockt und zitternd schweigt,

Und kaum empor zu Ihr sein Auge blicket.

 

Vernimmt sie Lobeswort’ Ihr nachgeschicket,

So flieht Sie, der an Demuth keine gleicht.

Wol scheint’s, daß Sie vom Himmel niedersteigt

Ein Wunder, das die Seligen entzücket.

 

So zauberisch ist Ihrer Augen Licht,

Daß in das Herz draus eine Süße quillet,

Die nicht begreifet, wer sie nicht erlebet.

 

Herab von Ihrem Antlitz, scheint es, schwebet

Ein milder Geist, von Amors Huld erfüllet,

Der: Seufze! zu der Seel’ im Weggehn spricht.

 

 

XXV.

 

Jenseits der Sphäre, die am weitsten kreist,

Dringt mancher Seufzer, der der Brust entwehet,

Indem die neue Einsicht, ausgesähet

Von tränenvoller Lieb, ihn aufwärts reißt.

 

Kommt er dort an, wohin die sehnsucht weist,

So schaut die Herrin er, die Ehr empfähet,

Und die so große Helligkeit umfähet,

Daß durch den Glanz sie schaut der fremde Geist.

 

Solch Anschaun ists, daß, gibt er mir Bericht,

Ichs nicht versteh, so zart spricht er zur Öde

Des Herzens, und er spricht auf dessen Flehen,

 

Ich weiß, nur sie, die Hold, ist seine rede;

Deshalb, so oft er: Beatrice! spricht

Wirds leicht mir, teure Fraun, ihn zu verstehn.