Raffael Santi

1483 - 1520

 

In Übersetzungen von:

Hermann Harrys

 

 

I.

 

Süß mahnt das Denken an die Stunde mich,

Als ich dich fand, und nur mit bangem Zagen

Schied ich von dir. Wie mir, so hört’ ich sagen,

Ist wem auf weitem Meer sein Stern erblich.

 

O Zunge, sprengr jedes Band und sprich

Von diesem Leid, das Amor mir zu tragen,

Zu dulden gab, von unerhörten Plagen;

Und dennoch dank’ ich ihm und preise dich!

 

Sechs Stunden war es, seit die Sonne schwand,

Da kam die andre vor mir aufgestiegen;

Wie so ermutigend sie vor mir stand!

 

Ich aber mußte meiner Glut erliegen,

Noch quält sie mich und hält das Wort gebannt,

Und so in Leiden duld’ ich, stillverschwiegen.

 

 

II.

 

Wie Paulus wohl den Weg zu Gott gefunden

Und durfte, was er sah, uns nicht vertraun:

So hält dies Herz mein Denken und mein Schaun

Mit einem Liebesschleier fest umwunden.

 

Und was geschah, und was ich auch empfunden,

Ich berg’ es froh in meiner Brust, und traun!

Eh’ sollten diese Scheitel mir ergraun,

Eh’ einer mich verräterisch erfunden.

 

Nun sieh auf meine Not, sieh, wie ich zage,

Ob ich mit allem Dienste, dir geweiht,

Nicht doch umsonst dich zu bewegen ringe.

 

Doch hülf’ es, wenn ich bäte, wenn ich klage:

Zu dir emporzuflehn wär’ ich bereit,

Bis in der Brust die Sprache mir verginge.

 

 

III.

 

Du, Liebe, locktest mich mit Sonnenflammen,

zwei Augen, dran mein Herz zu schmelzen droht,

Mit Wangen, wie auf Schnee zwei Rosen rot,

Mit Tönen, die von holden Lippen stammen.

 

So glüh’ ich nun, daß Strom und Meer zusammen

Die Glut nicht löschten, die mich ganz durchloht:

Doch ist mir wohl in meiner süßen Not,

Schon lodernd möcht’ ich nur noch lichter flammen.

 

Wer war in süßre Bande je geschlagen,

Als die dein Arm um meinen Nacken schlingt?

Weh’ um die Stunde, die mich ihm entringt!

 

Ich könnte viel von meinen Wonnen sagen;

Doch weil zu großes Glück Verderben bringt,

Will ich dich schweigend in Gedanken tragen.