Giosue Carducci

1835 - 1907

 

In Übersetzungen von:

Bettina Jacobson

 

 

 

Aus Juvenilia

 

 

So grausam trifft mit wilden Geißelschlägen

Enttäuschung mich auf jedem meiner Schritte,

Daß ich, ermüdet von den harten Wegen,

Mir schon das Grab als letztes Ziel erbitte.

 

Gesenkten Auges wandl ich in der Mitte

Von Huld und Schönheit und im Blütensegen

Des Lebens, fast als strebten schon die Schritte

Dem unerfreulich letzten Haus entgegen.

 

Da hemmt ein Antlitz plötzlich mit den Zügen

Der Hoffnung und des Schmerzes mich, es schaut

Mich traurig an und schweigt. Ein harter Strauß

 

Tobt zwischen Zorn und Liebe wild und laut

Im Busen mir, die Liebe fühl ich siegen,

Und unter Seufzern bebend ruh ich aus.

 

 

 

Du tiefe stille ungeheure Nacht,

Sichtbarer Schlummer der erschaffnen Welten,

Auf Felsen ruhend, die der Blitz zerkracht,

Wie auf der Flur, der treu mit Korn bestellten;

 

Ihr Schatten, die manch keusches Licht bewacht,

Am weiten Himmelsdom, dem sternenhellen,

Ihr Lichtgestalten, die in stiller Pracht,

Bei unbekanntem Los, sich dort gesellten,

 

Und du, o Mond, der seinen Silberstrahl,

Den klaren kalten, läßt herniedersteigen

Zu Frohen und Betrübten, sonder Wahl:

 

Was soll dies dunkle Graun? Der Lebensreigen

Des armen Menschenvolks und seiner Qual?

Fühllose Stille – du verharrst in Schweigen.

 

 

 

Mein Schiff fährt einsam unter Klagetönen

Der Möwen durch die sturmbewegte Flut,

Die Woge rollt heran, und nimmer ruht

Der Blitze Zucken und des Donners Dröhnen.

 

Indessen sucht Erinnerung mit Tränen

Nach des verlornen Ufers stiller Hut,

Und auf zerbrochner Ruderstange ruht

Ihr müder Blick mit unerfülltem Sehnen.

 

Doch singend schaut mein Genius unverdrossen

Auf Meer und Himmel, steht auf schwankem Schiff,

Trotz Rahenknirschen und trotz Sturmespfiff.

 

Wir rudern, rudern fort, ihr Leidgenossen,

Zum Hafen des Vergessens, dunstumflossen,

Und zu des Todes weißem Felsenriff.

 

 

 

 

In Santa Croce

 

Geboren in Italiens Blütezeit,

Das nun im Winter steht, ihr Großen, Alten,

Wart ihr, als günstge Lüfte euch erfreut,

Gleich stark an Macht und Zorn und Liebeswalten.

 

Ich wuchs bei selbstgefällger Dienstbarkeit

Heran und sah den wahren Mut erkalten:

Helft gegen schmähliche Vergessenheit –

Fleh ich vergebens – euren Geist erhalten!

 

Das Leben eurer heutigen Geschlechter

Ist eitel Müßiggang, die Tugend Scherz;

In Gräbern lebt das Vaterland; hier such ich,

 

Und, ach, umsonst, das alte noch! Mein Herz

Erbebt vor Zorn, und den Elenden fluch ich:

Der faulen Zeiten ewiger Verächter!

 

 

 

 

Joseph Mazzini

 

Wie marmorgroß sich Genua erhebt,

Einsam am Meer, wo schroffe Klippen ragen,

So er im Zeitenstrom, aus niedern Tagen,

Groß, starr und ernst, ein Mann, der nie gebebt.

 

Und wo Kolumbus schon als Kind gestrebt,

Nach neuem Land sich übers Meer zu wagen,

Da sah auch er als Morgendämmrung tagen,

- Ein Gracchusherz von Dantes Geist belebt –

 

Italias neuen Glanz. Des Auges Strahl

Auf sie gerichtet, folgte seinem Lauf

Ein Volk von Toten durch der Gräber Menge.

 

Nun schaut dein Angesicht, das stille strenge,

Das niegelacht, verbannter Greis, hinauf

Und spricht: Du nur bist wahr, mein Ideal!

 

 

 

 

Homer

 

I.

 

Uns taucht Olympos Nebelhöhn in Glut

Kein Götterlächeln mehr. Im Felsgerölle

Dort bleichen Schädel, und die schwarze Brut

Des Adlers nistet an der grausen Stelle.

 

Nicht fließt den alten Weg Skammanders Welle,

Und wo sie nun am Kap Sigetum ruht,

Beleidigen, an der längst vergeßnen Stelle,

Osmanentürme dich, o Meeresflut.

 

Doch kann uns noch des göttlichen Kroniden

Gebot entsetzen, o Achäergreis,

Und des Poseidon Schreiten; voller Graun,

 

O Sänger, sehen wir, von Mordlust heiß,

Zu Wagen springen, schrecklich anzuschaun,

Am dunkeln Meer den herrlichen Peliden.

 

 

II.

 

Und wieder stürzen sich Barbarenhorden

Vielleicht vom Ural einst mit wildem Mut

Und überschwemmt ein Wogenschwall aus Nurden

Agenors Stadt mit Rossen, Wehr und Gut.

 

Und Rom wird fallen: unbestellte Borden

Und fremdes Leid bespült des Tibers Flut.

Doch wie einst Herkules Errettung worden

An Hebes Brust aus Ötas Flammenglut,

 

So wirst auch du, Homer, in Jugendkraft

Im Arm der göttlichen Idee erwachen,

Die dir das erste Lächeln zugewandt.

 

Eh Alpe nicht und Athos weggerafft,

Wird auch am Römer- wie am Griechenstrand

Homeros ewig wie die Sonne lachen.

 

 

 

 

In der Nacht

 

O Nacht, im Schatten deiner weiten Hüllen

Sind Menschenzorn und Ärgernis geschwunden.

Mein kleiner niedrer Groll ist überwunden,

Und einsam schlägt mein Herz nach deinem Willen.

 

Mit welcher Lockung süßer Ruhestunden

Magst du die rastlos müden Geister stillen?

Und wie den Sinn mit Wunderkraft erfüllen,

Im All und nichts zu schweifen ungebunden?

 

O Göttin Nacht, woher nur mag es kommen,

Was sinnend ahnungsvoll uns so entzückt,

Und unsrer Seele Gram und Zorn genommen?

 

Doch wie ein Kind fühl ich mich ruhbeglückt,

Das an dem Herzen der gebräunten, frommen

Großmutter eben schluchzend eingenickt.

 

 

 

Gespräch mit den Bäumen

 

Den Ebnen gibst du Schatten, ernste Eiche,

Und steilen Höhn, doch lieb ich dich nicht mehr,

Seit du Zerstörern vieler Städt und Reiche

Geschmückt mit grünen Zweigen Helm und Wehr.

 

Noch bist du, eitler Lorbeer, mein Begehr;

Seis, daß dein Laub das winterliche bleiche

Gefild beschäme, oder daß ur Ehr

Es kahler Römerkaiser Stirn gereiche.

 

Dich, Rebe, lieb ich, die aus braunem Stein

So üppig lacht und reift, mir zu bereiten

des weisen Selbstvergessens Lebenstrank;

 

Mehr noch lieb ich die Tanne: glatt und blank

Schließt sie einst in vier Bretter all mein Streiten

Und Grübeln, all mein eitles Wünschen ein.

 

 

 

 

Der Ochse

 

Dich lieb ich, frommes Tier, und mich erquickt

Es wie ein Wohlgefühl von Kraft und Frieden:

Ob du, ein Erzbild, daliegst, unverrückt,

Das freie, reichbeblaute Feld zu hüten,

 

Ob du, geduldig unters Joch gebückt,

Dem Menschen hilfst, dem arbeitsam bemühten;

Er ruft und stachelt, doch dein Auge blickt

Als stumme Antwort ruhig und zufrieden.

 

Aus deinen breiten schwarzen Nüstern raucht

Der warme Atem und, wie dankerfüllt,

Läßt du ein froh Gebrüll zum Himmel steigen.

 

Und in dem sanften Ernst des Auges taucht

Aus feuchtem Grund ein friedlich Spiegelbild:

Der weiten grünen Fluren göttlich Schweigen.

 

 

 

Virgil

 

Wie auf versenkte Sommerfluren nieder

Vom hohen Mond die Abendkühle sinkt,

Sein weißes Licht aus schmalem Flüßchen wieder

Zu frohem Murmeln weiß aufleuchtend blinkt;

 

Wie süßer Ton der Tachtigallenlieder

Aus Busch und Laub in all den Glanz erklingt,

Des Liebchens blondes Haar dem Wandrer wieder,

Der träumend lauschte, vor die Seele bringt;

 

Wie der beraubten Mutter, die noch spät

Am kleinen Hügel sitzt, aus lichten Räumen

Die Strahlen tröstend in die Seele gleiten,

 

Indes ein Luftzug säuselt in den Bäumen,

Wo schimmernd sich Gebirg und Wogen weiten:

So labt dein Sang mich, göttlicher Poet!

 

 

 

Dante

 

Wie kommts, daß mich dein stolzes Dichterwort,

O Dante, zwingt anbetend aufzuschaun,

Daß mich am Vers, der dir den Leib verdorrt,

Der Abend findet wie das Tagesgraun?

 

Lucia bittet nicht fürmich, und dort

Wird mich Mateldas Huld nicht sanft betaun;

Umsonst zu Gott zieht Beatrice fort

Mit ihrem heilgen Freund durch Sternenau’n.

 

Dein römisch Reich veracht ich; mit dem Schwert

Schlüg ich dem guten Kaiser Friedrich lieber

Die Krone ab im Val d’ Olona! Trümmer

 

Sind heilig Reich und Kirche! Doch für immer

Erhob dein göttlich Lied sich hoch darüber:

Auch Zeus ist tot, indes Homeros lebt.

 

 

 

 

Des Dichters Gerechtigkeit

 

Als Dante noch durch jenen wüsten Wald

Geirrt, in tiefem Sinnen oft befangen,

Und Leute kamen da des Wegs gegangen,

Verräter, Diebe mancherlei Gestalt;

 

Da traf, ob auch die Lippen Liebe sangen,

Sie seiner Augen flammende Gewalt,

Die bis ins Innerste dem Sünder drangen.

Und mit derselben leichten Hand alsbald,

 

Womit wir Engel zeichnen ihn gesehn,

Ergreift er sie und brandmarkt ihr Gesicht

Und wirft sie in den Pfuhl der schlimmen Leute.

 

Die Schande, die Jahrhunderte dort nicht

Verlöschten, raucht im Höllenkreis noch heute;

Und Dante schaut herab aus Himmelshöhn.

 

 

 

Petrarca kommentierend

 

Zu euch und eurer blonden Freundin heut,

Messer Francesco, seht mich bittend kommen:

Helft, daß die Seele gram- und zornbeklommen

Sich in der Sorge klarer Flut befreit.

 

Schon hat ein Eichbaum mich in Schutz genommen,

Ich sitz und ruf in grüner Einsamkeit,

Ihr kommt ans Ufer, und ich hör erfreut

Aus eurem holden Chor ein froh Willkommen.

 

Das sind der lieblichen Kanzonen Reihn,

Geschmückt mit Rosenkränzen voll und rund,

Draus üppig Goldhaar auf die Hüften wallt.

 

Ach, schüttelte dies Haar nur eine! Und

Hört ich aus diesen Lippen, das es schallt,

Nur eine: - Roma und Italia – schrein!

 

 

 

Geht mir mit eurem Rat

 

Sag, Dichter, sind nicht unsre Fräuen schön?

Und sind nicht schmuck und stattlich unsre Knaben?

Auf, laß beflügelt sie dein Lied umwehn,

Schenk Liebesklang auch du und Blumengaben.

 

Warum so brennend? Warum Dornen sä’n

In ihre Brust? Laß dich durch Schönheit laben,

Vergiß. Geh in das Zauberreich der Feen, -

Du weißt: auch Freuden kann die Erde haben! –

 

So sagt doch Juvenal, wenn ihn zum wütgen

Ingrimm die Göttin stachelt, daß er lache,

Daß sein Hexameter Glionier werde!

 

Sucht Dante, wenn er Blitze seiner Rache

Aus Höll und Himmel schleudert, auf der Erde

Mit Milch und Kaffee freundlich zu begütgen! -

 

 

 

 

Sonne und Liebe

 

Gen Westen über Markt und Straßen fliehn

Die leichten weißen Wolken, feucht hernieder

Lacht Himmelsblau, und menschlich Tagesmühn

Grüßt triumphierend froh die Sonne wieder.

 

Der Kathedrale tausend Spitzen glühn

Im Rosenlicht, wie goldne Jubellieder

Strahlt ihre Heiligenschar, die Falken ziehn

Umher mit Schrein und rauschendem Gefieder.

 

Und da die Wolken, die so trübe hingen,

mir fortgelacht ein holder Liebesstrahl,

Erhebt zur Sonne neu sich mein Gemüt;

 

Und ihm erglänzt das heilge Ideal

Des Lebens; ein harmonisches Erklingen

Ist all mein Denken, jeder Sinn ein Lied.

 

 

 

 

Am Ufer des Lys A.S.F.

 

Am Fluß des Berges, dessen Schnee erglüht

Wie Rosenrot bei lichtem Morgenschein,

Frisch, hell und klar, wie ein harmonisch Lied,

Fließt, Lilienbach genannt, ein Wässerlein.

 

Da sitz ich, denk des Arno Uferrain,

Ferrari, und was jüngst dein Mund mir riet:

Nicht trockner Prosa, hohem Sang allein

Zu dienen, schon beschließ ichs im Gemüt.

 

Da mahnt der Lysbach mich, in nichts zerrinnt

Mein eigen Lied und tut es ohne Reu;

Wohl seh ich, daß die Quellen tiefer sind.

 

Ins eigne Herz, die Stirn von Hochmut frei,

Kehr ich zurück, und Wellen, Luft und Wind

Sag ich mit dir Petrarcas Lied aufs neu.

 

 

 

Sant’ Abbondio

 

Der Himmel klar, als wärs ein Diamant,

Durch den jenseitig licht die Strahlen schickt,

Schneefelder leuchten von der Alpenwand,

Gleich Seelen, ganz in Liebeslust entrückt.

 

Bläulicher Rauch vom niedern Dachesrand

Steigt durchs Gehölz, das leis im Winde nickt;

Wie durch Smaragden fällt, ein schimmernd Band,

Hoch der Madesimo. – Zum Fest geschmückt,

 

Im roten Rock, zu Sant’ Abbondio wallt

Der Frauen Schar. Wie mild und froh Getön

Erklingt ihr Lied, erklingen Fluß und Wald.

 

Was lacht vom Talgrund aufwärts zu den Höhn?

O, stille, still mein Herz, nun schweigst du bald:

Wie kurz das Leben und die Welt wie schön!