William Shakespeare

1564 – 1616           England

 

In Übersetzungen von

Friedrich Bodenstedt

 

 

 

114 (18)

 

Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?

Nein, du bist lieblicher und frischer weit –

Durch Maienblüthen rauhe Winde streichen

Und kurz nur währt des Sommers Herrlichkeit.

 

Zu feurig oft läßt er sein Auge glühen,

Oft auch verhüllt sich seine goldne Spur,

Und seiner Schönheit Fülle muß verblühen

Im nimmerruhnden Wechsel der Natur.

 

Nie aber soll Dein ewiger Sommer schwinden,

Die Zeit wird Deiner Schönheit nicht verderblich,

Nie soll des neidischen Todes Blick Dich finden,

Denn fort lebst Du in meinem Lied unsterblich.

 

So lange Menschen athmen, Augen sehn,

Wirst du, wie mein Gesang, nicht untergehn.

 

 

61 (66)

 

Den Tod mir wünsch’ ich wenn ich ansehn muß

Wie das Verdienst zum Bettler wird geboren

Und hohles Nichts zu Glück und Überfluß,

Und wie der treuste Glaube wird verschworen,

 

Und goldne Ehre schmückt manch schmachvoll Haupt,

Und jungfräuliche Tugend wird geschändet,

Und wahre Hoheit ihres Lohns beraubt,

Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,

 

Und Kunst im Zungenbande roher Macht,

Und Wissenschaft durch Schulunsinn entgeistert,

Und schlichte Wahrheit als Einfalt verlacht,

Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert –

 

Müd’ alles dessen, möcht’ ich sterben – bliebe

Durch meinen Tod nicht einsam meine Liebe.