Charles Baudelaire

 

                                                         In Übersetzungen von Stefan George

 

 

 

Der Tod der Künstler

 

Wie lange werd ich fröstelnd beben müssen
Und, spottgestalt! die flache stirn dir küssen,
Wie viele pfeile fliehn aus meinen köchern
Die mystisch ferne scheibe zu durchlöchern?

 

Wir zehren unsre kraft in spitzen plänen,
Wir werden manche harte wehr zerhauen
Eh wir die große kreatur beschauen –
Ihr höllisches gelüst erzwingt uns tränen.

 

So manche fanden niemals ihr Idol,
verwünschte bildner die die schande geißelt
Und deren hand dir haupt und busen meißelt

 

Mit einer hoffnung, düstres kapitol,
Daß einst der tod, ein neues tag-gestirn,
Die blumen sprießen läßt in ihrem hirn.

 

 

 

 

FREMDLÄNDISCHER DUFT

 

Wenn sich mein auge schliesst am sommerabend
Und deines heissen busens duft mich lezt
Dann bin ich in ein selig reich versezt.
An immer gleicher sonnenglut sich labend

 

Ein träges eiland das Natur beglückt
Mit seltnen bäumen früchten süsser säfte
Mit männern schlanken leibes voller kräfte
Und frauen deren auge freimut schmückt.

 

An wunderbarem strand bin ich zu gast ·
Im weiten hafen drängt sich mast an mast
Noch von der reise müh ein wenig düster ·

 

Indes vom grünen tarnarindengang
Entschwebt ein duft und dringt mir in die nüster
Vermischt im geiste mit der schiffer sang.

 

 

 

DER DUFT

 

Mein leser · hast du einmal eingesogen
Mit wollust nach des feinen schwelgers brauch
Das weihrauchkorn in eines domes bogen
Und eines kissens matten amberhauch?

 

O tiefer reiz wenn das vergangne wieder
Zum leben auferwacht und uns berückt
Und wenn der freund um der geliebten glieder
Die zarte blume der erinnrung pflückt!

 

Aus ihren biegsamen und schweren haaren
(Die weihrauch-rost und ambra-kissen waren)
Entschwebte wilder trotziger geruch ·

 

Aus ihrer kleider sammt- und seidentuch
Ganz überhaucht von reinem jugendschmelze
Befreite sich ein duft wie duft der pelze.

 

 

 

HERBST-SONETT

 

Dein auge klar kristallen birgt die frage:
Weshalb · seltsamer freund · bin ich dir lieb?
Sei schön und schweig! in meinem gram ertrage
Ich nur des tieres unumhüllten trieb.

 

Die du in lange schlummer senkst · ich sage
Vom höllischen geheimnis nichts das blieb ·
Von unheilsworten die die flamme schrieb:
Gift ist mir leidenschaft und geist mir plage.

 

Liebe mich sanft! aus dunklem heiligtume
Spannt Amor listig des verderbens stahl ·
Ich kenne seiner marterkammern qual:

 

Schreck wahn und schmach.. o bleiche wiesenblume!
Bist du wie ich nicht auch ein herbstes-strahl ·
O meine weisse meine kalte Blume?

 

 

 

TRAUER DER MONDGÖTTIN

 

Heut strahlt der abendgöttin licht geringer.
Wie eine schönheit auf der kissen wust
Die vor dem schlafe mit zerstreutem finger
Leis überspielt die linien ihrer brust

 

So ruht sie auf den flaumigen lawinen
Im sterben langen schwächen hingegeben·
Das auge richtend auf die weissen mienen
Die blütengüssen gleich im azur schweben.

 

Wenn müd und schmachtend sie auf unsre sfäre
Verstohlen manchmal träufelt eine zähre
So naht ein dichter der den schlummer flieht.

 

Er fängt die zähre auf · die hand als schale ·
Dies stück von farbenspiegelndem opale
Verbirgt er dass die sonne nicht es sieht.

 

 

 

EINER VORÜBERGEHENDEN

 

Es tost betäubend in der strassen raum.
Gross schmal in tiefer trauer majestätisch
Erschien ein weib · ihr finger gravitätisch
Erhob und wiegte kleidbesatz und saum ·

 

Beschwingt und hehr mit einer statue knie.
Ich las · die hände ballend wie im wahne ·
Aus ihrem auge (heimat der orkane):
Mit anmut bannt mit liebe tötet sie.

 

Ein strahl ... dann nacht! o schöne wesenheit
Die mich mit EINEM blicke neu geboren ·
Kommst du erst wieder in der ewigkeit?

 

Verändert · fern · zu spät · auf stets verloren!
Du bist mir fremd · ich ward dir nie genannt ·
Dich hätte ich geliebt · dich die's erkannt.

 

 

 

Der frohe Tote

 

In einer fetten Erde voll von Schnecken

Da richt ich eine tiefe Grube her.

Da will ich frei die alten Glieder recken;

Vergessen schlafen wie ein Hai im Meer.

 

Ich will nicht Testament noch Grab und Stein.

Ich will von Menschen keine Träne heischen.

Ich lade lieber mir die Raben ein

Daß sie den ganzen morschen Leib zerfleischen.

 

Ihr Würmer! augen- ohrenlos Gekreuch!

Ein freier froher Toter kommt zu euch!

Ihr heitre Weise: aufgenährt im Kot!

 

Durch meine Reste dringet ohne Sorgen

Und sagt: blieb eine Qual mir noch verborgen

Mir ohne Seele unter Toten tot?

 

 

 

 

Die Schönheit

 

Ihr Menschen: Ich bin schön: ein Traum von Stein!

Mein Busen der zu blutgen Küssen treibt:

Dem Dichter flößt er eine Liebe ein

Die stumm ist wie der Stoff und ewig bleibt.

 

Ich bin die Sphinx die keiner noch erfaßt;

Die Herz von Schnee und Schwanenkleid vereint;

die jedes Rücken an den Linien haßt –

Ich habe nie gelacht und nie geweint.

 

Die Dichter all vor meinem großen Wesen

- An stolzen bauten scheint es abgelesen –

Zerquälen ständig sich in strengen Schulen.

 

Für sie besitz ich; die gefügten Buhlen;

Wo alles schöner spiegelt: eine Quelle:

Mein Aug: mein weites Aug von ewiger Helle.

 

 

 

Einklänge

 

Aus der natur belebten tempelbaun

Oft unverständlich wirre worte weichen –

Dort geht der mensch durch einen wald von zeichen

Die mit vertrauten blicken ihn beschaun.

 

Wie lange echo fern zusammenrauschen

In tiefer finsterer geselligkeit -

Weit wie die nacht und wie die helligkeit

Parfüme farben töne rede tauschen.

 

Parfüme gibt es frisch wie kinderwangen

Süss wie hoboen grün wie eine alm –

Und andre die verderbt und siegreich prangen

 

Mit einem hauch von unbegrenzten dingen –

Wie ambra moschus und geweihter qualm

Die die verzückung unsrer seelen singen.

 

 

 

Unstern

 

Um solche lasten zu heben

Braucht es des Sisyphus mut –

Und wär unser wille auch gut:

Lang ist die kunst . kurz das leben –

 

Fern von ruhmreichen malen

Nach einsamem totenwall

Zieht meine seele in qualen

Zu trauernder trommel schall ...

 

Mancher edelstein ruht

Verscharrt in der finsternis hut

Und weit von stichel und brille –

 

Manche blume spart

Ihren duft wie geheimnis so zart

Vergebens in einsamer stille.

 

 

 

 

Die verse widm ich dir wenn meinen namen

Der zufall in die spätern zeiten bringt

Und menschen abends dann zu sinnen zwingt

Wie segel die vom sturm getrieben kamen:

 

Daß dein gedächtnis dann – verwehte klänge! –

Den leser quäle wie ein trommellied

Und durch ein brüderlich und mystisch glied

An meinen stolzen reimen dauernd hänge.

 

Verwünschte! die von himmel bis zur schlucht

Allein in mir noch ihresgleichen sucht –

O schatten dessen spuren rasch verschleissen.

 

Du trittst mit leichtem fuss und heitrem herz

Die stumpfen menschen die dich bitter heissen –

Du dunkler engel mit der stirn aus erz.

 

 

 

Die lebendige Fackel

 

Sie stehn vor mir – die augen voll im Glühen –

Ein weiser engel schuf sie zum magnet.

Es giesst auf mich sein diamantensprühen

Ein göttlich brüderpaar das vor mir geht.

 

Sie schützen mich vor schwerem fall und strafe –

Sie leiten stets mich auf des schönen spur –

Sie sind mir diener und ich bin ihr sklave

Ich folge der lebendigen fackel nur

 

Ihr holden augen habt den geisterglanz

Der kerzen hell am morgen – nicht verwehen

Nur fahlen kann im tag ihr schattentanz.

 

Sie feiern tod – ihr feiert auferstehen –

Ihr singt vom auferstehen meiner seele –

Ihr sterne deren licht kein tag verhehle!

 

 

 

 

 

Tod der Armen           

 

Es ist der Tod, der Trost und Leben schenkt;
Er ist das Ziel, das einzig Hoffnung macht,
Ein Elixier, das uns berauschend tränkt,
Und Mut gibt, durchzuhalten bis zur Nacht,
 
Durch Sturm und Schnee ist er das schwache Licht,
Für uns am dunklen Horizont entzündet;
Ist jene Bleibe, die das Buch verspricht,
wo man zur Rast ein Mahl und Schlummer findet,
 
Ein Engel, dessen Finger lockend zeigen
Den Schlaf und Träume, die uns übersteigen;
Armen und Nackten er ein Bett bereitet;
 
Der Götter Ruhm, der Speicher, der nie leer,
Der Armen Beutel, Heimat von jeher,
Das Tor, das uns zu fremden Himmeln leitet!

 

 

Der Tod der Armen

 

Es ist der tod, der tröstet und belebt,

in dem wir einzig ziel und hoffen sehn.

Er gibt den trank, der uns berauscht, erhebt,

und mut, bis zu dem abend hinzugehn.

 

Er ist beim schnee, beim sturm, beim regenpralle,

am düstern himmelsrand ein dämmertag.

Er ist die weitberühmte gästehalle,

wo jeder sitzen, speisen, trinken mag.

 

Er ist der engel mit magnetnem finger,

der wonneträume und des schlafes bringer,

damit er armer menschen lager glätte.

 

Er ist der götter ruhm, das kornverlies,

des bettlers schatz und alte heimatstätte,

das tor zum unbekannten paradies.

 

 

 

Spleen

 

Der regenmonat grimmt dem ganzen leben

Aus seiner urne finstre kälte schneit

Auf die bewohnerschaft des kirchhofs neben

Und auf die nasse stadt die sterblichkeit

 

Mein magres tier mit ruheloser posse

Am estrich hin nach einem lager sieht

Mit trüber stimme fröstelnd in der gosse

Die seele eines alten dichters flieht

 

Der brummbass klagt mit den verkohlten scheiten

Die fistelnd die verschnupfte uhr begleiten

Und im gemisch von schmutzigen parfümen

 

- Das ekle erbteil einer krankenstube -

Pikdame und der schöne karobube

Sich toter liebestage düster rühmen

 

 

 

 

Trübsinn

 

Der regen-mond scheint alle welt zu hassen

Aus seiner Urne gießt er kalten graus

Auf eines nahen friedhofs bleiche sassen

und sterben auf die nassen vorstadt aus.

 

Mein magres tier mit ruheloser posse

Am estrich hin nach einem lager sieht

Mit trüber stimme fröstelnd in der gosse

Die seele eines toten dichters flieht

 

Der brummbass klagt mit den verkohlten scheiten

Die fistelnd die verschnupfte uhr begleiten

Und im gemisch von schmutzigen parfümen

 

- Das überbleisel einer krankenstube -

Pikdame und der schöne karobube

Sich toter liebestage düster rühmen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz-Kunst des Leidens

 

DER lässt seine glut in dir lodern –

Natur! und DER legt dich in qual.

Dem einen sagt es: vermodern!

Dem andern: leben und strahl!

 

Du fremder Hermes entfachst

Und schwächest stets meine geister –

Der du zum Midas mich machst –

Der schwarzkünste traurigstem meister!

 

Durch dich wird gold mir zu blech

Und himmel zu höllen-pech.

Du lässest in wolkendecken

 

Mir teuren leichnam sich recken

Und auf den himmlischen auen

Grosse grabmäler bauen.

 

 

 

 

Der Tod der Liebenden

 

Wir haben betten voller leichter düfte –

Wir haben polster wie die gräber tief

Und seltne blumen ragen in die lüfte

Die schönres land für uns ins dasein rief.

 

Die letzte glut verbrennt auf gutes glück

In unsrer herzen beiden flammentiegeln –

Ihr zwiefach leuchen aber strahlt zurück

In unsren geistern – diesen zwillingsspiegeln.

 

Ein abend kommt mit blau und rosa blinken -

Da flackert es noch einmal lichterloh:

Ein langer seufzer und ein scheidewinken.

 

Hernach erscheint ein engel auf der schwelle

Um wieder zu beleben treu und froh

Die trüben spiegel und die tote helle.

 

 

 

 

Besessenheit

 

Ihr Wälder macht wie große Kirchen bange.

Ihr heult wie Orgeln, der verdammten Herz

Wo altes Röcheln bebt und ewiger Schmerz

Antwortet eurem de-profundis-sange.

 

Ich hasse dich, o Meer das laut sich blähet:

Ich finde mich in dir! Des Lachers Wut,

Des Unterjochten, der mit schluchzen schmähet –

Sein ungeheures Lachen tönt die Flut!

 

O Nacht, Wie schön ich ohne Stern dich fände!

Bekannte Sprache spricht der Sterne Strahl.

Ich suche nur, was nackt ist, schwarz und kahl.

 

Sogar die Finsternisse sind mir Wände

Die mir zu Tausenden entgegenschicken

Entschwundene Wesen mit vertrauten Blicken.

 

 

 

 

Ende des Tages

 

Unter blassem lichte schwärmend

Tanzt und stürzet ohne grund

Sich das leben schamlos lärmend..

Doch sobald am himmelsrund

 

Wonnevoll die nacht sich breitet

Alles – auch der hunger – ruht.

Alles – auch die schmach – vergleitet:

Sagt der dichter: nun ist’s gut!

 

Gierig flehen meine glieder

Wie mein geist die ruhe nieder

Von unseligem traum zerwühlt..

 

Will mich auf den rücken strecken

Eingehüllt in eure decken –

Finsternisse die ihr kühlt!

 

 

 

 

Die gesprungene Glocke

 

Wie süß und herb ists in der winternacht

Zu lauschen wenn des feuers wolken ringeln.

Wenn ferner zeit erinnrung leis erwacht

Bei den geläuten, die im nebel klingeln.

 

Beglückt die glocke die mit starkem schlunde

Trotz ihres alters heiter und mit macht

Gebet ertönen lässt aus frommem munde

Wie alte krieger vor dem zelt auf wacht!

 

Ich – meine seele sprang.. und wenn betrübt

Zum trost sie nächtig sich in liedern übt

So hallt es oft wie dumpfes röcheln dessen

 

Den man verwundet auf dem feld vergessen.

Der unter dichtem leichenschwarm verdirbt

Und regungslos in grossen nöten stirbt.

 

 

Die Eulen

 

Unter schützenden schwarzen bäumen

thronen die eulen geschart

wie götter seltsamer art

mit feurigen augen. Sie träumen.

 

So sitzen sie unbewegt

bis zu den traurigen stunden,

wo schiefe strahlen verschwunden

und dunkel sich über sie legt.

 

Ihr gehaben besagt,

daß der weise hier frei sich

vor lauf und lärm halten sollte.

 

Wer nach einem schattem jagt,

trägt die strafe stets bei sich,

daß er den platz wechseln wollte.