Francesco Petrarca

1304 – 1374           Italien

 

Aus dem Canzoniere

 

Übersetzungen von Karl Förster

 

Zweiter Teil

 

 

 

CCLXV.

 

Das wilde Herz, das rauhe Widerstreben,

Die in demütigem Engelleibe schalten,

Sollt alte Strenge lange noch sich halten –

Siegen sie auch, ist’s ehrenvoll nicht eben.

 

Ob Blüten, Gräser sterben oder leben,

Ob Nächte dunkeln, Strahlen sich entfalten,

Ich wein, und darf die Klage lassen walten

Ob des Geschicks, der Lieb und Herrin Weben.

 

Von Hoffnung leb ich nur, seit ich gesehen,

Daß wenger Tropfen wiederholte Schläge

Marmor und feste Steine schon durchdrangen.

 

Nicht gibt’s so hartes Herz, das nicht durch Flehen,

Durch Lieb und Tränen endlich sich bewege;

Kein kalter Sinn, der Glut nicht sollt empfangen.

 

 

CCLXVI.

 

Mein teurer Herr, mich treibet all mein Sinnen,

Zu sehen dich, den immerdar ich sehe;

Doch mein Geschick (und gäb’s ein größres Wehe?)

Treibt mich umher und läßt mich nicht entrinnen.

 

Daß Amor in mich haucht, mein sehnend Minnen

Führt mich zum Tod, bevor ich mir’s versehe;

Und weil ich rings nach zweien Lichtern spähe,

Seufzt, wo ich sei, mir Tag und Nacht es innen.

 

Liebe zum Herrn und zu der Herrin, glaube,

Sie sind die Ketten, drin ich lieg in Schmerzen,

Obwohl ich selber sie mir umgewunden.

 

Adlige Säule mit des Lorbeers Laube,

Dies achtzehn, jene fünfzehn Jahr, im Herzen

Trug ich; und hab Erlösung nie gefunden.

 

 

CCLXVII.

 

Ach, sanfter Blick du! ach, ihr schönen Wangen!

Ach, anmutreiches du und hohes Walten!

Ach, Wort du, rauhen Sinn umzugestalten

In Demut, und in Mut das feige Bangen!

 

Ach, süßes Lächeln, draus die Pfeile drangen,

Wovon ich Tod, nicht Bessres werd erhalten!

Ach, hohe Seel, als Köngin wert zu schalten,

Wärst du so spät nicht für uns aufgegangen!

 

Für euch nur muß ich atmen, für euch brennen;

Ganz bin ich euer! Soll ich euch entbehren,

Muß als mein größtes Unglück ich’s beklagen.

 

Mit Hoffnung habt ihr mich erfüllt beim Trennen

Von meinem höchsten Gut, und mit Begehren;

Doch hat der Wind die Wort hinweggetragen.

 

 

CCLXIX.

 

Die Säule brach, des Lorbeers grüner Bogen,

Die Schatten meinem müden Geist beschieden;

Hin ist, was nirgend mehr vom Nord zum Süden,

Nicht zwischen Mohrenland und Indiens Wogen!

 

Hast, Tod, mich um den Doppelschatz betrogen,

Der stolz mich gehn und leben hieß in Frieden;

Nicht Land, noch Herrschaft gibt zurück hienieden,

Noch Ostens Reichtum, was du mir entzogen.

 

Doch ist es so beschlossen vom Geschicke,

was kann ich mehr, denn trüben Sinnes leben,

Gesenkter Stirn, mit immer feuchtem Blicke?

 

O unsers Daseins trügerisches Weben!

Wie leicht entflieht in einem Augenblicke,

Was mühsam viele Jahre kaum erstreben!

 

 

CCLXXI.

 

Der Tod zerriß den Knoten, der seit Jahren,

Seit einundzwanzig, glühend mich gebunden;

Und nimmer hab ich solche Last empfunden;

Daß Schmerz nicht tötet, hab ich da erfahren.

 

Amor, sein Recht an mir sich zu bewahren,

Hat unterm Gras ein andres Netz gewunden,

Mit neuem Zunder andre Glut entbunden,

Und nur mit Müh entrann ich den Gefahren.

 

Und war nicht ersten Kummers langes Wissen,

War ich gefangen und so mehr entzündet,

Je mehr die Glut vermag an dürrem Stamme.

 

Zum zweitenmal hat mich der Tod entrissen,

Zersprengt das Netz, verlöscht, zerteilt die Flamme,

Er, den nicht Kraft noch Klugheit überwindet.

 

 

CCLXXII.

 

Das Leben flieht und darf der Ruh nicht pflegen,

Und eilend kommt der Tod ihm nachgegangen,

Und Gegenwärtges muß, und was vergangen,

Ja Zukunft selbst mir steten Kampf erregen;

 

Erwartung und Erinnerung bewegen

Mich wechselnd so, daß, hielte nicht ein Bangen,

Ein Mitleid mit mir selber mich gefangen,

Längst hinter mir des Denkens Marken lägen.

 

Da schwebt mir vor, was Süßes je beschieden

Dem armen Herzen; andrerseits dann schaue

Mein Schifflein ich ringsum bedroht von Stürmen;

 

Ich seh das Glück im Port und schon ermüden

Den Steuermann, zerbrochen Mast und Taue,

Verlöscht die schönen Lichter, die mich schirmen.

 

 

CCLXXIII.

 

Was tust, was denkst du, daß du nur nach Tagen

Zurücke schaust, die niemals wiederkommen,

Trostlose Seele du? Was mag dir’s frommen,

Zum Feuer, drin du brennest, Holz zu tragen?

 

Die sanften Worte, die du mit Behagen

Aufs Kleinste maltest und beschriebst, die frommen,

Holdsel’gen Blicke sind der Erd entnommen

(Du weißt’s) und sind hier nicht mehr zu erfragen.

 

Ach! nicht erneue, was den Tod gebieret!

Bleib du fortan von irrem Wahn geschieden;

Such Festes, was zu gutem Ende führet!

 

Zum Himmel auf, gefällt uns nichts hienieden!

Verderblich ist, was Schönes hier uns rühret,

Nimmt es, so tot als lebend, uns den Frieden.

 

 

CCLXXIV.

 

Harte Gedanken, laßt in Ruh mich fahren!

nicht gnug, daß Amor, Tod und Schicksal liegen

Mir an der Pfort und ringsum mich bekriegen;

Soll ich noch andre Streiter drin gewahren?

 

Und du, mein Herz, noch bist du, wie vor Jahren,

Treulos an mir nur, daß den wilden Zügen

Die Türe du eröffnest, froh, zu siegen

Mit meiner Feinde leicht-gewandten Scharen.

 

In dir hegt Amor die geheimen Boten,

Entfaltet Schicksal alle seine Ehren,

Tod die Erinnrung von jenem Schlage,

 

Der meines Lebens Reste muß zerstören;

In dir sind Wahn und Irrsinn aufgeboten;

Drum ich um all mein Weh nur dich verklage.

 

 

CCLXXV.

 

O Augen, unsre Sonn ist untergangen,

Leuchtend vielmehr zum Himmel aufgeglommen!

Dort sehn wir sie dereinst; dort, die wir kommen,

Harrt sie und klagt, daß wir nicht angelangen.

 

O meine Ohren, andre Ort empfangen

Die Engellaute, besser da vernommen;

Ihr Füße, habt kein Recht dahin bekommen,

Wo sie, die euch so müht, ist eingegangen.

 

O daß ihr diesen Kampf mir drum erließet!

Durch mich nicht habt ihr den Besitz der Hehren,

Ihr Sehn, Vernehmen, Finden eingebüßet.

 

Tadelt den Tod; doch nein! den sollt ihr ehren,

Der knüpft und löst, der öffnet so als schließet,

Und der auch froh zu machen weiß nach Zähren.

 

 

CCLXXVI.

 

Seit meinen Geist in Schmerz und Unbehagen

Zurückließ und in bangen Finsternissen

Das Engelantlitz, plötzlich mir entrissen,

Such ich durchs Wort zu lindern meine Plagen.

 

Gerechter Schmerz fürwahr treibt mich, zu klagen;

Das weiß, wer schuld. Auch Amor muß es wissen;

Denn nimmer in des Lebens Kümmernissen

Konnte mein Herz von andrer Hilfe sagen.

 

Die ein, o Tod, hat deine Hand entwunden,

Und du, o sel’ge Erde, drin die Wangen,

Die menschlich-schönen, Ruh und Schutz gefunden.

 

Wo soll ich hin nun, blind, in Gram befangen,

Seit mir das süße Liebeslicht entschwunden,

Das meinen Augen mild vorangegangen?

 

 

CCLXXVII.

 

Wenn keinen neuen Rat uns Amor spendet,

Muß ich dem Leben mit Gewalt entsagen,

Weil Furcht und Schmerz die trübe Seele plagen;

Denn Seensucht lebt und Hoffnung hat geendet.

 

Drum ist dem Leben Trost und Mut entwendet;

Es weint und bebt bei Tag und Nacht voll Zagen,

Matt, steuerlos durch stürmisch Meer getragen,

Auf schwierigem Pfad, ohn treu Geleit entsendet.

 

Dem seine Führerin ist nur erdichtet,

Die recht im Grabe, nein, in Himmelsauen,

Von wo ins Herz sie strahlt, wie nie, gelichtet;

 

Ins Auge nicht; ein Schleier birgt voll Grauen

Das Licht, auf das sein Sehnen ist gerichtet,

Und läßt mein Haar so vor der Zeit ergrauen.

 

 

CCLXXVIII.

 

In ihres Blütenalters schönstem Weben,

Wo Lieb in uns mehr Kraft zu haben pfleget,

Als sie die Erdenrinde abgeleget,

Schied Laura, die mir Leben hat gegeben,

 

Sich schön, lebendig, hüllenlos zu heben

Dahin, vom wo sie herrschend mich beweget.

Warum ach! meine Rinde nicht zerschläget

Der letzte Tag, erster zu zweitem Leben?

 

Daß, wie bei ihr stets die Gedanken waren,

So auch die Seele freudig und behende

Ihr folge, solche Not mir zu ersparen.

 

Bei längerm Aufschub kann ich schlimm nur fahren,

Und werde mir zur schwersten Last am Ende –

Wie schön war Sterben heute vor drei Jahren!

 

 

CCLXXIX.

 

Wann Vöglein klagen und in grünen Zweigen

Mit lindem Säuseln Sommerlüftchen beben,

Wann dumpfen Murmelns lichte Wellen steigen

Und um beblümte, frische Ufer weben,

 

Sitz ich und schreib, in Liebe hingegeben,

Und, die der Himmel uns geruht zu zeigen,

Die Erde barg, seh ich dann noch am Leben

Und fernher meinen Seufzern hold sich neigen.

 

„Warum ach! vor der Zeit dich so verbluten?“

Spricht sie voll Mitleids. „Warum nur vergießen

Aus trüben Augen schmerzensvolle Fluten?

 

Nicht klag um mich; ich starb, um zu genießen

Ein ewig Dasein, und in ewgen Gluten

Erschloß mein Aug ich, da ich’s schien zu schließen.“

 

 

CCLXXX.

 

Nie sah ich Stellen, wo so licht zu finden,

Was, seit es fern, ich immer sehen mögen;

Noch, wo mein Herz so frei sich könnt entbinden,

Mit Liebeslaut den Himmel aufzuregen;

 

Kein Tal, wo Seufzern zu Gebote stünden

So viele Plätze, treu und abgelegen;

Nicht Amor, glaub ich, konnt in Zyperns Gründen,

Noch andrem Land so holdes Nestlein hegen.

 

Von Liebe spricht zu mir, was ich da sehe,

Quell, Luft, Zweig, Vogel, Fisch und Gras und Blume,

All bittend, daß ich liebe nach, wie ehe.

 

Doch, Hohe, du, die du mich rufst, o flehe,

Bei deines herben Todes ewgem Ruhme!

Daß ich der Welt und ihrer Lockung schmähe.

 

 

CCLXXXI.

 

Wie oft, von süßer Einsamkeit umfangen,

Der Welt entflohn und mir (wär mir vergönnet),

Bad ich in Tränen Hals und Brust und Wangen,

Weil mein Gestöhn die nahen Lüfte trennet!

 

Wie oft ging ich allein mit scheuem Bangen

Durch dunkle Schatten, die der Tag nicht kennet,

Im Geist mein Höchstes suchend, mein Verlangen,

Das tot nun; drum mein Mund so oft es nennet!

 

Bald sah ich sie als Nymph, als Göttin steigen

Hervor aus meiner Sorga klarstem Grunde

Und nieder sich am strand zum Sitzen neigen;

 

Bald sah ich sie auf frischem Wiesengrunde,

Gleich irdschen Frauen, über Blumen steigen;

Von ihrem Mitleid gab ihr Blick mir Kunde.

 

 

CCLXXXII.

 

Glücksel’ger Geist, den oft ich sehe kehren,

In Schmerzensnacht mich tröstend zu umfangen

Mit Glanz der Augen, die kein Tod verhangen,

Geschmückt vielmehr mit überird’schen Ehren,

 

Wie freu ich mich, daß du mir willst verklären

Mit deinem Anblick meiner Tage Bangen!

So seh ich nah mir deine Reize prangen

An lieber Stell, als ob sie bei mir wären.

 

Wo viele Jahr ich dich besungen ehe,

Muß ich nun, wie du siehest, dich beweinen;

Nicht dich beweinen, nein, mein eignes Wehe.

 

Nur einen Trost in großem Leid ich sehe;

Daß ich sogleich erkenne beim Erscheinen

An Gang, Wort, Kleid und Antlitz deine Nähe.

 

 

CCLXXXIII.

 

Das schönste Antlitz, so je ward gefunden,

Hast, Tod, entfärbt, das schönste Aug geblendet,

Den Geist, dem reichste Tugendglut gespendet,

Des holdesten, des schönsten bands entbunden,

 

In einem Nu mir all mein Glück entwunden,

Die lieblichsten der Laute schnell geendet,

Und mich in Leid und Jammer hingesendet;

Und, was ich hör und sehe, schlägt mir Wunden.

 

Wohl kehret, daß des Trostes Werk sie übe,

Die Herrin oft, von Mitleid hergeführet,

Und andres Heil weiß ich hier nicht zu finden;

 

Und könnt ich, wie sie spricht, wie glanzgezieret

Sie leuchtet, wiedersagen, wollt in Liebe

Ich Menschen- nicht, nein Tiger-Herzen zünden.

 

 

CCLXXXIV.

 

Zeit und Gedanke, die zurück mir bringen

Die tote Herrin, ach! so schnell entfliegen,

Daß die Arznei dem Schmerz nicht will genügen;

Nur, seh ich sie, kann mich kein Leid bezwingen.

 

Amor, der fest mich hält in Band und Schlingen,

Bebt, sieht er sie am Tor des Herzens liegen,

Wo sie nicht abläßt, Wunden mir zu fügen

Mit süßem Blick, mit holder Stimm Erklingen.

 

Wie in ihr Haus, als Herrin, eingegangen,

treibt sie aus dunkeln, schweren Herzens Grunde

Mit heitrer Stirn die traurigen Gedanken.

 

Die Seele, von so großem Licht befangen,

Seufzet undspricht: „Gesegnet sei die Stunde,

Wo deine Augen öffneten die Schranken!“

 

 

CCLXXXV.

 

Kein frommes Mutterherz hat je beglücket

Den teuren Sohn, kein Mädchen den Getreuen

So unter Seufzern, unter bangem Scheuen

Mit besserm Rat, wann Zweifel ihn umstricket,

 

Wie sie, wann sie mich so verbannt erblicket,

Aus ihres hohen Hauses ewgen Bläuen

Oft kehrt, die alte Huld mir zu erneuen,

Mit Doppelmitleid ihre Stirn geschmücket,

 

Mutter und Liebende. In frommen Gluten

Entbrennt und zaget sie und zeigt im Sprechen,

was fliehn ich soll und was erspähn hienieden,

 

Zählt auf des Lebens mancherlei Gebrechen,

Und fleht, der Seel Erhebung froh zu sputen;

Und wenn sie spricht nur, hab ich Ruh und Frieden.

 

 

CCLXXXVI.

 

Könnt ich die leisen Seufzer wiedergeben

Der Herrin, die nun weilt in Himmelshöhen,

Und hier noch scheint zu fühlen und zu gehen,

Zu atmen und zu lieben und zu leben,

 

O, wecken müßt es heißer Sehnsucht Beben;

So kehrt mit liebend-eifersüchtgem Spähen

Zurück sie, fürchtend, mich erschöpft zu sehen

Und rückwärts oder nach der Linken streben.

 

Grad auf weist sie, und ich, der wohl ergründet

Ihr keusches Locken und die frommen Bitten,

Ihr süßes Flüstern, freundlich-sanft Belehren,

 

Muß, wie sie’s heißt, gebieten meinen Schritten,

Von ihrer Rede Süßigkeit entzündet,

Die einem Felsen wohl entlockte Zähren.

 

 

CCLXXXVII.

 

Wiewohl du, mein Sennuccio, mich in Leiden

Und einsam ließest, soll mir doch nicht bangen;

Denn aus dem Leibe, drin du lagst gefangen

Und tot, schwangst du dich stolz empor beim Scheiden.

 

Nun siehst die Pole du und zwischen beiden

Die irren Stern auf krummen Bahnen prangen,

Und siehst, wie schwaches Sehen wir empfangen.

So mildr’ ich meinen Schmerz mit deinen Freuden.

 

Wohl aber fleh ich dich, in dritter Sphäre

Cino, Guitton und Dante Gruß zu sagen,

Und Franceschin und allen, Gruß und Ehre.

 

Auch magst du wohl es meiner Herrin klagen,

Wie ich zum Wilde ward, von Tränen zehre,

Denkend ihr schön Gesicht und fromm Betragen.

 

 

CCLXXXVIII.

 

Mit Seufzern füll ich Nähen so als Weiten,

seh ich herab von rauhen Bergeswänden

Die Flur, wo sie einst ward, die in den Händen

Mein Herz trug in der Blüt und Früchte Zeiten.

 

Sie stieg zum Himmel, und ihr schnell Entgleiten

Ist schuld, daß, weil sich bis zu fernsten Enden

Nach ihr umsonst die matten Augen wenden,

Kein Plätzchen trocken rings nach allen Seiten.

 

Kein Strauch ist und kein Stein an diesen Stellen,

Kein Ast, kein grüner Zweig auf diesen Höhen,

Kein Halm und keine Blum in diesen Talen,

 

Kein Tröpflein Wassers kommt aus diesen Quellen,

In diesen Büschen ist kein Wild zu sehen,

So es nicht weiß, wie bitter meine Qualen.

 

 

CCLXXXIX.

 

Sie, meine teure Flamme, schön vor allen,

Des Himmels Lust im irdischen Gewande,

Mußt allzu früh für mich zum Vaterlande,

Empor zu ihrem gleichen Sterne wallen.

 

Nun werd ich wach und seh (die Schuppen fallen),

Wie Heil mir kam von ihrem Widerstande,

Und wie mit süß und herbem Blick dem Brande

Sie steuerte und jugendlichem Wallen.

 

Ihr dank ich es und dem, was sie geraten,

Die holden Blicks mit mildem Zornesregen

Bewirkt, daß glühend ich mein Heil bedachte.

 

O holde Künst, o Wirkung du voll Segen,

Daß Zunge hier, dort Brausen Großes taten,

Ich Ruhm auf sie, in mich sie Tugend brachte!

 

 

CCXC.

 

O Weltlauf! Nun erfreut mich und vergnüget,

was eh mich schmerzte, denn nun kann ich sehen,

Wie Rettung ich durch Qualen mir und Wehen,

Durch kurzen Kampf mir ewges Heil ersieget.

 

O Wunsch und Hoffen, die ihr ewig trüget,

Zumeist Verliebte, hundert gegen zehen!

Wie schimmer war’s, erhörte sie mein Flehen,

Die hoch nun thront und in der Erde lieget!

 

Allein mein tauber Sinn und blinde Liebe

Irrten mich so, daß, folgend diesen Mächten,

Dahin ich zog, wo Tod nur war zu erben.

 

Gesegnet sie, die meinen Lauf zum Rechten

Gewandt und sanft die glühen, bösen Triebe

Gezügelt, mich zu retten vom Verderben!

 

 

CCXCI.

 

Seh ich mit goldnem Haar Auroren schweben

Herab, von Rosen ihre Stirn umfangen,

Bekriegt mich Lieb, es bleichen meine Wangen,

Und seufzend sprech ich: Dort ist Laura eben.

 

Heil, Tithon, dir, dem Kunde ward gegeben,

Wann deinen Schatz du wieder darfst empfangen!

Was tu ich, süßen Lorbeer zu erlangen,

Der, ihn zu sehn, ich scheiden muß vom Leben?

 

wann ihr euch trennt, ist’s nicht so schwer zu tragen,

Da mindest nachts sie wieder pflegt zu kommen,

Ohn um die weißen Locken dich zu hassen;

 

Mir trübt die Tag und drängt mich nachts, zu klagen,

Sie, die mein Denken all mit sich genommen

Und mir von sich den Namen nur gelassen.

 

 

CCXCII.

 

Das Antlitz und die Händ und Füß und Arme

Und jene Augen, die ich ohn Ermüden

Besprach, die von mir selber mich geschieden

Und mich gesondert von der Menschen Schwarme,

 

Das Antlitz und die Händ und ohn Ermüden

Besprach, die von mir selber mich geschieden

Und mich gesondert von der Menschen Schwarme,

 

Die goldnen Locken und das lebenswarme

Lächeln voll Unschuld und voll Engelsfrieden,

Die Paradies’ erschufen einst hienieden,

Sind wenig Staub nun, frei von Lust und Harme.

 

Ich aber lebe noch und zürn und bange,

Nun sich mein liebes Licht von mir gewendet,

Auf steuerlosem Kahn in Sturmesdrange.

 

So sei denn hier mein Liebessang geendet;

des Geistes Ader ist vertrocknet lange

Und meine Laute Tränen zugewendet.

 

 

CCXCIII.

 

Hätt ich geglaubt, daß je die Welt begehrte

Nach meinen Reimen, meiner Seufzer Minnen,

Gemacht hätt ich seit meines Wehs Beginnen

Wohl mehr an Zahl, im Stil von seltnerm Werte.

 

Nun sie gestorben, die mich sprechen lehrte,

Sie, die einst stand auf meines Denkens Zinnen;

Kann nicht so süße Feil ich mehr gewinnen,

Die rauhen, dunklen Reim mir feilt und klärte.

 

Und damals sicher war mein ganzes sehnen,

Nur auszuhauchen meines Jammers Schwere,

Nicht aber, daß ich Ruhm erwürb im Liede:

 

Nur Tränen wollt ich, Ehre nicht durch Tränen.

Jetzt möcht ich wohl gefallen; doch die Hehre

Rufet mich nach, der stumm ich steh und müde.

 

 

CCXCIV.

 

Sie lebt im Herzen, mir zum Heil ersehen,

Wie hohe Fraun an niedrer Stätte walten:

Nun bin ich, sterblich nicht, nein, tot zu halten,

Sie aber selig durch ihr letztes Gehen.

 

Der Geist, gestürzt von seines Glückes Höhen,

Amor, beraubt nun seiner Lichtgewalten,

Durch Mitleid könnten Felsen sie zerspalten;

Doch niemand schreibt und nennet ihre Wehen.

 

Denn innen weinen sie, wo taub die Ohren,

Nur meines nicht, dem solcher Gram beschieden,

Daß mir nichts mehr als Seufzen stehet offen.

 

Wahrhaftig sind wir Schatten, Staub hienieden,

Wahrhaftig ist der Wille blind geboren,

Wahrhaftig trügerisch ist unser Hoffen.

 

 

CCXCV.

 

Heimlich in mir sonst pflegten die Gedanken

Von ihrem Gegenstand sich zu befragen:

„Ist Mitleid nah? Bereuet sie ihr Schwanken?

Gedenkt sie unser? Mag sie hoffen? zagen?“

 

Seit sie die letzte Stund emporgetragen

Aus dieses gegenwärtgen Lebens Schranken,

Sieht sie und hört vom Himmel mein Erkranken;

Von andrer Hoffnung weiß ich nicht zu sagen.

 

O hohes Wunder! Seel aus bessern Zonen!

O Schönheit, selten, beispiellos erhaben,

Die früh gekehrt, von wo sie ausgegangen;

 

Da fand für ihren Wert sie Palm und Kronen,

Sie, die auf Erden lichten Ruhmes Gaben

Von ihrer Tugend, meiner Glut empfangen.

 

 

CCXCVI.

 

Entschuldigend mich, anstatt mich anzuklagen,

Halt ich mich werter jetzt, daß ich gefunden

So teure Haft und bittersüße Wunden,

Die ich verschlossen Jahre lang getragen.

 

Ihr, Parzen, habt die Spill aus Neid zerschlagen,

Die lichten Faden in mein Netz gewunden,

Und goldnen Pfeil, von dem, wer ihn empfunden,

Der Sitt entgegen, stirbt mit Wohlbehagen.

 

denn wer ein Herz hat, trachtete so nimmer,

Freiheit und Lust und Leben zu erwerben,

Daß er nicht gern solch Trachten aufgegeben,

 

Bereit, für sie vielmehr zu seufzen immer,

Als daß er andre säng, und froh zu sterben

An solcher Wund, in solchem Band zu leben.

 

 

CCXCVII.

 

Zwei große Feindinnen sah ich verbunden,

Tugend und Reiz, in Eintracht so verwoben,

Daß nie sich in der frommen Seel erhoben

Aufruhr, seit sie zusammen sich gefunden.

 

Nun sind durch Tod zerstreut sie und entbunden;

Der einen rühmt der Himmel sich dort oben,

Den hat die erd und deckt der Augen Globen,

Draus kommen sind so viel der Liebeswunden.

 

Holde Gebärd und, hohem Ort entstiegen,

Demütig-kluge Red und süße Blicke,

Die mir das Herz verletzt und noch bedräuen,

 

Sie sind dahin, und bleib ich noch zurücke,

werd ich mit diesem Stift in schwachen Zügen

Vielleicht den schönen, holden Namen weihen.

 

 

CCXCVIII.

 

Seh ich, vergangnen Jahren zugewendet,

Die mir mein Denken nahmen im Enteilen,

Die Flammen tot, so Glut mit Frost erteilen,

Die qualenvolle Ruhezeit geendet,

 

Der Liebestäuschung Glauben mir entwendet,

Und all mein Glück sich in zwei Hälften teilen,

Die in der Erd, im Himmel jene weilen,

Meiner Verlust’ Erwerbungen verschwendet,

 

Erzitttr’ ich, da ich so entblößt mich sehe,

Und jedes schlimmste Los könnt ich beneiden;

So hab ich um mich selbst Herzleid und Bangen.

 

O du mein Stern, o Schicksal, letztes Scheiden,

O Tag, mir immer süß und voll von Wehe,

Wie niedern Stand hab ich von euch empfangen!

 

 

CCIC.

 

Wo ist die Stirn, die sonst mit leisem Grüßen

Mein Herz gewandt nach der und jener Seiten?

Wo schöne Brau’n und Sterne, die zu leiten

Durchs Leben mich mit ihrem Strahl verhießen?

 

Wo Kraft, Verstand und Kenntnis? Wo die süßen,

Demütig frommen Worte beßrer Zeiten?

Wo all die Reiz in ihr und Trefflichkeiten,

Die, was sie wollten, über mich erließen?

 

Wo sanfter Wangen holdes Schattenweben,

Das Kühl und Rast dem müden Geist bescheret,

Und drin geschrieben stand mein ganzes Sinnen?

 

Wo sie, die in den Händen hielt mein Leben?

Wie viel die arme Welt, wie viel entbehret

Mein Aug, aus dem fortan nur Tränen rinnen!

 

 

CCC.

 

Wie neid ich, geizges Land, dich, das umschließet

Sie, deren Anblick mir nun ist entrungen,

Das mir die schönen Mienen abgedrungen,

Drin Frieden ich nach jedem Kampf begrüßet!

 

Und wie den Himmel, der da sperrt und schließet

Und so begierig zu sich aufgeschwungen

Den Geist, von schönen Gliedern losgeschlungen,

Und anderen so selten sich erschließet!

 

Wie neid ich jene Seelen bessrer Sphären,

So an der Seite dort der Süßen schweben,

Die ich gesucht mit solcher Sehnsucht immer!

 

Und wie den Tod, den harten, liebeleeren,

Der, nun in ihr er ausgelöscht mein Leben,

Im Aug ihr wohnet und mich rufet nimmer!

 

 

CCCI.

 

O Tal du, voll von meinen Klagetönen,

O Strom, den oftmals meine Tränen schwellen,

O Wild, o Vögel, und ihr Fisch’ in wellen,

Um die sich hegend grüne Ufer dehnen!

 

O heitre Luft du, warm von meinem Stöhnen!

O all ihr süßen sonst, nun bittern Stellen!

Hügel, mir Lust einst, nun des Grams Gesellen,

Wohin mich Amor führt durch lang Gewöhnen!

 

Die alten Formen find ich allerwegen;

Nicht ach! in mir, der, frohem Sein enthoben,

Ein Haus ich ward, endlose Trauer fassend.

 

Von hier sah ich mein Glück; auf diesen Stegen

Kehr ich, zu sehn, von wo sie ging nach oben,

Auf Erden ihre schöne Hülle lassend.

 

 

CCCII.

 

Mich hob mein Geist hinan auf fernem Gleise,

Zu suchen, was der erd ach! nun entschwunden.

Da sah ich sie, vom dritten Kreis umwunden,

Weit schöner und mit minder stolzer Weise.

 

Sie gab die Hand und sprach: „In diesem Kreise

Wirst du, irrt nicht mein Wunsch, mir einst verbunden;

Ich bin’s, durch die du solchen Kampf gefunden,

Und die vorm Abend schloß des Tages Reise.

 

Kein menschlicher Verstand begreift mein Glücke;

Dein harr ich nur und, das du liebtest lange,

Des schönen Kleids, das drunten aufgehoben.“

 

Weh, warum zog sie stumm die Hand zurücke?

Denn bei so mild und keuscher Worte Klange

Fehlte nicht viel, blieb ich im Himmel droben.

 

 

CCCIII.

 

Amor, der du im Glück mit mir gezogen

Längs dieser Ufer, freundlich unserm Dichten,

Und, unsre alten Händel hier zu schlichten,

Mit mir und mit dem Fuß Gespräch gepflogen!

 

Laub, Blumen, schatten, Höhlen, Luft und Wogen,

Talklausen, Hügel, Fluren all, ihr lichten!

Port, meiner liebe Mühen zu beschwichten

Und was das Glück von Schmerz mir zugewogen!

 

O muntre Scharen ihr im grünen Hage!

O Nymphen! und, die flüssige Kristallen

In moosgem Grund zum Haus ihr euch erkoren!

 

Hell einst, sind nun so düster meine Tage,

Wie, der es schafft, der Tod. So ist gefallen

Jedem sein Los am Tag, da er geboren.

 

 

CCCIV.

 

Als Liebeswürmer mir noch zehrend lagen

Am Herzen und ich glüht im Liebesbrande,

Sucht ich durch einsame, durch öde Lande

Die Spur des flüchtgen Wildes zu erfragen,

 

Und wagt es, singend Amorn anzuklagen

Und sie, die grausam spottete der Bande;

Doch fehlt es mir an Reimen und Verstande

Zu neuer, kranker Weis in jenen Tagen.

 

Die Flamm ist tot, und kleiner Stein sie decket;

Wenn mit der Zeit sie, wie in andern, wäre

Bis in mein Alter also fortgeschritten,

 

Mit Reimes Waffen, die ich nun gestrecket,

Und greisem Wort hätt ich den Fels zerschnitten

Und ihm entrungen manche Freudenzähre.

 

 

CCCV.

 

O schöne Seele du, erlöst von jenen

Fesseln, die schöner nie Natur gegeben,

Vom Himmel her sieh auf mein dunkles Leben,

Von frohen Bildern wende dich zu Tränen!

 

Aus deinem Herzen wich das falsche Wähnen,

Das mir einst deiner Augen süßes Weben

Verbittert; nun ganz sicher kannst du heben

Nach mir den Blick, dein Ohr nach meinem Stöhnen.

 

Den Fels sieh, draus die Sorga springt; verloren

Sieh einen dort bei Gras und Flut, der beide,

Schmerz und Erinnrung, sich zur Kost erkoren.

 

Dein heimatliches Land, ich wünsch es, meide,

Den Ort, wo unsre Liebe ward geboren,

Daß du nicht siehst, was dir gereicht zum Leide.

 

 

CCCVI.

 

Es schloß die Sonne, die zum Himmelsreiche

Mich gehen hieß mit ruhmeswertem Schritte,

Kehrend zur höchsten Sonn, in Steines Mitte

Mein Licht, ihr irdisch Haus, das wonnereiche.

 

Drum einem Tier des waldes ich nun gleiche,

Der irrend ich mit einsam-müdem Tritte,

Mit feucht gesenktem Blick und herber Sitte

Hin durch die Welt, mir eine Wüste, schleiche.

 

So zieh ich, jede Gegend zu durchspähen,

Wo ich sie sah. Nur, der mir Leid gewoben,

Amor, zieht mit und zeigt, wo ich soll gehen.

 

Sie nicht; doch ihre heilge Spur, nach oben

Gewendet jede, nach dem Pfad der Höhen,

Seh hoch ob Styx ich und Avernus droben.

 

 

CCCVII.

 

Wohl dünkt ich mich geschickt, empor auf Schwingen

Durch ihn, des Kraft allein sie regt, zu schweben,

Den schönen Knoten würdig zu erheben,

Den Tod zerreißt und Amors Hände schlingen.

 

Doch schwächer war ich, solches zu vollbringen,

Als kleiner Zweig, dem große Last gegeben,

Und sprach: „Es fällt, wer allzuhoch will streben,

Was Gott versagt, kann Menschen nicht gelingen.“

 

Des Geistes Federn können nimmer fliegen,

Nie schweres Wort, wohin einst in Verzückung,

Webend das süße Band, Natur gestiegen.

 

Amor folgt ihr, besorgt um dessen Schmückung

So sehr, daß ich nicht wert war, zu vergnügen

Mein Aug an ihm; doch war’s des Himmels Schickung.

 

 

CCCVIII.

 

Für die ich Arno ließ ob Sorgas Talen,

Um freie Armut knechtsche Herrlichkeiten,

Sie kehrt in bittres Weh die Süßigkeiten,

Durch die ich lebt und nun vergeh in Qualen.

 

Seitdem vergebens sucht ich oft zu malen

Der hohen Schönheit Bild den künftgen Zeiten

Im Lied, ihr Lieb und Huldgung zu bereiten;

Doch malt kein Wort der Wangen lichte Strahlen.

 

Der hohen Reize, die nicht Gleiches hatten,

An ihr, wie Stern am Himmel, aufgegangen,

Ein oder zwei wag ich nur abzuschatten.

 

Doch seh zur sel’gen Hälft ich mich gelangen,

Die kurze Sonne war ob Erdenmatten,

Fehlt Mut, Verstand und Kunst zum Unterfangen.

 

 

CCCIX.

 

Das hehre Wunder, das dem Erdenrunde

Unlängst erschien und dann sich aufgeschwungen,

Das Gott uns nur gezeigt und drauf entrungen,

Ein Schmuck zu sein in seiner Sterne Bunde,

 

Soll malen ich, Unkundigen zur Kunde,

Will Amor, der zuerst das Band der Zungen

Gelöst, dann tausendmal zum werk gedrungen

Verstand, Papier und Tint und Stift und Stunde.

 

Doch noch gebricht dem Lied die höchste Fülle;

Ich kenn es, und, wer bis zu diesem Tage

Von Liebe sprach und schrieb, muß Recht mir geben.

 

Wer Wahrheit denken kann, erwäge stille,

was jeglich Wort besiegt, und seufz und sage:

„Den Augen Heil, die sie gesehn im Leben!“

 

 

CCCX.

 

Der Zephyr kehrt, die schöne Zeit zu bringen,

Und Gras und Blumen, seine süßen Kleinen;

Und Progne schwatzt und Nachtigallen weinen;

In Weiß und Rot will sich der Lenz verjüngen;

 

Die Wiese lacht, in Lüften tönt ein Klingen;

Zeus freut der Tochter sich, der klaren, reinen;

Luft, Erd und Flut der Liebe voll erscheinen,

Und Liebestriebe jeglich Tier durchdringen.

 

Doch mir ach! kehren Seufzer nur und Klagen,

Die jene läßt aus tiefem Herzen steigen,

Die seine Schlüssel mit sich fortgetragen.

 

Ob Vöglein singen, Blumen mir sich neigen

Und schöne Frauen nicht den Gruß versagen,

Doch seh ich rings nur Wild und wüstes Schweigen.

 

 

CCCXI.

 

Die Nachtigall dort, die so zärtlich weinet,

Vielleicht, weil Gatt ihr oder Kindlein fehlen,

Himmel und Flur in süßen Wonnen einet

Mit Klängen, drin sich Leid und Lust vermählen;

 

Sie zieht die ganze Nacht mir nach und scheinet

Mein jammervoll Geschick mir zu erzählen;

Denn mich nur klag ich an, der ich gemeinet,

Der Tod nicht könne Göttinnen befehlen.

 

Wie leicht doch wird getäuscht ein blind Vertrauen!

wer dachte, daß zwei Augen, hell wie Sterne,

Verdunkeln würden rings des Erdrunds Auen?

 

Nun seh ich wohl, daß mein Geschick voll Grauen

Gebeut, daß lebend ich und weinend lerne,

Wie nieden hier auf keine Lust zu bauen.

 

 

CCCXII.

 

Nicht Sterne, die durch heitre Höhn sich schwingen,

Noch wohlgeteerte Kiel’ auf stillen Wellen,

Nicht durch die Flur bewehrte Kampfgesellen,

Nicht Rehe, die durch Büsche munter springen,

 

Nicht frische Botschaft von erwünschten Dingen,

Noch hoher Liebesrede kühnes Schwellen,

Noch auf begrünter Au, an klaren Quellen,

Ehrbarer, schöner Frauen süßes Singen,

 

Noch sonst etwas kann Lust dem Herzen geben;

So hat sie mit ins Grab dies Herz genommen,

Die einzig Licht und Spiegel war den Augen.

 

Zu lang und lästig wird mir nun das Leben;

Drum fleh ich, daß das Ende möge kommen,

Zu sehn, was nie zu sehn, eh möchte taugen.

 

 

CCCXIII.

 

Dahin ist ach! die Zeit und untergangen,

Da Kühl ich fand, von Flamm und Glut umlichtet;

Dahin, von der geklagt ich und gedichtet,

Und die mir Tränen ließ und Qual und Bangen.

 

Dahin das Antlitz, mild und fromm, gegangen!

Doch ging’s, die süßen Blick aufs Herz gerichtet,

Aufs Herz, das mein einst, sich mit ihr geflüchtet,

Die’s mit dem schönen Mantel hielt umfangen.

 

Zum Grab hat sie’s, zum Himmel mitgenommen,

Wo sie nun tiumphiert, umrankt vom grünen

Lorbeer, den siegreich Tugend ihr verliehen.

 

O könnt ich, dieser Erdenhüll entkommen,

Die hier noch mich gewaltsam hält, mit ihnen,

Von Seufzern frei, zu sel’gen Geistern ziehen!

 

 

CCCXIV.

 

Mein Geist, der du, vorahnend deine Klagen,

In froher Zeit schon mit so ernstem Sinnen

Nachdenklich in geliebten Blicken drinnen

Dir Ruhe suchtest für die künftgen Plagen,

 

Nach Wort, Gesicht, nach Kleid und nach Betragen,

Nach dem mit Schmerz vermischten neuen Minnen

Konntest du sprechen, wardst du alles innen:

Der letzt ist dies von meinen süßen Tagen!

 

Wie, arme Seele, waren süß die Freuden,

wie brannten wir, als ich die Augen sahe,

Die ich fortan auf immer sollte lassen,

 

Als ihnen, wie zwei Freunden, treu und nahe,

Zur Obhut ich die wertste Bürd im Scheiden,

Mein teures Denken all, mein Herz gelassen!

 

 

CCCXV.

 

Mein frishes Blütenalter schied soeben,

Und lauer, fühlt ich, ward des Herzens Schwüle,

Gelangt war ich bereits zu jenem Ziele,

Wo sinkend sich zum Ende neigt das Leben;

 

Des Argwohns schon begann sich zu begeben

Gemach die teure Feindin, im Gefühle

Der Sicherheit; schon wandelte zum Spiele

Mein herbes Weh ihr tugendliches Weben;

 

Nah war die Zeit, die liebe sich vertragen

Mit Keuschheit lehrt, und Liebenden gewähret,

Beisammensitzend alles sich zu sagen.

 

Mein Glück da, ja mein Hoffen neidisch störet

Der Tod; er kam, danieder mich zu schlagen,

Auf halbem Weg, ein Feind, zum Kampf bewehret.

 

 

CCCXVI.

 

Zeit war’s, in Frieden nun zu ruhn vom Streiten

Nach solchem Kampf, auch war ich fern nicht eben;

Da hieß die frohen Schritte rückwärts streben,

Der ausgleicht all des Lebens Ungleichheiten.

 

Wie Nebel schnell dahin im Wind entgleiten,

Durcheilte sie ach! allzuschnell ihr Leben,

Die mir mit schönen Augen Licht gegeben!

Nun muß ich mit Gedanken sie begleiten.

 

Ein Weilchen noch, und wir – bejahrt, ergrauet –

Änderten unsern Sinn; dann konnt erzählen

Ohn Argwohn ich von allem, was mich plaget.

 

Wie hätt ich seufzend dann mein langes Quälen

Gesagt ihr, das sie nun vom Himmel schauet

Und – des bin ich gewiß – mit mir beklaget!

 

 

CCCXVII.

 

Amor hat einen stillen Port gewähret

Nach wilder Stürme langen, großen Fahren

In reiferm Alter, bessrer Sitt erfahren,

Das, schuldfrei, sich mit Tugend schmückt und ehret.

 

Mein Herz schon sahn die Augen, mild verkläret,

Die hoher Treue nicht mehr abhold waren.

Ach grimmer Tod, die Frucht von vielen Jahren,

Wie hast im Nu so schnell du sie verheeret!

 

Lebte sie noch, sie käm; dann legt ich nieder,

Sprechend sogleich in ihre keuschen Ohren

Die alte Bürde meiner Herzensfreuden.

 

Vielleicht zu mir dann sagte sie auch wieder

Ein frommes Wort, in Seufzern leis geboren,

Da Wang und Haar verwandelt an uns beiden.

 

 

CCCXVIII.

 

Es sank ein Baum, gerissen aus dem Lande,

Gleich einem, den da Erz und Sturm bezwingen,

Streuend umher sein hohes Laub im Sande,

Zur Sonne kehrend feuchte Wurzelschlingen;

 

Da dacht ich eines, den zum Gegenstande

Amor, zum Stoff die Musen jüngst empfingen,

Der um mein Herz, sein Haus, schlang seine Bande,

Wie Efeuzweige Baum und Stein umringen.

 

Der ewge Lorbeer, wo einst Hochgedanken

Und glühe Seufzer sich ein Nest erbauten,

Die nie der schönen Äst ein Zweiglein bogen,

 

Zur Höh versetzt, ließ seiner Wurzeln Ranken

Im treuen Haus, von wo mit bangen Lauten

Einer noch ruft und Antwort stets verzogen.

 

 

CCCXIX.

 

Es flohn, wie Hirsche, meine Tag’ unbändig,

Wie Schatten, hin und sahn nicht mehr vom Glücke,

Als wenig heitre Stunden, Augenblicke,

Die, bittersüß, ich noch bewahr inwendig.

 

Elende Welt, mutwillig, unbeständig!

Blind ist, wer Hoffnung setzt auf deine Tücke!

In dir schwand mir mein Herz; sie hält’s zurücke,

Die Staub nunist, nicht Bein und Nerv lebendig.

 

Allein die bessre Form, die fortlebt drüben,

Und leben wird hoch in des Himmels Auen,

Läßt stündlich mehr mich ihre Schönheit lieben.

 

Ich sinne nur, dieweil die Haar ergrauen,

Wie jetzt sie sei, und wo sie sei geblieben,

Und wie ihr holder Schleier anzuschauen.

 

 

CCCXX.

 

Ich fühl ein altes wehn; der Berge Lehnen,

Die sanften, seh ich, wo das Licht begonnen,

Das meinen Augen Freud und Lust gewonnen,

Weil’s Gott gefiel, nun Trauer gibt und Tränen.

 

O schwache Hoffnung du, o töricht Wähnen!

Verwaist die Gräser, trübe sind die Bronnen,

Und leer und kalt das Nest, dem sie entronnen;

Da leb ich, da zu sterben, stand mein Sehnen,

 

Hoffend zuletzt, von ihren holden Füßen

Und Augen, die des Herzens Gluten nähren,

Nach großen Mühen Ruhe zu genießen.

 

Grausamen, geizgen Herrn hielt ich in Ehren,

Und brannte, bis die Flammen von mir ließen;

Nun weih ich ihrer Asche meine Zähren.

 

 

CCCXXI.

 

Ist dies das Nest, dem Phönix ausersehen,

Drein er die goldnen Purpufedern legte,

Der einst mein Herz in seinen Flügeln hegte

Und draus noch Wort’ und Seufzer läßt erstehen?

 

O erste Wurzel meiner süßen Wehen,

Wo ist das Antlitz, din das Licht sich regte,

Das hell, lebendig, glühend mich bewegte,

Du einzge hier einst, Sel’ge nun der Höhen?

 

Du ließest hier allein mich und beklommen,

So daß zum Ort, den ich muß heilig achten

Um dich, voll Leid ich stets zurückgekommen,

 

Sehend umher die Hügel dunkel nachten,

Wo letzten Flug zum Himmel du genommen,

Und denen deine Augen Tag einst brachten.

 

 

CCCXXII.

 

Nie werd ich trocken Blicks und ungerühret

Mit ruhigem Gemüt die Zeilen schauen,

Aus denen Liebesfunkeln scheint zu tauen,

Die Mitleid wie mit eigner Hand gezieret;

 

Geist, der im Erdenkampf du triumphierest,

Nun solche Süße träufst aus Himmelsauen,

Daß du zum Griffel, dem des Todes Grauen

Entfremdet mich, mein Lied zurückgeführet;

 

Wohl andre Frucht noch hofft ich dir zu weisen

Von zarten Zweigen! Welches Sternes Neiden

Nahm dieses uns? durch wen, auf welchen Gleisen,

 

Mußtest, o Hort, zu früh du von uns scheiden?

Dich sieht mein Herz, dich will die Zunge preisen;

Du, süßer Seufzer, stillst der Seele Leiden!

 

 

CCCXXVI.

 

Das Höchste hast du, was du kannst, begangen,

O grimmer Tod; hast Amors Reich verheeret,

Hast nun der Schönheit Blüt und Licht zerstöret,

Und hältst es nun von kleiner Gruft umfangen.

 

Entwandt hast unserm Leben du sein Prangen,

Daß aller Zier und Ehr es nun entbehret;

Doch Ruhm und Preis, der unvergänglich währet,

Verfiel dir nicht, hast eitel Erd empfangen.

 

Des andern freun die Himmel sich und loben

Sein Licht, als einer schönern Sonne Feuer,

Und ewig bleibt’s der Welt der Guten teuer.

 

Mitleid besieg in solcher Siegesfeier,

O Engel neuer Art, dein Herz dort oben,

Wie deine Schönheit meines hier umwoben.

 

 

CCCXXVII.

 

Die Kühlung, die aus süßem Lorbeer quillet,

Hach, Schatten, Duft und Blüten froher Stunden,

Hat, der die Welt verödet, mir entwunden,

Mein Licht und was des Lebens Wehen stillet.

 

Wie Sol uns, wann die Schwester ihn verhüllet,

So ist mein hoher Stern auch mir verschwunden;

Vom Tod such Hilf ich gegen Todeswunden;

Mit solchem Graun hat Amor mich erfüllet!

 

Schliefst, schöne Herrin, kurzen Schlaf hienieden;

Nun bist erwacht du bei erwählten Geistern,

Dort, wo die Seelen sich in Gott versenken.

 

Und wenn es meinen Reimen ward beschieden,

Sei hoch gefeiert unter edeln Geistern

Hier ewig deines Namens Angedenken.

 

 

CCCXXVIII.

 

Der letzte weh! von meinen frohn Tagen

(Wie wenige sah ich im Leben ehe!)

Erschien; da ward mein Herz zu lauem Schne’e,

Deutend vielleicht auf dunkle Zeit voll Klagen.

 

Wie Puls, Gedank und Nerv voraus schon zagen

Und kranken, ist ein Fieber in der Nähe,

So fühlt ich mich, nicht wissend, das so jähe

Dem unvollkommnen Glück ich müßt entsagen.

 

Die Augen, droben hell nun und zufrieden

Des Lichts, aus welchem Heil und Leben tauen,

Lassend die meinen bettelarm hienieden,

 

Erglänzen fromm und sprachen: „Faßt Vertrauen,

Ihr andern! bleibt, o liebe Freud, in Frieden;

Hier nicht, dort werden wir uns wiederschauen!“

 

 

CCCXXIX.

 

O Tag, o Stund, o letzte der Sekunden!

O Stern ihr, arm zu machen mich, verschworen!

O treuer Blick, was sprachst du, als, erkoren

Zu ewgem Weh, ich schied in jenen Stunden?

 

Nun kenn ich ganz mein Leid, des Traums entbunden,

Der ich gewähnt (o eitler Wahn des Toren!)

Ein Teil nur sei, nicht alles mir verloren!

Wie viele Hoffnung ist im Sturm entschwunden!

 

Denn andres war im Himmel schon beschlossen:

Das hehre Licht zu löschen, das mich nährte;

Im bittersüßen Antlitz stand’s geschrieben.

 

Ein Schleier aber hielt mein Aug umflossen,

Der, was ich sah, zu sehen mir verwehrte,

Um plötzlich so mein Leben mehr zu trüben.

 

 

CCCXXX.

 

Der fromme, teure Blick, er schien zu sagen:

„Nimm das von mir, was jetzt noch kann geschehen;

Denn nie wirst du mich wieder hier erspähen,

Wann du hinweg den trägen Fuß getragen!“

 

Verstand, gewohnt, dem Pardel vorzujagen,

Doch träg, vorauszuschauen eigne Wehen,

Daß du in ihren Augen nicht gesehen,

Was nun du siehst! Drob ich muß glühn und zagen!

 

Sie schweigend und mit nie gesehnem Blinken

Sprachen: „O liebe Lichter, die so lange

Mit solcher Süß als Spiegel uns gehalten,

 

Der Himmel harrt auf uns, mag’s früh euch dünken;

Doch der uns band, löst von des Knotens Zwange,

Und läßt den euren, zum Verdruß euch, alten.“

 

 

CCCXXXIII.

 

Zum harten Stein, o Schmerzenslied, entfliehe,

Der über meinem Schatze steht erhoben;

Da rufe sie, die Antwort gibt von oben,

Wie auch der Leib an dunklem Ort verziehe.

 

Sag ihr, daß, müde von des Lebens Mühe

Und von der Fahrt durch dieser Fluten Toben,

Ihr flatternd Laub ich dennoch aufgehoben

Und Schritt vor Schritt nun hinterdrein ihr ziehe,

 

Nur redend so von ihrem Tod als Leben –

Nein, Leben nur! seit dort sie aufgenommen,

Auf daß die Welt sie kenn und lieben lerne.

 

Möge denn acht sie auf mein Scheiden geben,

Das nun so nah, und mir entgegenkommen,

Mich rufen und mich ziehn zu ihrem Sterne!

 

 

CCCXXXIV.

 

Kann tugendsame Liebe Lohn gewinnen,

Mitleid gewähren, was es sonst gewährte,

So wird mir Lohn; denn sonnenhell verklärte

Sich ihr und aller Welt mein treues Minnen.

 

An mir verzagend einst, ward sie nun innen,

Daß, was ich jetzt begehr, ich stets begehrte;

Wenn sie nur Mienen sah und Worte hörte,

Sieht nun das Herz sie und des Geistes Sinnen.

 

Drum hoff ich, daß im Himmel sie beklage

Mich um mein langes Seufzen und es zeige,

Geruhend, huldreich bei mir einzukehren,

 

Und daß, wenn dieser Hüll ich mich entschlage,

Mit unsrer Schar zu mir herab sie steige,

Wahrhafte Freundin Christi und der Ehren.

 

 

CCCXXXV.

 

Bei tausend Fraun sah eine solch ich stehen,

Daß Liebeszagen an das Herz mir rückte,

Als ich in wahrem Bilde sie erblickte,

Von Ansehn gleich den Geistern sel’ger Höhen.

 

Nichts war an ihr des Irdischen zu sehen,

Als die nur nach dem Himmel sehnend blickte.

Der Geist, den Glut und Frost für sie durchzückte,

Hob beide Flügel, um mit ihr zu gehen;

 

Zu hoch doch meinem irdischen Gewichte,

War bald sie aus den Augen mir entschwunden,

Und denk ich’s, fühl ich jetzt noch Frost und Schauer.

 

O schöne Fenster, hohe, glanzeslichte,

Durch die er, der so viele senkt in Trauer,

In also schönen Leib den Weg gefunden!

 

 

CCCXXXVI.

 

Sie kehrt zum Herzen, ja sie ist darinnen,

Die Lethe selbst nicht könnte draus verschlagen,

Leuchtend, wie ich sie sah in Blütentagen,

Von Strahlen, die aus ihrem Sterne rinnen.

 

So einsam seh ich sie, in tiefem Sinnen,

So schön sie und so sittig im Betragen,

Daß ich „Sie ist es selbst! sie lebt!“ muß sagen

Und flehn, die süße Rede zu beginnen.

 

Bald gibt, bald weigert sie, was ich erflehe,

Und, wie wer irrt und Wahrheit nun gefunden,

Sprech ich zu meinem Sinn: „Du bist betrogen!

 

Tausend dreihundert acht und vierzig, wehe!

Am sechsten Tag Aprils, in erster Stunden,

Ist seinem Leib der sel’ge Geist entflogen.“

 

 

CCCXXXVII.

 

Der einst besiegt in Duft und Farbenprangen

Den Osten, welchen Duft und Licht durchfluten,

In Laub und Blüt und Frucht, drum alles Guten

Und Herrlichen der West den Preis empfangen,

 

mein süßer Lorbeerbaum, wo eingegangen

Einst alle Schönheit, aller Tugend Gluten,

Sah, wie mein Herr und meine Göttin ruhten,

Ehrbar von seinem Schattendach umfangen.

 

Auch ich wob in des Baumes Heiligtume

Mir ein Gedankennest; durchglüht und frierend,

In Flamm und Eis mußt ich mich glücklich ehren.

 

Voll war die Welt von ihrem hohen Ruhme;

Da nahm sie Gott, mit ihr den Himmel zierend;

Und wert auch war sie es, ihm zu gehören.

 

 

CCCXXXVIII.

 

Du ließest ohne Sonn, o Tod, die Erde,

Dunkel und kalt; blind Amorn, ohne Wehre;

Entblößt die Anmut; Schönheit sonder Ehre;

Mich trostlos und mir selber zur Beschwerde;

 

Tugend im Staub; im Bann die Huldgebärde!

Ich klag um mich, als ob nur ich verlöre.

Zerstört hast du der Tugend Keim, die hehre

Urkraft verlöscht! Wer sagt, ob zweite werde?

 

Wohl sollten Luft und Meer und Erde klagen

Und alle Menschheit, die, beraubt der Lieben,

Wies ohne Blum, ein Ring ist ohne Steine.

 

Nicht kannte sie die Welt in ihren Tagen;

Mit mir nur, der, zu jammern, hiergeblieben,

Der Himmel, den nun schmückt, um was ich weine.

 

 

CCCIXL.

 

So weit mein Blick sich öffnete hienieden,

So weit mir hoben Lieb und Lust die Schwinge,

Sah neu’ und hold’ ich, aber irdsche Dinge,

Die einem Wesen jeder Stern beschieden.

 

Andre gleich viel, ganz fremd und ganz verschieden,

Aus ewger himmlischer Gestalten Ringe,

Weil mein Verstand für selbe zu geringe,

Mußten mein schwaches Auge bald ermüden.

 

Drum, was von ihr ich schrieb, von ihr ließ hören,

Die nun vor Gott für Lob Gebet mir spendet,

Nur Tröpflein war’s aus unermessnen Meeren.

 

Denn Geist und Wort an einer Grenze endet;

Wes Augen starr sich zu der Sonne kehren,

Sieht um so weniger, je mehr sie blendet.

 

 

CCCXL.

 

Mein süßes, teures Pfand, das mir entrissen

Natur, der Himmel nun mir aufgehoben,

Du meine Stütze in des Lebend Toben,

Warum so lang soll ich dein Mitleid missen?

 

Sonst mindest nahest du des Schlummrers Kissen;

Nun läßt du hilflos mich, von Glut umwoben,

Und kühlest nicht! Was hindert, da dort oben

Die Herzen nichts von Haß und Zorne wissen,

 

Weshalb hier unten wohl huldreiche Seelen

Des Leids sich manchmal freun, das andre tragen,

So daß sich Lieb aus ihrem Reich muß stehlen?

 

Der du mich innen siehst und kennst mein Plagen,

Und einzig enden kannst so großes Quälen,

Mit deinem Schatten sänftge meine Klagen!

 

 

CCCXLI.

 

War Mitleid, war ein Engel so geschwinde,

Zum Himmel auf mein Herzeleid zu tragen,

Da ich die Herrin, wie in alten Tagen,

So mild und tugendsam mir nah empfinde,

 

Daß sie mein armes Herz des Grams entbinde,

Voll Demut so, so ohne stolz Betragen,

Kurz so, daß ich des Todes mich entschlagen,

Und leb, und lästig nicht das Leben finde?

 

Beglückt bist du, die du mit deinen Blicken

Und deinen Worten – freundlichen Geschenken,

Uns beiden nur verständlich – kannst entzücken!

 

„Wohl, Lieber, Treuer, will dein Leid mich kränken;

Doch war ich hart, geschah’s, uns zu beglücken!“

Sprach sie und mehr, Sonnen vom Lauf zu lenken.

 

 

CCCXLII.

 

Mit Brot, das meinem Herrn zu aller Stunde

Vollauf, nähr ich mein Herz, mit Trän und Plage,

Und oft erbleich ich, zittre bang und zage,

Denk ich an seine bittre, tiefe Wunde.

 

Doch die nicht ihresgleichen hatt im Runde

Zu ihrer Zeit, zum Bett, in dem ich klage,

Kommt sie, daß kaum sie anzusehn ich wage,

Und setzt sich an den Rand mit Liebeskunde.

 

Dann trocknet mit der Hand sie, mild entschlossen,

Die Augen mir und bringt mit frommen Grüßen

Freude, wie sie kein Sterblicher genossen.

 

„Was hilft“, spricht sie, „Mutlosem alles Wissen?

Nicht wein! hast du nicht Tränen gnug vergossen?

Wärst lebend du, wie ich dem Tod entrissen!“

 

 

CCCXLIII.

 

Denk ich an ihn, den jetzt der Himmel ehret,

Den holden Blick, des goldnen Hauptes Neigen,

Ans Antlitz, an der Engelstimm Erzeigen,

Die Lust mir gab, nun Gram im Herzen nähret,

 

Dann wundert’s mich, wie noch mein Leben währet;

Auch lebt ich nicht, wär sie, der Tugend eigen

Und Reiz (Was mehr, nicht weiß ich’s), schnell beim Steigen

Aurorens nicht zur Rettung mir gekehret.

 

O freundlicher Empfang! o fromme Pflege!

Wie hört und merkt sie achtsam, voll Verlangen

Die lange Kunde meiner Leidenswege!

 

Wenn lichter Tag dann plötzlich aufgegangen,

Kehrt sie zum Himmel, kundig aller Stege,

Tränen in Augen und auf beiden Wangen.

 

 

CCCXLIV.

 

Vielleicht war vormals süß der Liebe Leben –

Wann, weiß ich nicht – in Herb ist’s nun verkehret.

Das Wahre kennt nur, wer es selbst erfähret,

Wie sich mit mir zu meinem Leid begeben.

 

Sie, unsrer Zeit vordem zum Schmuck gegeben,

Dem Himmel nun, den ganz sie ziert und kläret,

Hat sonst mir kurz und seltne Ruh bescheret,

Läßt nun in Unruh fort und fort mich weben.

 

Grausam hat der Tod mir all mein Glück entrungen,

Und keinen Trost kann meinem Trübsal bringen

Das Heil, zu dem ihr freier Geist gedrungen.

 

Ich weint und sang, und kann nichts Neues singes;

Doch Tag und Nacht laß ich von Aug und Zungen

Der Seele Schmerz hinströmen und erklingen.

 

 

CCCXLV.

 

Es trieben Schmerz und Liebe, fehlzugehen,

Die Zunge, die da ausgelernt in Klagen,

Von ihr, für die ich glüht und sang, zu sagen,

Das, wär es wahr, als Unrecht wär zu schmähen.

 

Fürwahr wohl sollte lindern meine Wehen

Die Selige, das Herz nicht mehr verzagen,

Seit Wohnung sie bei jenem aufgeschlagen,

Den lebend stets ihr Herz sich ausersehen.

 

Auch zag ich nicht und will mich drein ergeben,

Daß diese Tale sie nicht mehr umschließen;

Ja, gern will einsam sterben ich und leben.

 

Denn schön, wie nie, seh ich herab sie grüßen,

Seh sie im Geist empor mit Engeln schweben

Zu ihres Gottes und des meinen Füßen.

 

 

CCCXLVI.

 

Erwählte Engel, sel’ge Bürgerinnen

Des Himmels hielten droben sie umschlungen

Am ersten Tag, da sie sich aufgeschwungen,

Bewundernd und mit ehrfurchtsvollem Sinnen.

 

„Welch Licht ist dies? welch neuer Reiz?“ beginnen

Sie unter sich, „Warum, dem Wahn entrungen,

Ist nie ein Geist so schön emporgedrungen

In all der Zeit zu unsrer Heimat Zinnen?“

 

Sie, froh, daß solcher Wechsel sie beglücke,

Vergleichet sich nur mit dem besten Teile,

Und wendet sich von Zeit zu Zeit zurücke,

 

Ob ich ihr folg, und harret eine Weile.

Drum richt ich auf zum Himmel Wünsch und Blicke;

Denn sie nur hör ich, wie sie fleht: O, eile!

 

 

CCCXLVII.

 

Du Herrin, unserm Urquell angeschlossen

In Lust, wie’s deinem frommen Sinn ersehen,

Erhöht zu eines lichten Thrones Höhen,

Von andrem Schmuck, als Purpur, Perl, umflossen,

 

O hehres Frauenwunder du! Erschlossen

In seinem Blick, dem nichts da kann entgehen,

Wirst meine Treue du, mein Lieben sehen,

Um das ich Tint und Tränen viel vergossen;

 

Und sehn, es war für dich mein Herz auf Erden,

Wie’s nun im Himmel ist, und nie begehrte

Ich mehr von dir, als deiner Augen Sonne.

 

Zu enden drum des langen Kriegs Beschwerden,

Drob ich allein von hie zu dir mich kehrte,

Fleh, daß bald teil ich hab an eurer Wonne.

 

 

CCCXLVIII.

 

Von schönsten Augen und von hellsten Wangen,

Die je geleuchtet, von den schönsten Flechten,

Die Gold und Sonn um ihren Schimmer brächten,

Von süßem Lächeln, Worten süß empfangen,

 

Von Hand und Arm, der ohne Regung fangen

Die ärgsten Gegner Amors könnt und knechten,

Vom schönsten Fuß und Wesen, unsern Nächten

Aus Paradieseslicht hervorgegangen,

 

Kam Leben meinem Geist; des hat nun Freude

Mit seiner Boten Schar der Fürst der Höhe,

Und ich bin blind und nackend hier geblieben.

 

Nur einen Trost erharr ich meinem Leide,

Daß sie, die all mein Denken sieht, erflehe

Die Gnade mir, bei ihr zu wohnen drüben.

 

 

CCCXLIX.

 

Den Boten mein ich stündlich zu erkunden,

Den mir die Herrin, mich zu rufen, sendet;

So bin ich inn und außen  umgewendet,

Und so in wenig Jahren hingeschwunden,

 

Daß oft ich selbst mich wieder kaum gefunden;

Ganz anderm Leben hab ich mich verpfändet.

Zufrieden wär ich, wüßt ich, wann es endet;

Doch sollten nah wohl sein die letzten Stunden.

 

O selger Tag, wann, frei der Erdenbande,

Ich sinken lasse, flatternd und zerrissen,

Dies schwere, nichtige Gewand der von Erde,

 

Und, scheidend aus so dichten Finsternissen,

So hoch ich fliege nach dem heitern Lande,

Daß ich so Herrn als Herrin inne werde.

 

 

CCCL.

 

Dies morsch hinfällge Glut, dies flüchtge Scheinen,

Das Schönheit heißt und wie der Wind sich wendet,

War nur in letzter Zeit so ganz vollendet

In einem Leib vereint; drob muß ich weinen.

 

Obwohl mit Recht Natur sonst nicht an einen,

Um arm zu machen viele, alles spendet,

Hat sie an ein itzt alle Huld verschwendet –

Verzeih, wer schön ist, oder die es meinen.

 

Nie gab es solche Schön, alt oder neue,

Noch kehrt sie; doch so einsam war ihr Leben,

Daß kaum die irre Welt sie wahrgenommen.

 

Bald schwand sie dann; drum ich so hoch mich freue

Des hellern Augs, vom Himmel mir gegeben,

Nur zu gefallen ihrem Blick, dem frommen.

 

 

CCCLI.

 

die süßen Härten, sanften Weigerungen,

Voll keuscher Liebe, voll von Huld und Güte;

Der milde Zorn, der mein entflammt Gemüte

Und seinen Wahn (nun seh ich’s ein) bezwungen;

 

Adlige Red, in welcher hell, verschlungen

Mit höchster Anmut, höchste Zucht erglühte;

Der Schönheit Bronnen und der Tugend Blüte,

Die allem niedern Sein mein Herz entrungen;

 

Der Himmelsblick, der Seligkeit bescheret,

Jetzt streng und stolz den Geist regiert und zügelt,

Will er nach ungerechten Dingen streben,

 

Zum Trost in meinen Nöten jetzt beflügelt –

Der schöne Wechsel war von sel’gem Leben

Die Wurzel mir, des sonst ich hätt entbehret.

 

 

CCCLII.

 

Beglückter Geist, der du einst sanft die frommen

Augen in sonnger Klarheit durftest regen

Und Seufzer schufst und ewger Worte Segen,

Die fort und fort mein Herz seitdem vernommen,

 

Einst sah ich dich, von reiner Flamm entglommen,

Nicht Frauen gleich, nein, wie die Engel pflegen,

Durch Gras und Veilchen jener Fuß bewegen,

Die näher jetzt, als jemals, mir gekommen;

 

Die du, als du zum Vater gingst von hinnen,

Hienieden ließest mit dem holden Schleier,

Den hohe Fügung dir verliehn auf Erden.

 

Du schiedest von der Welt, mit dir so Minnen

Als Huld; vom Himmel fiel der Sonne Feuer,

Und süß begann das Sterben da zu werden.

 

 

CCCLIII.

 

Lieb Vöglein du, von sanges Lust getragen,

Oder beweinend die vergangnen Zeiten,

Siehst Nächte du und Winter dir zur Seiten,

Im Rücken Tag und Monde voll Behagen,

 

Wenn, wie du kennst des eignen Kummers Plagen,

Du wüßtest so mein gleich Geschick zu deuten,

Dem Armen würdest in den Schoß du gleiten,

Mit ihm zu teilen seine bangen Klagen.

 

Ich weiß nicht, ob die Lose gleich sich paaren;

Die du beweinst, lebt noch vielleicht; dagegen

Das meine Tod und Himmel karg verwahren.

 

Doch Zeit und minder frohe Stund erregen

Mir durch das Bild von süß und herben Jahren

Die Lust, mit dir leidvoll Gespräch zu pflegen.

 

 

CCCLIV.

 

Reich deine Hand dem müden Geist, o reiche

Sie, Amor, meinem Kiel, dem schwachen, bangen,

Von ihr zu sagen, die emporgegangen,

Unsterblich, Bürgerin im Himmelreiche!

 

Gib, daß mein Wort des Lobes Ziel erreiche,

Wohin es durch sich selbst nicht kann gelangen,

Dieweil die welt – nicht wert, sie zu umfangen –

Nichts hatte, was an Sitt und Reiz ihr gleiche!

 

Drauf er: „Was wir, ich und der Himmel, können,

Was Rat und frommer Umgang nur vermögen,

Das war in ihr; nun läßt’s der Tod entbehren.

 

Kein Menschenbild war je ihr gleich zu nennen

Seit Adams Ersterwachen. Gnug deswegen!

Mit Zähren sag ich’s, und du schreibst’s mit Zähren.“

 

 

CCCLV.

 

O Zeit, o Himmelslauf, der du die blinden,

Elenden Erdner trügst in flüchtger Eile;

O Tage, schneller ihr, als Wind und Pfeile,

Nun aus Erfahrung kenn ich eure Sünden.

 

Doch soll Entschuldgung euch, mich Tadel finden;

Euch gab Natur der Flügel Schwung zuteile,

Mir Augen; daß mein Weh ich lange Weile

Nur sah, des muß ich Scham und Schmerz empfinden.

 

Zeit wär es, ja sie ist vergangen eben,

Daß ich nach sichrerm Orte hin sie wende,

Endlosen Jammers mich zu überleben.

 

Doch deinem Joch nicht wünsch ich, Lieb, ein Ende;

Nur meinem Leid, du weißt’s, mit welchem Streben;

Tugend ist schöne kunst, nicht Zufalls Spende.

 

 

CCCLVI.

 

So häufig kehrt die heilge Luft, zu weben

Um meine Ruhestatt, daß ich es wage,

Zu nennen ihr, was ich einst trug und trage,

Was, weil sie lebt, ich nimmer durft erstreben.

 

Vom Liebesblick dann pfleg ich anzuheben,

Der Anfang war von also langer Plage;

Dann, wie mir, arm und froh, von Tag zu Tage,

Von Stund auf Stunde Liebe zehrt am Leben.

 

Sie schweiget, und, von Mitgefühl durchdrungen,

Erseufzet sie, das Aug auf mich gesenket,

Und schmückt mit frommen Tränen ihre Blicke;

 

Und meine Seele dann, von Schmerz bezwungen,

Kehrt, weinend drob in sich und tief gekränket,

Befreit vom Schlafe, zu sich selbst zurücke.

 

 

CCCLVII.

 

Ein jeder Tag ist mir gleich tausend Jahren,

Bis ich ihr folge, die mich treulich leitet,

Die mich zur Welt geführt und nun geleitet

Auf besserm Pfad zum Leben sonder Fahren.

 

Nicht hält der Erde Trug mich von dem Wahren

Zurück; ich kenn ihn, und vom Himmel gleitet

Solch Licht ins Herz mir, daß ich, wie sie schreitet,

Die Zeit berechn, und was ich Leids erfahren.

 

Nicht darf des Todes Drohungen ich scheuen,

Den größrer Schmach der Herr einst übernommen,

Zum Folgen Mut und Kraft mir zu erneuen.

 

Und jüngst ist er in jede Ader kommen

Von ihr, mit der mein Los mich wollt erfreuen,

Und trübte nicht die heitre Stirn der Frommen.

 

 

CCCLVIII.

 

Nicht kann den süßen Blick der Tod verherben;

Doch kann den Tod ein süßer Blick versüßen.

Was brauch ich and’r um Führung zu begrüßen?

Sie führt mich, die, was gut, mich lehrt erwerben

 

Und Er, der freudig gab sein Blut im Sterben,

Der Hölle Pforten brach mit seinen Füßen,

Scheinst Trost in seinem Tod mir zu erschließen;

Drum komm, o Tod! mit freuden will ich sterben!

 

Und zögre nicht; denn Zeit wohl ist es eben;

Und wär es nicht, war’s Zeit in jener Weile,

Als meine Herrin sich von hier gewendet.

 

Seitdem war ich nicht einen Tag am Leben;

Mir ward ein Pfad, ein Ziel mit ihr zuteile,

Mit ihrem Fuß hab ich den Lauf geendet.

 

 

CCCLXI.

 

Oft sagt mein treuer Spiegel mir, daneben

Die andre Haut, der Geist, dem nichts gelinget,

Ermattung Ohnmacht, die vergebens ringet:

„Birg dir es nicht, du bist doch alt nun eben!

 

Das best ist stets, sich der Natur ergeben,

Wenn uns die Zeit die Kraft zum Kampf entringet.“

Dann schnell, wie wasser Flamm und Glut bezwinget,

Ewach aus schwerem Schlaf ich neu zum Leben,

 

Und seh, wie unsre Tag’ im Flug entwallen,

Wie einmal nur das Leben wird gefunden;

Und hör ein Wort im Herzen mir erschallen

 

Von ihr, die nun des schönen Bands entbunden,

Doch hier vordem so einzig war vor allen,

Daß allen, denk ich, sie den Ruhm entwunden.

 

 

CCCLXII.

 

Zum Himmel flieg im Geist so oft ich hinnen,

Als wär ich deren einer, die da oben

Aus dem zersprengten Schleier sich erhoben,

Ihr Teuerstes dort wiederzugewinnen.

 

Von süßem Frost dann bebt das Herz mir innen,

Spricht sie, um die ich mich entfärbt, von droben:

„Mein Freund, jetzt muß ich lieben dich und loben,

Weil du dein Haar gewandelt und dein Sinnen.“

 

Sie führt zu ihrem Herrn mich. Da mich Neigen

Fleh ich demütiglich, mir zu gewähren,

Daß ich gewahr ihr Antlitz und das seine.

 

Drauf er: „Dein Schicksal, nimmer ist’s zu beugen;

Und sollt es zwanzig, dreißg Jahre währen;

Scheint dirs zu viel, doch ist die Frist nur kleine.“

 

 

CCCLXIII.

 

Im Tod erlosch die Sonne, die mich blendet;

Die hellen Augen sind von Nacht umfangen;

Staub ist, um die mich Wärm und Frost durchdrangen;

Statt Lorbeers, Ulm und Eiche mir gespendet.

 

Zu Glück und Leid mir hat sich’s so gewendet;

Denn niemand ist, von dem ich Mut und Bangen

Und Eis zugleich und Gluten könnt empfangen,

Und Hoffnung hat, gleichwie der Schmerz, geendet.

 

Der Hand entrücket des, der heilt und kränket,

Der mir gebracht so langen Jammers Schwere,

Seh ich mir Freiheit, bittersüß, geschenket;

 

Und auf zum Herrn, den dankbar ich verehre,

Der mit den Brau’n die Himmel trägt und lenket,

Vom Leben müde, doch nicht satt, ich kehre.

 

 

CCCLXIV.

 

Amor ließ einundzwanzig Jahr’ mich zagen,

In Gluten froh und hoffend im Entbehren:

Zehn andre Jahre gab er nichts als Zähren,

Seit sie empor mit sich mein Herz getragen.

 

Nun müde, muß des Lebens Trug ich klagen,

Der meine Tugend wollt im Keim zerstören,

Und weih, o hoher Gott, nur deiner Ehren

Ergebnen Sinns den Rest von meinen Tagen,

 

Bereuend meiner Jahre leer Vergeuden,

Dich ich verwenden sollt auf bessres Streben,

Frieden zu suchen, Schmerzen zu vermeiden.

 

Herr, der in diese Haft du mich gegeben,

Entnimm mich ihr! erlaß die ewgen Leiden!

Wohl kenn ich und entschuldge nicht mein Leben.

 

 

CCCLXV.

 

Ich geh und weine den vergangnen Tagen,

Die ich verbracht, hangend an irdschen Dingen,

Nicht trachtend auf im Flug, obwohl ich Schwingen,

Vielleicht zu schönem Beispiel, konnte schlagen.

 

Du siehst mein schweres, mein verschuldet Plagen,

Unsichtbar-ewger Himmelsfürst, mein Ringen;

Komm, Schutz dem irren, schwachen Geist zu bringen,

Und gnädig, was ihm fehlt, zu übertragen!

 

Daß, wenn im Leben Krieg und Sturm ich sahe,

Ich friedlich sterb im Port, und, war mein Leben

Eitel, ich schönen Hingang doch empfahe.

 

Den wenig Tagen, die mir noch gegeben,

Sei deine Hand und meinem Tode nahe!

Du weißt, du bist mein Hoffen und mein Streben.