John Keats

1795 – 1821           Großbritannien

 

 

In Übersetzungen von

Marie Gothein

 

 

An Ailsa Rock


Horch, Meerespyramide, lass dich wecken!
Gib Antwort mit dem Schrei der Möwenbrut!
Wann war´s, als deine Schultern hüllt die Flut,
Dich vor dem Sonnenlichte zu verstecken?


Wann hieß die höchste Macht vom Traum dich schrecken,
Dass nun dein Haupt im luftigen Schlafe ruht,
Im Schoß des Donners, wo bald Sonnenglut,
Bald kalte, graue Wolken dich bedecken?


Du gibst nicht Antwort, du schläfst todestief;
Dein Leben sind zwei tote Ewigkeiten:
Jetzt schläft´s in Luft, wie einst es unten schlief,
Einst mit dem Wal, dem Adler jetzt zu streiten.


Du lagst versenkt, da rief der Erde Beben,
So durftest du den Riesenleib erheben.

 

 

An Homer

 

Unwissend ganz muss ich beiseite lehnen,
Hör ich von dir und hör von den Cykladen,
Wie einer an der Küste sich mag sehnen,
Im tiefen Meer mit dem Delphin zu baden.


Wohl, du bist blind, jedoch der Schleier reißt,
Denn Zeus enthüllt den Himmel dir zum Leben,
Die Biene summt für dich, wie Pan sie heißt,
Neptunus will sein schäumend Zelt dir geben.


Dir ist ein Licht am finstern Strand erwacht,
Abgründe sind mit frischem Grün bedeckt,
Ein Morgen knospt aus dunkler Mitternacht.
Dreifach Gesicht solch scharfe Blindheit weckt:


Zu schauen ward dir mit Dianas Sinn,
Der Höllen-, Erd- und Himmelskönigin.

 

 

Auf Chapmans Homer

 

Durch manches goldne Reich bin ich gedrungen,
Und stolze Staaten wurden mir zum Ziel,
Um viele Inseln wagte sich mein Kiel,
Wo Barden, stets Apollo treu, gesungen.


Doch war mir nie das Land zu sehn gelungen,
Das in Homers, des ernsten, Herrschaft fiel,
Nie atmet´ ich der reinen Lüfte Spiel,
Eh Chapmans kühne Sprache mir erklungen.


Da fühlt´ ich wie der Forscher auf der Warte,
Schwimmt in den Horizont ein neuer Stern,
Wie Cortez, da sein Adlerauge fern


Zum stillen Ozean blickt, die Mannschaft harrte
In wildes Schweigen staunend tief versenkt
Auf Dariens Felsenhöhen dicht gedrängt.

 

 

Die Grille und das Heimchen

 

Der Erde Poesie wird nimmer schweigen.
Denn bergen sich die Vögel in der Kühle
Vor Sonnenglut, so hört man durch die Schwüle
Aus duftigen Matten eine Stimme steigen.


Das ist die Grille, und sie führt den Reigen
Der Sommerlust, und nie kommt sie zum Ziele
Mit ihren Freuden; ist sie matt vom Spiele,
Wird ihr der Halm zu süßer Rast sich neigen.


Die Poesie der Erde endet nimmer.
Am langen Winterabend, wenn gefroren,
Zu schweigen alles scheint, tönt Heimchens Sang


Vom Herde her und wächst im warmen Schimmer:
Er scheint für ihn, der halb im Schlaf verloren,
Der Grille Stimme von dem Rasenhang.

 

 

 

 

 

Es ging der Tag und mit ihm alles Schöne!
Die süße Stimme, Lippe, Brust und Hand,
Der warme Atem, holde Flüstertöne,
Der Glanz des Auges, der Gestalt entschwand.


Dahin der Blumen junge Knospenfülle,
Dahin der Schönheit Strahl aus meinem Blick,
Dahin aus meinem Arm der Schönheit Hülle,
Das Paradies, die Wärme, Glanz und Glück!


Unzeitig hat der Abend es verschlossen;
Nun webt der Feiertag - nein, Feiernacht,
Vom Vorhang duftiger Liebe leicht umflossen,
Das Dunkel für die Lust, die heimlich wacht;


Ich aber las der Liebe Buch am Tage,
Dass ich nun schlafe, bete und entsage.

 

 

 

 

Fürcht ich, dass frühem Tod mein Sein verfällt,
Eh noch des Geistes Frucht die Feder fasst,
Der Bücher Reihe meine Schrift enthält
Wie voller Speicher reicher Ernte Last;


Schau ich der Nacht ins Sternenangesicht,
Seh hoher Lieder Sinnbild, Wolkenstreifen,
Und denk: ich muss vergehen und kann nicht
Mit Glückes-Zauberhand die Schatten greifen;


Und fühl ich, holdes Wesen einer Stunde,
Dass ich dich niemals, niemals wiedersehe,
Nie an der Liebe Feenmacht gesunde,
Der rückhaltlosen; - einsam sinnend stehe


Ich an dem Ufer dann der weiten Welt,
Bis Ruhm und Liebe mir in Nichts zerfällt.

 

 

 

 

Glanzvoller Stern! wär ich so stet wie du,
Nicht hing ich nachts in einsam stolzer Pracht!
Schaut´ nicht mit ewigem Blick beiseite zu,
Einsiedler der Natur, auf hoher Wacht


Beim Priesterwerk der Reinigung, das die See,
Die wogende, vollbringt am Meeresstrand;
Noch starrt ich auf die Maske, die der Schnee
Sanft fallend frisch um Berg und Moore band.


Nein, doch unwandelbar und unentwegt
Möcht´ ruhn ich an der Liebsten weicher Brust,
Zu fühlen, wie es wogend dort sich regt,
Zu wachen ewig in unruhiger Lust,


Zu lauschen auf des Atems sanftes Wehen -
So ewig leben - sonst im Tod vergehen!

 

 

 

 

Meinen Brüdern

 

Geschäftige Flämmchen spielen auf den Kohlen,
Ihr schwaches Knistern schleicht auf unser Schweigen,
Hausgöttern wispert´s gleich, wie uns zu zeigen,
Dass ihnen Bruderseelen anempfohlen.


Und forsch´ nach Reimen ich bis zu den Polen,
Scheint euren Blicken, die im Traum sich neigen,
Beredt und tief die Kunde aufzusteigen,
Aus der wir abendlichen Trost uns holen.


Heut, Tom, ist dein Geburtstag, und mich freut,
Dass er so sanft, so ruhig dürft´ verfließen;
Oft sei der Abend flüsternd uns erneut,
Wo wir der Welt wahrhaftige Lust genießen;


Bis unserm Geist der große Ruf gebeut,
Ihr schönes Antlitz niemals mehr zu grüßen.

 

 

 

 

 

O Einsamkeit, muss ich mich dir gesellen,
Soll es kein Haufe düstrer Häuser sein,
Der uns umwirrt. Nein, auf zum schroffen Stein!
Will ich zur Warte der Natur mich stellen!


Wo Tal und Blumenhang und Stromeswellen
Spannlang erscheint, da will ich dir mich weihn
Im Blätterdach, wo schnellen Sprungs im Hain
Das Wild die Biene scheucht aus Blumenzellen!


Doch möchte ich auch gern so mit dir ziehn,
So ist Verkehr mit einem hohen Geist,
Wenn jedes Wort ein edel Denken weist,
Mir doch des Herzens Lust; und immer schien,


Dass man mit Recht als höchstes Glück es preist,
Wenn zwei verwandte Geister zu dir fliehn.

 

 

 

 

 

Warum lacht ich heut Nacht? Will niemand sprechen,
Gibt mir kein Gott, kein Dämon Antwort hier?
- Nicht Höll und Himmel will das Schweigen brechen,
So wend ich mich, mein Menschenherz, zu dir.


Herz, wir sind beide traurig und allein.
Sag, warum lachte ich? O stete Klagen,
O Dunkel, Dunkel, bittre Todespein!
Herz, Himmel, Hölle muss umsonst ich fragen.


Warum lacht´ ich? Des Daseins kurze Pracht
Dehnt meine Phantasie zu höchstem Glücke.
Fürwahr! Doch stürb ich gern in dieser Nacht,
Zerrisse gern dies Prunkpanier in Stücke.


Vers, Ruhm und Schönheit sind voll Kraft - ich weiß.
Der Tod ist stärker, er, des Lebens Preis.

 

 

 

 

 

Wer allzu lang in Städte eingeschlossen,
Der schaut mit Lust ins Himmelsangesicht,
Bis ein Gebet zum lächelnd frohen Licht
Des blauen Firmaments empor geflossen.


Der hat kein volles, heitres Glück genossen,
Wer in dem dichten Gras ermüdet nicht
Sich niederlässt und liest dann ein Gedicht,
In das sich Lieb und Sehnsucht sanft ergossen.


Und abends bei der Heimkehr klingt im Ohr
Das Lied der Philomele ihm, er schaut
Zum Lauf der klaren Wölkchen still empor,


Und klagt, dass ihm so schnell der Tag vergraut,
Wie eine Engelsträne sich verlor,
Die durch den klaren, stillen Äther taut.

 

 

 

 

 

Widmung an Leigh Hunt

 

Wie schwanden Glanz und Schönheit unsern Blicken!
Denn wandern wir hinaus im Morgenschein,
So steigt kein Weihrauch kräuselnd mehr vom Hain,
Um seinen Gruß dem frohen Tag zu schicken;


Und keine jungen, muntern Nymphen pflücken
In Weidenkörben Ähren, die sie weihn,
Und Rosen, Veilchen, Nelken, um im Mai´n
Der Flora Heiligtum damit zu schmücken.


Doch blieben Freuden uns so hoch wie diese.
Ich danke meinem Schicksal für den Segen,
Dass ich zu einer Zeit, wo Baum und Wiese
Pan lang verlassen, frei in mir darf hegen


Die süße Wonne, dass die armen Gaben
Doch einem Mann wie dir gefallen haben.