Dante Alighieri

1265 – 1336

Übersetzungen von 

Paul Heyse

 

 

I.   Tanto gentile e tanto onesta pare

 

So ganz holdselig scheint, so reich an Sitte

Die Liebste, sieht man sie im Gruß sich neigen,

Daß Zittern jeden Mund befällt und Schweigen,

Und keinem Aug’ ein dreister Blick entglitte.

 

Sie aber geht durch der Entzückten Mitte,

Gekleidet mild in Demuth, die ihr eigen.

Da ists, als ob vor uns vom Himmelsreigen

Ein Wunderbild zur Erde niederschritte.

 

Sie stellt sich jedem Blick so lieblich dar,

Daß eine Süße dringt durchs Aug’ ins Herze,

Die Keiner, der ihr fremd, zu kennen wähne.

 

Und von den holden Lippen wunderbar

Weht linder Hauch, erfüllt von Lieb’ und Schmerze,

Der zu der Seele spricht: nun seufz’ und sehne!

 

 

II.   Vede perfettamente ogni salute.

 

An jedem Heil in Fülle wird sich weiden,

wer bei den Frau’n sieht meine süße Minne,

Und Jede neben ihr soll Gott bescheiden

Dank sagen, daß sie diese Gunst gewinne.

 

Denn nicht die Andern regt sie auf zum Neiden,

Nein, solche Kraft wohnt ihrer Schönheit inne,

So viel sich ihr gesellen, zu bekleiden

Mit edler Anmuth Lieb’ und treuem Sinne.

 

Ihr Liebreiz macht ein jedes Herz demüthig,

Und schmückt nicht sie allein; vielmehr ist Keine,

Die ihr zur Seiten unverschönet bliebe.

 

Und ihr Gebahren ist so hold und gütig,

Daß wer bei sich gedenkt an diese Reine,

Erfreuen muß in Süßigkeit der Liebe.

 

 

III.   Con l’altre donne mia vista gabbate.

 

Ihr spottet meines Anblicks mit den Frauen,

Und nicht bedenkt Ihr, Herrin, wie’s geschehe,

Daß, wenn ich Eure Schönheit vor mir sehe,

Ich selber bin so seltsam anzuschauen.

 

O wüßtet Ihr’s, in Mitleid würde thauen

Das bartverwöhnte Herz vor meinem Wehe;

Denn Amor, trifft er mich in Eurer Nähe,

Gewinnt zu seiner Macht so frech Vertrauen,

 

Daß er die Lebensgeister mir mißhandelt

Und die mir tödtet, die verjagt behende;

Dann bleibt nur er zurück, Euch zu betrachten.

 

Da wird denn meine Bildung ganz verwandelt,

Doch nicht so ganz, daß ich nicht schwer empfände

Die Qual der Armen, die im Banne schmachten.

 

 

IV.   Spesse fiate venemi nella mente

 

Mir kommt zu Sinne manche Stund’ im Tage

Der dunkle Stand, den Liebe mir ersehen.

Deß jammert mich so bitter, daß ich frage:

„Ach, kann wohl Andern noch so schlimm geschehen?

 

Daß mich bestürmt so jähe Liebesplage,

Als müßt’ ich schier von dieser erde gehen,

Und, ein Gespenst, mein Leben fürder trage!“

(Nur weil es zeugt von Euch, kann es bestehen.)

 

Dann, mich zu retten, fass’ ich mich gewaltsam,

Und so, erblichen, keiner Kraft bewußt

Begegn’ ich Euch, zu heilen meine Leiden.

 

Und schlag’ ich auf die Augen, unaufhaltsam

Hebt ein Erdbeben an in meiner Brust,

Das aus den Pulsen zwingt den Geist zu scheiden.

 

 

V.   Negli occhi porta la mia donna Amore.

 

Die Liebe wohnt im Auge meiner Schönen,

Und lieblich wird, was sie mit Blicken weihte.

Wo sie erscheint, starrt man nach jener seite,

Und wen sie grüßt, der fühlt’s im Innern dröhnen,

 

Daß sein Gesicht erblaßt und er mit Stöhnen

Das Auge senkt, mit seinem Selbst im Streite.

Vor ihr fliehn Zorn und Übermuth ins Weite.

Ach, helft mir, Frauen, würdig sie zu krönen!

 

Jedwede Süße wird dein Herz beschleichen

Und alle Demuth, hörst du, wenn sie spricht;

Wenn du zuerst sie schaust – o sel’ge Stunde!

 

Doch wie es ist, wenn sie mit sanftem Munde

Ein wenig lächelt – sag’ und fass’ ich nicht,

So ist’s ein Wunder, herrlich ohne Gleichen!

 

 

VI.   Amore e’l cor gentil sono una cosa

 

Lieb’ und ein edles Herz sind Eines nur,

So hörst du schon des Weisen Spruch dir sagen.

Eins darf so wenig fliehn des Andern Spur,

Als Menschengeist des Geistes sich entschlagen.

 

Dem Menschen giebt, will sie ihm wohl, Natur

Amor zum Herrn, die Wohnung aufzuschlagen

Im tiefsten Herzensgrund der Creatur;

Dort läßt er sich’s lang oder kurz behagen.

 

Schönheit erscheint in klugem Weibe drauf,

Gewinnt die Augen ganz und regt im Herzen

Die Sehnsucht auf nach dem, was sie gewann,

 

Die hält so lange sich im Innern auf,

Bis dort erwacht ein Hauch der Liebesschmerzen;

Und Gleiches wirkt im Weib ein edler Mann.