Francesco Petrarca

1304 – 1374           Italien

In Übersetzungen von

Johann Dieterich Gries

 

 

 

25.tes Sonett

 

Je mehr dem Tag ich nahe, der beschieden

Zum letzten Ziele ward der irdschen Plagen,

Je rascher, flüchtger scheint die Zeit zu jagen,

Je eitler was von ihr ich hofft’ hienieden.

 

Ich sage meinem Sinn: Bald ists entschieden;

Nicht viel mehr werden wir von Liebe sagen.

Die Erdenlast, so hart und schwer zu tragen,

Zergeht wie frischer Schnee; dann gibt es Frieden.

 

Denn auch mit ihr wird jene Hoffnung weichen,

Die zu so langem Wahn verführt die Seele,

Und Lachen, Weinen, Furcht und Zorn des Lebens.

 

Dann sehn wir klar, wie man so oft sich quäle,

Um unheilsame Dinge zu erreichen,

Und wie so oft man seufze ganz vergebens.

 

 

 

Die süßen Hügel, wo ich mich gelassen,

Entfliehend, dem ich immer kann entfliehen,

Ziehn vor mir her: die Liebe mir verliehen,

Die teure Bürde kann ich nimmer lassen.

 

Oft kann ich selbst mich nicht verstehn noch fassen;

Denn ob ich flieh, umsonst ist mein Bemühen,

Ich kann mich nicht dem schönen Joch entziehen

Und komm ihm näher, statt es zu verlassen.

 

Und wie ein Hirsch, durchbohrt vom gift’gen Pfeile,

Obwohl der Stahl ihm an dem Herzen nage,

Flieht und je mehr sich quält, je mehr er eile:

 

So mit dem Pfeil, den ich im Busen trage,

Der mich verzehrt und mich ergötzt zum Teile,

Ermatt ich mich durch Flucht, vergeh in Plage.

 

 

 

Einsam, gedankenvoll, die öd’sten Lande

Geh’ ich durchmessend, langsam und verdrossen,

Und wend’ umher den Blick, zur Flucht entschlossen,

Wo Menschenspur sich eingedrückt dem Sande.

 

Sonst find’ ich keine Wehr zum Widerstande,

Bei’m scharfen Spähn zudringlicher Genossen;

Weil Gang und Blick, der Fröhlichkeit verschlossen,

Von außen zeugt von meinem innern Brande.

 

So daß ich glaub’, es haben schon vernommen

Berg, Wald, Gefild und Fluß, von welcher Weise

Mein Leben sey, das Andern ich verhehle.

 

Doch weiß ich nicht auf einen Pfad zu kommen,

So rauh und wild, das Amor nicht sich weise,

Und er nicht mir, und ich nicht ihm erzähle.

 

 

 

 

Geht, heiße Seufzer, um das Eis zu dehnen,

das, feind der Milde, hält ihr Herz umzogen;

und dringt ein sterblich Flehn zum Himmelsbogen,

sei Tod, sei Lohn das Ende meiner Tränen.

 

Geht, schmeichelnde Gedanken, malt dies Sehnen,

das innen sich dem schönen Blick entzogen;

bleibt doch ihr Stolz, mein Stern mir ungewogen,

so ist vorbei mein Hoffen und mein Wähnen.

 

Wohl könnt ihr sagen, wenn auch nicht genüglich,

daß unser Zustand dunkel ist, beklommen,

so wie der ihre friedsam und vergnüglich:

 

Geht sicher jetzt, mit euch wird Amor kommen;

und sind nicht meiner Sonne Zeichen trüglich,

so kann des Unglücks Milderung mir frommen.

 

 

 

Gestirn’ und Element’ und Himmel gaben

sich jede Müh im Wettkampf, um zu bauen

ein lebend Licht, in welchem sich beschauen

Sonn und Natur, die sonst nichts Gleiches haben.

 

So neu, so reizend ist es, so erhaben,

daß ird’sche Blicke sich zu ihm nicht trauen;

so scheinet Amor mild und Huld zu tauen

aus ihrem Aug in unermeßnen Gaben.

 

Die Luft, berührt von diesem holden Schimmer,

wird so entflammt von Ehrfurcht und durchdrungen,

daß ich’s nicht sagen kann und denken nimmer.

 

Da fühlt man nicht der Sinne Forderungen,

nur die der Ehr und Tugend; wann nun immer

hat höchste Schönheit niedre Gier bezwungen?

 

 

 

 

 

 

In welchem Himmel, welchen Idealen,

Hat die Natur das Urbild ausgehoben

Des holden Angesichts, das uns, was droben

Sie leisten kann, hienieden sollte malen?

 

Hatt’ eine Nymph’ im Hain, in Quellenthalen,

Die Locken so aus feinem Gold gewoben?

Wies je ein Herz so aller Tugend Proben?

Schafft gleich das Ganze mir des Todes Qualen.

 

Der kennet nie der Schönheit höchste Preise,

Dem ihrer Augen Anblick muß gebrechen,

Wenn sie so lieblich sie bewegt im Kreise.

 

Nicht kennt, wie Amor heilen kann und stechen,

Wer nimmer kennt der Seufzer holde Weise,

Das holde Lächeln und das holde Sprechen.

 

 

 

 

Nunmehr, da Himmel, Erd und Winde schweigen,

Gefieder, Wild, des Schlummers Bande tragen,

die Nacht im Kreise führt den Sternenwagen,

des Meeres Wellen sich zur Ruhe neigen:

 

Nun wach’ ich, sinne, glüh’ und wein’, alleigen

dem, der mich stets verfolgt mit süßen Plagen.

Krieg ist mein Zustand, Zorn und Mißbehagen;

nur, denk’ ich sie, will Friede mir sich zeigen.

 

So strömt, was mich ernärt, das Süß und Herbe

aus eines einz’gen Quells lebend’gem Strahle;

dieselbe Hand gibt Heilung mir und Wunden.

 

Und daß mein Leiden nie ein Ziel erwerbe,

sterb’ und ersteh’ ich täglich tausend Male;

so weit entfernt noch bin ich, zu gesunden.

 

 

 

 

Wär’ ich aus jener Grotte nicht entronnen,

wo einst Apoll geworden zum Propheten,

so fehlt’ es auch Florenz nicht an Poeten,

gleich Mantuas und Veronas edlen Sonnen.

 

Doch da mein Land durch jenen Felsenbronnen

nicht mehr sich feuchtet: Andern Leitplaneten

muß ich nun folgen, und von dürren Stätten

wird Dorn und Klette mühsam nur gewonnen.

 

Der Ölbaum ist verdorrt, zu fremdem Pfade

die Flut, die vom Parnaß entspringt, gewendet,

die eine Zeitlang Blüten ihm gespendet.

 

So wird durch Schicksal oder Schuld entwendet

mir alle Furcht; es sei denn, daß die Gnade

des ew’gen Jovis sich auf mich entlade.

 

 

 

 

Durch unwirtbarer, rauher Wälder Dichte,

der kaum bewaffnet Volk sich mag vertrauen,

geh’ ich getrost; denn nichts erregt mir Grauen

als jene Sonn, entflammt von Amors Lichte;

 

und sing’ im Gehn – o törichte Gedichte! –

sie, die kein Gott mir wehren kann zu schauen.

Sie seh’ ich stets und glaube Mädchen, Frauen

bei ihr zu sehn, und es ist Buch’ und Fichte.

 

Zu hören wähn’ ich sie, wann in den Zweigen

die Lüfte seufzen, Laub und Vögel klagen,

die Bäche murmelnd grünes Gras befeuchten.

 

Nie schuf ein einsam Graun, ein tiefes Schweigen

des Schattenhaines mir ein solch Behagen;

zu sehr nur birgt sich meiner Sonne Leuchten.

 

 

 

Einst, an Achills glorreichen Grabeshallen,

rief Alexander aus in tiefem Staunen:

O Vielbeglückter, dem das laute Schallen

erklang so prachtvoll tönender Posaunen!

 

Doch diese Taube, rein und weiß vor allen,

die alle Welt als einzig muß bestaunen,

läßt mein Gesang nur dürftig wiederhallen;

so werfen unser Los des Schicksals Launen.

 

Denn sie, Homers und Orpheus’ wertzuachten,

und jenes Hirten, den noch Mantua ehret,

daß singend sie in die Eine nur erhüben,

 

hat des Geschicks nur hier unbill’ges Trachten

dem anvertraut, der göttlich sie verehret,

doch ihren Ruhm wohl mag durch Worte trüben.

 

 

 

 

Du wilder Strom, der aus der Alpenquelle

hervor sich wühlt, woher dein Nam entsprossen,

und Tag und Nacht eilt mit mir, unverdrossen,

wohin mich Liebe führt, dich eigne Schnelle:

 

Geh du voraus; nicht Schlaf hemmt deine Welle,

Ermattung nicht. Doch, eh du dich ergossen

ins Meer, verweile, wo die Auen sprossen

von frischerm Grün, bestrahlt von schönrer Helle.

 

Dort siehst du die lebend’ge Sonne prangen,

wovon dein linkes Ufer glänzt so prächtig;

vielleicht (o Hoffnung) harrt mein ihr Verlangen.

 

Küß ihr den Fuß, die Hand, so weiß und schmächtig,

und sprich: Der Kuß sei statt des Worts empfangen;

der Geist ist willig, doch das Fleisch ohnmächtig.

 

 

 

 

Die süßen Höhn, wo ich mich selbst gelassen,

entfliehend, dem ich nimmer kann entfliehen,

ziehn vor mir her; die Amor mir verliehen,

die teure Bürde kann ich nimmer lassen.

 

Oft kann ich selbst mich nicht verstehn noch fassen;

denn ob ich flieh’, ist’s nimmer mir gediehen,

dem schönen Joch den Nacken zu entziehen,

und näher komm’ ich, statt es zu verlassen.

 

Und wie der Hirsch, durchbohrt vom gift’gen Pfeile,

obwohl der Stahl ihm an der Seite nage,

flieht, und je mehr sich quält, je mehr er eile:

 

So mit dem Pfeil, den ich im Herzen trage,

der mich verzehrt und mich ergötzt zum Teile,

ermatt’ ich fliehend und vergeh’ in Plage.

 

 

 

Bei edlem Blut ein Leben, still umschattet,

ein reines Herz bei hohen Geistesproben,

des Alters Frucht von Jugendblüt umwoben,

und ernsten Blick mit frohem Sinn gegattet,

 

hat dieser Holden ihr Planet gestattet,

vielmehr der Sterne Fürst, und sie erhoben

zu solcher Ehr und Würde, die zu loben

auch wohl der göttlichste Poet ermattet.

 

Lieb ist in ihr mit Züchtigkeit im Bunde,

mit feiner Sitte Reiz, ihr angeboren,

und sprechende Gebärd auch mit em Schweigen;

 

dazu im Aug ein Etwas, das zur Stunde

die Nacht erhellen kann, den Tag umfloren,

den Honig, herb und süß, den Wermut zeigen.

 

 

 

 

 

Die Nachtigall, die wohl so holde Klagen

Um ihren Gatten seufzt, um ihre Söhne,

Füllt Himmel und Gefilde mit Behagen,

Durch ihre zärtlichen und sinn’gen Töne.

 

Es ist, als ob mein Schicksal mir zu sagen,

Die ganze Nacht sie, mich begleitend, stöhne.

Denn ich nur muß die Schuld des Wahnes tragen,

Daß eine Göttin nicht dem Tode fröhne.

 

O wie so leicht betrügt man das Vertrauen!

Zwei Augen, dacht ich, heller als die Sterne,

Verhüllen nie die erd in dunkles Grauen.

 

Nun kann ich wohl mein grimmig Los durchschauen;

Es will, daß lebend ich und weinend lerne

Auf nichts, was und hienieden freut, zu bauen.