Guiseppe Giusti

1809 – 1850

 

In Übersetzungen von:

Paul Heyse

 

 

 

An Dante

1848

 

Damals, als dich der „Schwarzen“ Muth vertrieben

Im Bund mit einem Papst und dem Franzosen,

Verschrie dein eigen Land den Heimatlosen

Als niedern Schuft und Spießgesell von Dieben.

 

Nur darum, weil dein Sinn zu stolz geblieben,

Um mit dem Judas brüderlich zu kosen;

Denn dessen Schaar hat stets dem Makellosen

Die eignen schwarzen Sünden zugeschrieben.

 

So werden wir heut des Verraths verklagt

Von den Verräthern, die das Heil verschachern,

Uns ihre Schmach zuwälzend unverzagt.

 

So tröste du uns denn in dieser flachern

Und kleinern Zeit, du, der uns überragt

An Leiden, Muth, Genie und Widersachern.

 

 

1845?

 

Zählst du, mein Freund, zu den berühmten Köpfen,

Gewinnst du manche süße Frucht auf Erden,

Die süßeste gewiß: belobt zu werden,

Belästigt und begafft von allen Tröpfen.

 

Das Schaf, das Schwein, nebst andern Gottgeschöpfen,

Die zahlreich weiden in zufriednen Herden,

Zur Krippe gehn sie ohne viel Beschwerden

Und dürfen, sind sie müde, Athem schöpfen.

 

Doch der Poet, der Zulauf hat von Weiten,

Gleicht nur dem armen Esel auf der Gasse,

Den Keiner füttern will und Jeder reiten.

 

Entweder muß er unterm Druck der Masse

Den Rücken biegen, oder auch beizeiten

Ausschlagen, wie die andern seiner Rasse.

 

 

(1848)

               Die Mehrheit zwingt die Minderheit.

               Sprichwort

 

Die Mehrheit zwingt die Minderheit? Nun ja*

Gesetzt, daß Thatkraft bei der Mehrheit sei;

Doch steht die faul und tölpelhaft dabei,

So ruft die Minderheit „Victoria!“

 

Wenn dir ein Volk – odiosa nomina –

Ein ganzes Volk nur besteht mit Geschrei,

So ist’s so gut, als wärst du vogelfrei,

Tritt ein Paar grober Bursche dir zu nah.

 

Nimm an, vier Kerle prügelten dich hier,

Indessen dort zweihundert „Hülfe!“ schrei’n,

Die Händ’ im Schoß – mein Schatz, was hülf’ es dir?

 

Nicht wahr, das „Ja“ wird nachdruckvoller sein,

Das dir handgreiflich machen jene Vier,

Als der zweihundert Gimpel zahmes „Nein.“

 

 

(1849?)

 

Glückselig du, der auf der Lebensreise

Den breiten Heerweg wandelt mit dem Schwarm,

Bergauf, bergunter, ohne Furcht und Harm,

Gerecht in allen Sätteln, glatt und leise.

 

Früh bei der Cour, Nachts in illüstrem Kreise,

Und morgen mit Jesuiten Arm in Arm,

Und übermorgen, werder kalt noch warm,

Der alte Kreislauf in dem alten Gleise.

 

Denn wenn dies Schaukeln auch gewissen Leuten,

Die auf Plutarch und alte Muster blicken,

Den Magen umkehrt, - was will das bedeuten?

 

Laß dir von Narren nicht am Zeuge flicken,

Und treib’s so fort; bei Feinen und Gescheuten

Heißt das ja nur, „sich in die Zeiten schicken“.

 

 

(1844)

 

Grossi, nunmehr, mit fünfunddreißig Jahren,

Vergehn mir allgemach die alten Possen.

Die Thorheit, die einst üppig aufgeschossen,

Wird jetzt gezähmt von ein’gen weißen Haaren.

 

Die Zeit beginnt nun Schritt mit uns zu fahren,

Halb Poesie, halb Prosa, unverdrossen

In Arbeit und mit fröhlichen Genossen,

Theils in der Welt. theils bei den eignen Laren.

 

So geht es fort und sachte sacht bergab,

Bis dann der Tod beschließt die abgethane

Komödie, die uns oft zu lachen gab.

 

Und wohl mir, wenn vom Erdenweh und –Wahne

Nur übrig bleibt ein Stein auf meinem Grab,

Auf den man schreibt: „Nie wechselt’ er die Fahne.“

 

 

Das Vertrauen auf Gott

Eine Statue von Bartolini

(1837)

 

Wie schon der Welt entrückt und ihrer Qual,

Verzückt in Den, der noch am Kreuz verziehen,

Sanft überläßt sie ihren Leib den Knieen

Und faltet still die Hände, schlank und schmal.

 

Ein müder Schmerz, ein Wille sonder Wahl

Scheint durch die schönen Glieder hinzuziehen,

Doch aus dem geist’gen Auge, dem verliehen,

Gott anzuschau’n, blitzt der Verklärung Strahl;

 

Als spräche sie: Wenn alle Süßigkeit

Mich trog und dieses Leben voll Beschwerde

hinschwindet, das der Hoffnung war geweiht,

 

Dann flüchtet mit vertrauender Geberde

Die Seele, Herr, zu dir und ruht vom Streit

In einer Liebe, nicht von dieser Erde.

 

 

(1845?)

 

In dunkler Nacht, auf menschenleeren Wegen

Lenkt’ ich zu deinem Haus die Schritte wieder.

In Liebeszweifeln lag mein Mut danieder,

O aller Schönheit Blume, deinetwegen!

 

Und schon von ferne klangen mir entgegen

Gedämpftes Saitenspiel und süße Lieder,

Daß auf der Sehnsucht zitterndem Gefieder

Die Seele floh, sich an dein Herz zu legen.

 

Und Seufzer schienen deine Brust zu dehnen,

Indem du sangst, und voll ins Wort ergossen

Ein Herz, das ringt mit seinem tiefsten Sehnen.

 

Ach, wohl um mich, dem deine Thür verschlossen,

Ward deine Wange überströmt von Thränen,

Daß meine Thränen micht mehr einsam flossen.

 

 

Auf den Tod einer Milchschwester

(1831)

 

Als Kinder pflegt’ uns liebevoll und sacht

Dasselbe Wiegenlied in Schlaf zu singen,

Es war dieselbe Brust, an der wir hingen,

Dasselbe Linnen deckt’ uns Tag und Nacht.

 

Was hat dir die Gemeinschaft leid gemacht,

Daß höher dich entführten deine Schwingen?

Das letzte Brod des Alters dir zu bringen,

O Schwester, hatt’ ich mir so schön gedacht!

 

Vom Tisch hier unten hast du dich erhoben

Vor mir, und schauend Gottes Herrlichkeit

Schzlürfst du beim sel’gen Mahl der Engel droben

 

Vergessen alles Jammers dieser Zeit;

Und ich indes muß täglich neu erproben

Des trostlos schwanken Lebens Bitterkeit